Es ist ein system-immanenter Fehler, dass Reiseführer von glühenden Verehrern des Landes geschrieben werden. Wer würde sich die Mühe ans Bein binden zB den Zauber Stuttgarts einer breiten Öffentlichkeit schmackhaft zu machen, der die Stadt mitsamt ihrer Spätzle- und Trollinger- Kultur verabscheut, den Akzent weder charmant noch goldig findet, sondern eher im Bereich Sprachfehler verortet?
So aber sind die Schreiber der Reise- und Kulturführer Marokkos gerne bereit auch noch der offensichtlichsten Touristenfalle authentische Attribute zuzuschreiben, den Kommerzoasen der Medina von Marrakech orientalischen Zauber, dem Essen eine kulinarische Finesse. Und irgendwas von Gastfreundschaft zu faseln.
Es ist aber eben ein nicht zu leugnendes Stück der Wahrheit, dass es nicht mit allen der so gepriesenen Mosaikstücken des marokkanischen Gesamtkunstwerks so weit her ist. Aus diesem Grund hier das dringend notwendige Korrektiv, die Nivellierung der in Reiseführern wieder und wieder reproduzierten Überhöhungen, eine Relativierung.
Da ist zum Beispiel der Müll – der hier, wie in so vielen anderen Ländern seine finale Lagerstätte in der Natur findet – in Bachbetten, die jetzt, wo sie trocken sind den Blick freigeben – Plastikmüll, Tüten, jede Form von Dreck und Schotter. Vor den Toren der Stadt werden mit Raupen Müllberge zusammengeschoben – in die fährt der Wind und bläst die Tüten davon, wie Quallen werden sie davongetragen um Bäume, Sträucher und Zäune zu zieren – das stört hier aber niemanden. Nicht die Einheimischen, die nur ihre eigenen 4 Wände sauber halten, aber egal welchen Schnodder achtlos auf die Straße werfen. Sondern auch die Ausländer nicht, die wenig von dem Land sehen, das zwischen den touristischen Highlights liegt. Und während die von mir studierten Reiseführer Marokko als ökologisches Streber-Land bezeichnen, sieht man wenig Windräder, obwohl der Wind hier unablässig pustet. Aus der Wüste in die Berge, aus den Bergen in die Täler, vom Meer aufs Land - … dazu brennt die Sonne runter auf die sanding-gelb geröstete Erde, auf brache Felder und ausgedörrte Ebenen in den nur Steine und die omnipräsenten rosa und blauen Plastiktüten wohnen. Solarkollektoren? Photovoltaik? Selbst auf den Flachdächern in den Metropolen wie Fez, Tangier, Marrakesch, Agadir, …. Wo wenn nicht hier rentiert sich die Sonnenenergie? Egal – wenn man sein Land so liebt: Ist es nicht ein Trauerspiel, dieses geliebte Land unter Plastiktüten zu begraben?
Daran photographiert man ja normalerweise vobei. die Linse hoch und mit dem Zoom ein bisschen ranziehen - schon verschwindet der Müll aus dem Bild. Da ist er natürlich trotzdem, und leider auch so ziemlich überall: Entlang der Straßen hängt das Plastik in den Bäumen, in Zäunen, entlang von Weiden, Glasscherben und kleingemalene Splitter fast schon ein zweiter Straßenbelag: Ein Wunder an Glasresilienz: Der Reifen Schwalbe Marathon Mondial; bislang noch kein Loch im Schlauch.
Mit leichtem Gruseln: Die Überreste eines gar nichmal so kleinen Viechs, gegrillt, verendet, das was Straßenhunde und Wildtiere übrig gelassen haben? Das abgerissene Bein einer Schaufensterpuppe.
Marokkaner aber lieben ihr Land inbrünstig – ihre Küche, ihre Kultur, den wundersamen Kleidungsstil: Der Jelaba: Eine seiden schimmernde Kutte aus synthetischen Stoffen, mit Kapuze und einer kunstvoll verzierten Knopfleiste, die das Textil bis zur Brustmitte öffnet. Das Ding hat soviel modische Raffinesse wie diese Umhänge, die zum Umkleiden nutzt, wer öffentlich badet und keine Kabinen zur Verfügung stehen - … der Jelaba: achtlos über den Pyjama oder die Trainingshose geworfen, am Bauch spannt, um die Beine flattert es. Ein Volk in Nachthemden. Anders freilich der Berg-Jelaba, aus dichtem Wollstoff, wenig kunstvolle Applikationen, die Kaputze spitz und groß, warm wie ein Schlafsack zum Spazierengehen. Waden schmeichelnd, wärmelnd, der Kälte trotzend, in Wüsten wie in Oberbayern: Kurz übergeworfen und schon ist die Wandlung zu Gimli dem Zwerg vollzogen - wie gerne würde ich so einen Jelaba tragen, wie würdevoll könnte ich morgens den Hund Gassi führen, waldschratig, zeitloser Schick, halb Ziegenhirte halb freakiges Surferoutfit, der Jelaba ist wandlungsfähiges Kleidungsstück …
Und!!!
… hätte die Post von Marokko oder der Zoll innerhalb der EU nicht die Niedertracht, eine in mühevoller Anstrengung aufgegebenen Sendung, in irgendwelchen finsteren Kanäle abzuzweigen, dann wären zwei wundervolle Exemplare schafwolliger und schwerstoffig, zwergenschick und generationsbergreifend kleidsam in Feldafing ausgeliefert worden. Sind sie aber nicht und es ist auch ein Stück der unschönen Wahrheit, dass sich alle Sorgen in Hinsicht auf die Verlässlichkeit der Berberpost aufs ärgerlichste bestätigen.
Stilsichere sowie traditionelle Freizeitbekleidung - Überwurf Jelaba, darunter das Nachtgewand. In den Bergen aus derben Wollstoffen gefertigt, zu feierlichen Anlässen in transparenten, seidig anmutenden Nylongewebe mit reichen Verzierungen an der Knopfleiste.
Religiosität
Im Iran habe ich die Moscheen als Orte der Kühle, der Ruhe, aber auch als Begegnungsstätte erlebt. Kinder sind über die Teppiche gewieselt, die Alten haben eine Teppicheck aufgerollt und ihren Kopf darauf gebettet, um ein Stündchen zu schlafen, Gruppen saßen zusammen und haben die heißen Stunden des Nachmittags verplaudert, Jungs mit Jungs und Frauen mit Frauen. Die Gebetshallen mit ihren gemauerten Säulen waren Oasen der Stille im Trubel der Städte. Und auch wir – nicht Muslime - konnten uns frei bewegen. Und mir hat das gefallen, dass die Moscheen mehr waren als nur Gebetshallen sondern soziale Knotenpunkte. Da würden bei uns die Pfarrer schauen, wenn sich der Kirchenbesucher zwischen den Bänken zur Ruhe bettet und eine Runde ratzt. Täte unseren Sakralbauten aber ganz gut vielleicht.
In Marokko – und zwar mit einer einzigen Ausnahme in Casablanca ist den Nicht-Muslimen das Betreten von egal welcher Moschee verboten. Was aber Reiseanbieter nicht davon abhält dir Tagestouren nach … sagen wir Moullay Idriss anzubieten – ein verpenntes Saukaff mit einer offenbar hochheiligen Moschee: 7 mal Moullay Idriss ist so gut wie einmal Mekka! Wenn man da als Nicht-Rechtgläubiger zu Besuch ist, darf man schön vor der Tür stehen bleiben und zusehen, wie die braven Muselmanen in selbstzufriedener Gläubigkeit durch das Tor schreiten, das uns verschlossen bleibt, bewacht von finster blickenden bärtigen Männern – das ist so scheiße-unsympathisch. Und natürlich findet sich irgendein schmieriger Knilch, der für ein paar unverschämte Dirham einen Weg kennt, dass der Ungläubige doch ein heimliches Photo schießen kann. Aber weißt Du was – du kannst mir gestohlen bleiben mit deiner affigen Moschee, wenn Du mich da nicht haben willst, dann will ich das auch nicht sehen. Dann bete schön brav nach Osten wenn der Muezzin dir ins Ohr krakeelt und ich suche mir ein ruhiges Plätzchen und schaue dem Treiben zu oder den Spatzen oder den Eseln, die geduldig wie die Engel am Straßenrand stehen, und auf ihre nächste Last warten.
Die berühmte Moschee in Marrakech: Ihr ist jede andere Mosche konsequent nachempfunden: Auf einem viereckigen Turm sitzt ein zweiter, kleinerer, grün verziert, gekachelt oder angestrichen. Die Moschee wird marokko-weit und in den einschlägigen Führern als stilbildend gepriesen. Wer allerdings die Sakralbauten in der Türkei und dem Iran gesehen hat ist für den Zauber der Berber-Baukunst vielleicht verloren.
Ein weiteres Mysterium ist die Bewunderung der Tajines, die den Dreh-und Angelpunkt eines jeden marokkanischen Essens bilden. Offenbar sitzen die Menschen hier dem Irrtum auf, dass neben ihnen noch niemand auf die Idee gekommen ist, Fleisch in Tontöpfen in die Glut zu stellen. Aber jawohl – auch der Durchschnittsdeutsche hat einen Römertopf in dem er handelsübliche Tiere mit Rüben und Kartoffeln schmort. Hier für die geschätzte Leserschaft das generische Protokoll zur Herstellung einer Tajine maroccaine:
· Tajine nehmen, säubern oder das alberne Putzen halt bleiben lassen.
· Zwiebel grob würfeln und in die saubere oder dreckige Tajine schmeißen
· Fleisch in Stücke schneiden und dazu legen – für die vegetarische Variante das Fleisch weglassen.
· Gemüsen, präferentiell Karotten, Kartoffeln, Zucchini waschen und grob schneiden, und aufschichten. Oder weglassen. Für die vegetarische Variante nicht weglassen.
· Eine scharfe Peperoni, wenn verfügbar. Mit Peperoni kann das Gericht mit dem Zusatz „Berber“ aufgetischt und für 10 Drh mehr verkauft werden.
· Je ein Teelöffel Gewürzmischung Tajine (Mit Cumin) und Gewürzmischung „scharf“ (mit Paprika aber ohne Cumin etc) und Salz.
· Großzügig Öl drüber gießen – also so richtig großzügig.
· Deckel drauf, ab in die Glut. Der Deckel ist so eine spitz zulaufender Tonhut – oben kann man pittoresk eine Tomate balancieren.
· Fertig je nach Füllmenge – man kann natürlich immer reinschauen, wenn´s anbrennt machts aber auch nix.
· Wichtig ist beim Servieren ein Mords-Gewese zu machen als würde hier aus der 3 Sterne Küche serviert. Dazu wird Brot gereicht – Fladenbrot, das mystischer Weise hier auch den Status von Weltkulturerbe hat, ist aber nur Fladenbrot aus Weizenmehl mit Hefe. Damit tunkt und wischt und greift man sich das Essen aus der Tajine – das Benützen von Messer und Gabel, bzw Löffel ist natürlich eine Abkehr vom Authentischen.
Dazu trinkt man mangels der hier wirklich gut passenden schweren Rotweine leider das, was man so peinlich wie euphemistisch als „Moroccan Whiskey“ angepriesen bekommt. Was aber natürlich in jeder Hinsicht unpassend ist, denn es handelt sich um Minz Tee. Wer nun glaubt hier werden besonders feine Blätter grünen Tees in sorgsam temperierten Wassern für einen definierten Zeitraum gebadet, mit ausgesuchten Gewürzen verfeinert und am Schluss mit einem Stengel frischer Minze geschmückt und mit Kandis gereicht, der irrt. Der billigste chinesische grüne Tee wird beliebig lange auf dem Gaskocher ausgekocht, bis die Brühe bitter wie Galle ist. Falls da Kräuter dazu geworfen werden, wäre das Verschwendung, denn die ungenießbare Bitternis wird von einem Ziegel Zucker gequencht. Und Ziegel ist hier im Wortsinn gemeint. Mit unseren Zuckerwürfeln hat das nichts zu tun. Da ganze hat eine siruphafte Konsistenz – und die Folgen jahrelanger Teetrinkerei zeigt sich im Straßenbild am Fehlen von Schneidezähnen. Gebissmässig muten sich die Marokkaner einiges zu – ständig wird in kleinen Kännchen dampfende Zuckerplörre in Gläschen gegossen – kunstvoll aus einiger Höhe, dass sich im Gläschen ein süsses Schäumchen bildet, durch das dann der Tee geschlürft wird. Das macht man ein paar Jahre und schon sind die Zähne zu braunen Stümpfen verkümmert – was der Tee nicht schafft übernehmen die Kippen.
Tajines: Es kommt darauf an, was man damit macht. Hier auch gut zu bewundern, der Untersatz, in den die Glut geschaufelt wird. Jedes Tonpfännchen bekommt seinen eigenen kleinen Tongrill. 100 Millionenfach an jedem zweiten Straßenstand angeboten - zur Mitnahme auf dem Rad leider zu schwer. Aber natürlich ist das eine optimale Erweiterung der Outdoor-Küche. Hier allerdings In-Door genutzt. Ansonsten werden die Tajines auf langen Grills, auf Gasflammen und im Lagerfeuer zubereitet.
Zwiebeln und Fleisch, gelbes Gewürz, Öl kommt nach, ... Edelvariante mit zusätzlich Kartoffeln
Hospitality
Die wüsteste Heuchelei aber ist die Mär von der Hospitality – „wellcome“ ist das Wort, das man hier am häufigsten hört: Wellcome please visit my store, oder: Do you like Morocco? Yes? Welcome! You know the way to good hostel? I show you? Welcome! Pls my friend, want to see berber artwork? maybe carpet – please have tea, it is Moroccan hospitality. Wellcome!
Es ist auch keine Gastfreundschaft, wenn der Bauer seinen Kühen das Euter putzt, bevor er die Milch abpumpt. Und wenn Du deinem Hausschwein die Küchenabfälle überlässt - auch eher keine Gastfreundschaft. So ist das hier mit dem elenden Tee, der einem in jedem filzigen Laden aufgedrängt wird: Das ist Euter-Putzen. Und dann wird gemolken!
Ich erwarte auch gar keine Gastfreundschaft in einem Hotel, ich brauch keine Gastfreundschaft in einem Restaurant, in dem ich meine unausweichliche Vegetable Tajine esse und eine Salat marrocaine (Tomaten würfeln, Zwiebeln würfeln, mischen, Öl, Salz). Was mich irritiert und inzwischen stört, ist die Gleichgültigkeit, die der großartigen Gastfreundschaft folgt, sobald das Geschäft abgeschlossen ist. Mein Kite-Lehrer erweckte den Eindruck nicht nur mein Bestes im Wasser-Sportlichen zu wünschen, sondern auch einfach ein netter Kerl zu sein. Der einen drückt, knufft und mit Dir lacht, wenn Du nicht gerade seine Schirme zu Lumpen rupfst. Sobald aber die letzte Überweisung getätigt, die letzte Rechnung gezahlt ist und weitere Einkünfte nicht mehr zu erwarten sind, dann gehen die Rollos runter. Euter sauber gemolken, dann braucht die Kuh auch keine Streicheleinheiten mehr. Dann gibt es nicht mal mehr einen dieser unsäglichen Minz-Tees, die hier als Eid tief empfundener Freundschaft und Verbundenheit angeboten werden. Zur Verabschiedung hat sich mein sagenhafter Surflehrer nicht mal mehr zu mir umgedreht.
Ich könnte das nicht, mir fehlt da die Kaltschnäuzigkeit. Auf den Straßen würde ich gerne ein Lächeln erwidern, aber sobald ich einen Blick auffange und auf einen Gruß reagiere ist die nächste Frage die Aufforderung mir irgendeinen Trödel und Schund anzusehen. Ölschinken mit Kamelen und Sanddünen, billige Parfüms in gefälschten Gucci Flacons, und den ganzen elenden Tand, der hier die gesamt Innenstadt, die gesamte fucking Medina entlang angeboten wird. Die Hälfte davon made in China, immer wieder dasselbe: Geknüpftes, Gewebtes, Leder, Getöpfertes, Silber, Blech, Gewürze, … hab ich was vergessen? Grillfleisch! Tajines …
Auf dem Marktplatz plärren Tröten, vor dem Berber mit Tröte liegen erledigt ein paar Kobras,… ein wild verkleideter Berber rennt mit 2 Schlangen auf dem Arm zwischen den Touristen rum und hält es für einen großen Spaß, Frauen zu erschrecken – für 20 Drh mal Schlange halten?, für 50 Foto? -.. was muss man eigentlich mit einer Kobra anstellen, dass die so passiv rumhängt? Wenn sie ihr Schild nicht aufstellt, bekommt sie Ohrfeigen – kein Witz, zwei links und zwei rechts hinter die Löffel, da erhebt das arme Viech sein müdes Haupt und wiegt es träge, das Schild hängt wie das Segel in der Flaute.
Daneben stapeln sich Käfige, darin zusammengepfercht: Berberaffen. An einer Kette werden sie herumgezerrt, wenn man an der Kette reißt, machen sie einen Salto. Angezogen mit einem Kleidchen und Windeln schneiden sie Grimassen und rennen angekettet um den Besitzer. Der wiederum sucht sich einen Touristen, dem er ungefragt das arme Tier in dem Arm drücken kann. Gestern habe ich echt einen Anfall bekommen und hab so einen Tierquäler-Arsch angebrüllt, dass er mich mit seinem Scheiß verschonen mag und er in Deutschland für fortgesetzte Tierquälerei im Knast säße und das auch gut wäre. Statt einem Mint Tee habe ich dafür einen Fuck Finger bekommen: da war ich froh, immerhin wurde ich verstanden. Später habe ich leider gesehen, wie zwei Australier unsäglich gut unterhalten waren, während der arme Affe Handstand und unsinniges Gehampel aufgeführt hat. Solange man mit Tierquälerei Geld verdienen kann, werden die Tiere eben gequält. All das preist mein Reiseführer als pulsierend und orientalisch verzaubert an. Wie blind kann man sein?
Mein Reiseführer macht im Übrigen noch ein paar haltlose Kommentare zur Rolle der Frau (Stark, heimliche Chefin des Clans, …. ) – ich belasse es mal dabei. … oder soll ich noch was sagen zum Thema textiler Freiheitsberaubung? Oder dass Männer keine Lasten tragen: Holz fürs Feuer, Gras für die Ziegen im Stall? Das Gemüse für den Markt. Dafür gibt es Esel. Oder Frauen. Das sagen sie Dir. So – ungeschönt. Ach was sind unsere Frauen stark.
Aber ich habe junge Frauen kennengelernt, die Surfen lernen und Kiten. Die sprachen Englisch und Französisch, Arabisch, studierten und liefen selbstbewusst und unverschleiert durch die Gegend. An den Schulen gibt es ein unverkrampftes Nebeneinander von konservativ und progressiv. Händchen-haltend laufen Mädchen unter einem schwarzen Kopftuch mit ihren Freundinnen im Minirock nach Hause. Die Zukunft dieses Landes gehört in die Hände von Frauen.
Gleicher Ort, unterschiedliches Stimmungsbild: ein marokkanisches Pärchen auf der Stadtmauer von Essaouira, sowie eine Dame, die mit ihrer Enkelin(?) ein paar Zinnen weiter den Abend bewundert. Nichts kann so einen elenden Scheiss wie diese schwarzen Jurten mit Seh-Schlitz rechtfertigen. Desweiteren ein bisschen Souk, mit dem üblichen Krempel, vor allem natürlich Töpferware. Sinnbildhaft für die marokkanische Geschäftstüchtigkeit ist der Berber-handicraft-carpet. Hier eine Werks-Schau
Über Atlas nach Marrakech und zurück nach Tanger
In Taroudant bietet mir der sagenhafte Besitzer des so friedlich schönen und entspannten Riads an, mich die ersten Kilometer durch die staubige Ebene zwischen hohem- und Anti-Atlas zu fahren, wenn ich den Sprit zahle, und das mache ich gerne. Nach wenigen Kilometern heben sich die ersten Hügel aus dem Staub und nach weiteren 20 Minuten steigt derStraßenverlauf merklich und schlängelt um Hügel. An einem Steinmäuerchen lade ich das Rad aus dem Kofferraum, der Kangoo verschwindet zurück Richtung Hauptstraße und ich bin alleine mit dem aufkommenden Wind und dem Rauschen der Blätter von uralten Argan-Bäumen. Ansonsten ist es so still, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe und die Einsamkeit hat etwas sehr Heimeliges. Langsam pedaliere ich auf der sauber asphaltierten Straße die Südseite des Atlas hoch – ich beginne auf 300 Metern und muss auf 2200 – das ist der Pass Tizi N´Test. Auf 40 Kilometer streckt sich der Anstieg, ob es Wasser zu kaufen gibt war nicht zu erfahren und so habe ich 10 Liter geladen, die langsam in der Hitze warm werden. Ab und zu eine Ziegenherde, immer wieder eine keine Abzweigung, die in ein kleines Dorf führt, hinter mir geht es inzwischen tief herunter und der Wind hat etwas Frisches. Kiefern duften in der Sonne, eine Schule taucht auf und natürlich gäbe es Wasser. Die Straße zieht sich in langen Serpentinen durch die steinigen Abhänge, Kakteen und Oleander blühen, Disteln und andere stachelige Pflanzen, die der Wind beutelt. Bienen summen. Ab und zu überholt mich ein Auto. Eins pro Stunde, ansonsten ist es die große und erhoffte Unberührtheit. Es ist so karg und die Bachbetten sind trocken. Und unvermüllt. Erst unter dem Pass plätschert ein Bach durch eine kleine Schlucht – und es ist grün, ein paar Teebuden und die unvermeidbaren Tajine-Batterien warten am Straßenrand auf die wenigen Besucher. So grün kann es sein, wenn nur ein bisschen Wasser fließt. Unter dem Pass will ich campen, aber dann taucht das Hotel Belle Vue auf, auf dem Rücken einer Felsnase thront der Bau, viel zu groß für dieses verlorenen Fleckchen Erde, denke ich mir und tatsächlich bin ich der einzige Gast. Der Manager ist noch jung und schmeißt den Laden in dieser Eisamkeit – ich werde nicht zelten – es gibt für 10 Euro ein kleines Zimmer mit Bad, abends kochen wir zusammen: Berber Omlette: Hier das Rezept.
Tajine greifen und grob gewürfelte Zwiebeln mit Öl hineinwerfen, in die Glut stellen und derweil verfügbares Gemüse kleinschneiden. Kartoffeln und Bohnen, Paprika und Zucchini? Egal – was es gibt – bei mir Tomaten und eine Paprika. Je ein Löffel Gewürzmischung 1 und 2 – siehe oben – hineinrühren, kochen – schmoren lassen, 2 Eier verquirrlen, wenn das Gemüse entweder gar ist, zumindest aber angebrannt, das Ei darüber gießen, Deckel drauf, 5 Minuten später die Tajine mit großem Gewese auf dem Tisch abstellen, Tataa – Deckel auf: Tataaaaaa!!! Gemüse mit Ei! Dazu Brot reichen. Und Salad marrocaine. Tomaten und Zwiebeln
Vorher waren wir auf der Veranda gesessen und haben der Sonne beim Untergehen zugesehen – der Staub war aus dem Tal, weit unten, weggeblasen und im Süden tauchten die Gipfel des Antiatlas aus dem Dunst auf. Ein schmales Tal trennt die beiden Gebirgszüge, im Osten Wüste, Karawanen zogen hier durch auf dem Weg nach Agadir. Nur wenige Lichter brennen im Tal und man könnte sich den Sternenhimmel ansehen, aber es stürmt und ist saukalt.
Tags darauf überquere ich den Pass schon früh, der Tag wird lang werden, es geht tief runter, von über 2000 auf unter 1000, dann wieder rauf nach Imlil, ein Berberdorf am Fuße des Toubkal, der wiederum ist der höchste Berge des Atlas, 4100 Meter, die Besteigung stellt natürlich, wie alles hier in Marokko, andere alpine Herausforderungen in den Schatten. Das Bergsteigen wurde auch von den Berbern erfunden. Es sind auch die besten Bergführer. Weltweit führend!
Als ich in Imlil ankomme bin ich so ausgelaugt, wie selten nach einer Etappe. Tatsächlich aber ist die Herberge leider nicht in Imlil selbst, sondern ein par Kilometer weiter in den Bergen, und es ist nicht nur weiter zu fahren, sondern auch höher zu klettern. Zusätzliche 300 Meter, nachdem ich endlich Imlil erreicht habe. Ich kann mein Unglück nicht fassen als ich sehe, wie sich der elende Weg weiter an den Hängen in ein Seitental hochschraubt. Auf dem Weg vom Pass herunter hatte ich einen einheimischen Radler getroffen, der tatsächlich noch weniger Französisch spricht als ich. Was schwer ist. Meine Bemühungen um Austausch und Kommunikation mittels französisch sind nur mit Verlust von jedem Schamgefühl zu erklären. Dieser Mensch aber kann noch weniger, stattdessen aber ist er wild entschlossen mit mir über alle Belange des Radfahrens zu sprechen dazu nützt er sein Handy und die Übersetzungsfunktion, allerdings ist sein Display so zerschmettert, dass ein Großteil eh nicht entzifferbar ist. Weder kann ich sehen was ich schreibe, noch kann ich lesen, was er mir mitteilen will. Mich ermüdet sowas – was soll ich da rumeiern und mit dem Kerl digital herumradebrechen? Zieh deiner Wege, oh radelnder Berber, und lass mich hier den Schatten genießen, und fuchtel nicht mit Deinem Display vor meiner Nase. Denke ich mir. Aber sagen kann ich es nicht, und so teile ich mir den Schatten und vor meiner Nase tanzt auffordern das geborstene Handtelefon. Später trennen wir uns – ich gebe der Sonne und mir noch ein bisschen Zeit, an einem Bach liege ich auf Kieselsteinen, über mir rauscht eine Weide im Wind, nach Imlil sind es noch mehr als 60 km aber. Später treffen wir uns wieder, als ich komplett erledigt im letzten Anstieg unter einer Felswand im Schatten raste. Da kommt er fröhlich zu mir, Fragen über Fragen stellt er mir, babylonisch seine Sprache, das Telefon zeigt Satz Fragmente. Ich schwitze vor mich hin, leide sichtlich unter der Steigung und der nicht endenwollenden Etappe, und winke ab und versuche unsere Unterhaltung zu verschieben – wir werden uns in Imlil sehen, da werden wir uns unterhalten, jetzt will ich kurz rasten. Mein ungefragter Reiseberater setzt zu einer letzten Kommunikationsoffensive an und bearbeitet die Übersetzungsfunktion. Stolz hält er mir das Display ins Gesicht: „Der Grund Deiner Müdigkeit ist das Gewicht Deines Gepäcks“. The reason for your fatigue ist the weight of your luggage. Da lacht er und fährt fröhlich den Berg hinan, mit nichts als einem kleinen Rucksack, den er für seinen Tagesausflug gepackt hat, sein blödes Zahnbürschtel, seine Wechslklamotten eine Flasche Wasser. Ich freu mich auch, den endlich verstehe ich, warum es bergauf so schwer geht. Da hat er also Recht, der schlaue Mann und dankbar für seine Erleuchtung schaue ich ihm hinterher. Spät abends erreiche ich mein Hostel, ich bin fast wieder auf 2000 msl.
Auf den Pass Tizi N´Test, von ungefähr 400msl auf über 2100, ein langer Anstieg also, der sich aber einerseits gut fahren lässt, weil es selten unangenehm steil wird, andererseits, weil die Landschaft mich sehr in Bann zieht. Oben dann: Das Hotel La Belle Vue und sein Manager Mohammed, mit dem gemeinsam ein Berber Omlette in der Tajine gezaubert wird. Danach gemeinsame Betrachtung des Spektakels, das zu sehen niemals langweilig wird: Sonnenuntergang in den Bergen! Am nächsten Tag gehts auf der anderen Seite runter: Mehr Wasser, mehr grün, mehr Siedlungen. Dann gehts wieder rauf und mir irgendwann die Puste aus: Bilder erst wieder aus Imlil, bzw dem nochmal elends weiter oben gelegenen Tabatert. Kuhdorf, Berbervillage. Von hier gehts auf den höchsten Berg, den Toubkal. Nicht für mich. Meine Beine sind wie Gummi und ich schleppe mich zu einem Wasserfall. Auch schön und absolut genug Sightseeing für einen Recovery-Tag
Am nächsten Tag geht am frühen Nachmittag ein Gewitter nieder, das ich von meinem keinen Balkon aus bewundere. Wer jetzt auf dem Toubkal ist, hat bestimmt keinen Spass. Es stürmt und hagelt und die Gipfel sind plötzlich wieder weiß – was bin ich froh, hier unten zu sein, meine Beine sind noch weich wie Grießbrei und um mich herum tönt es landwirtschaftlich. Kühe und Kälber, Schafe – die Fliegen summen durchs Zimmer. Das hier ist ein absolut ursprüngliches Berberdorf mit winzigen Matschgassen und Bächen und Kuhställen. Unverputzte Häuser aus Lehmziegeln, einzig die Moschee ist weiß und grün angepinselt. Imlil ist vollgestopft mit Läden, die ausrangierte Trekking Bekleidung verscherbeln, Toubkaltouren anbieten, kleine Restaurants und Cafes, jedes zweite Haus ein Hotel. Jetzt bin ich schon froh um meine Unterkunft
Gewitter über Tabatert und dem Toubkal, weit unten im Tal: Imlil
Nach Marrakech geht es nur bergab – 2000 Meter auf eine Distanz von 80km. Mit jedem Kilometer wird es wärmer, auf den Strommasten nisten Störche, ein gewaltiger Aqua-Park in der Wüste mit Rutschen und Spassbad mitten in der Trockenheit kündet von Reichtum der Vororte. Vor Marrakech wird gewarnt. Laut, Verkehrchaos, Mopeds und klein Lastern in den Sträßchen innerhalb der Medina, und absolut schamlose Betrügereien. Die Taxis fahren 3 mal um die Stadt bevor sie deine Unterkunft ansteuern, selbsternannten Fremdenführer erklären dir, dass Dein Hostel geschlossen hat, aber er kenne eh ein besseres, bzw: Die Straße sei gesperrt – hier nimm diesen Weg, … und oh Wunder, da ist ja auch der Laden mit Touri-Tand von seinem Freund. Kann so eine Masche funktionieren? Zahl ich so einem hilfsbereiten Einheimischen tatsächlich 3 Euro, weil er mir ungefragt den Weg zu einem Laden deutet, den ich nicht sehen will? Man ist also gewarnt und dann ist es genau so nervtötend. Und tatsächlich lungern da Männer an den Straßenecken und lauern auf Gelegenheiten, dass Du kurz nach Orientierung suchst – schon schnellen sie aus dem Schatten wie die Egel aus dem Sumpf und weisen dir Wege: zum Marktplatz, zum Schnellrestaurant, zum Kunsthandwerker, zum Hostel irgendeines Freundes. Und werden echt grantig, wenn du es ignorierst, … aber was soll man tun? Jedem wieder und wieder freundlich erklären, dass man nichts braucht? Sein Hostel hat, den Weg kennt, keinen Tee will????? Zwei Nächte verbringe ich in Marrakech und es gibt wenig, das anzusehen ich mich aufraffen kann: Ein Museum für Photographie zeigt Bilder aus der Zeit zwischen 1880 und 1940. Bilder aus der Zeit als Marrakech noch klein war, von Berberjungen, und junge Frauen, Händler, Musiker, Tänzer. Auf dem Dach gibt es ein kleines Cafe, der Wind weht, unten tobt die Stadt und mir fehlt die Energie mich hier auf die Suche zu machen, nach authentischen Szenen oder Instagram-würdigen Bildern. Auf dem großen Platz im Zentrum beginnt bereits vormittags das Geschäft mit Schlangen, Affen, Artisten, Tricksern, Bettlern und den endlosen Essensständen. Das Hostel mit seinem kleinen Pool und der Dachterrasse ist wie eine Oase der Ruhe.
Wenige Photos aus Marrakech: Bilder machen kostet extra, jede Form von Interesse zieht eine endlose Diskussion zum Thema: "Betrete meinen Laden, kaufe mein Produkt". nach sich. Und viele der älteren Männer und Frauen haben eine massive Aversion gegen das Photografiert werden - was schade ist, aber natürlich respektiert wird. Vogel klaut Sesam, in der Medina darf Moped gefaren werden - das ist absolut kriminell, die kleinen Scooter aber auch die mortorisierten 3-Räder heizen einigermaßen rücksichtslos durch die Gassen. Unfälle sind nichtmal so selten. Tierquälerei leider auch nicht.
Die Bahia Paläste sind aus dem 19. Jahrhundert und stellen eine besondere Touri-Attraktion dar. Viel gibt es tatsächlich nicht anzusehen und das Hostel mit Pool ist eine Oase. Am Ende verlasse ich nach 2 Nächten Marrakech wieder. Mein Rad kommt mal wieder in den Bauch eines Busses und das letzte Bild dokumentiert meine Füsse im Wartebereich des Busbahhofs um 3 Uhr morgens
Ich bin so froh, dass ich um 3 Uhr früh, mitten in der Nacht zur Bushaltestelle aufbrechen und mich mit meinem Rad in das phänomenale Tanger befördern lassen kann; Tanger, Beginn meiner Reise: So lange ist das jetzt schon wieder her. 2 Tage gönne ich mir hier noch – treffe ein paar bekannte Gesichter wieder mit denen ich viel Zeit in Cafe-Häusern verbringe, spaziere am Meer entlang und schaue in der Abendsonne rüber nach Spanien. Tarifa liegt keine 20km entfernt, die weißen Häuser an der Landzunge sieht man auch von hier aus noch gut. Hier trifft das Mittelmeer auf den Atlantik, hier ist der südlichste Punkt von Spanien, der Felsen von Gibraltar ist gut zu erkennen. Auf den Klippen über dem Meer haben die Reichen ihre Häuser gebaut, vor mehr als 2000 Jahren bestatteten die Phönizier hier ihre Toten: Löcher - 1,50 mal 1 Meter und 60cm Meter tief - sind in den Fels gehauen, die Spaziergänger lassen sich hier nieder, genießen den Blick auf das Meer und lassen die Beine in die Gräber baumeln.
Zwei Tage später, nachmittags, am 2.Juni legt die Fähre nach Spanien ab – genau 1 Monat nachdem ich in Marokko angekommen bin. Und auch wenn ich mich freue, wieder nach Europa zurückzukommen, auf so profane Vergnügungen wie Bier im Supermarkt, einfachere Verständigung und Telefonieren innerhalb der Ländergruppe 1, so war Marokko das absolut Eindrucksvollste auf der Reise bislang. Die Überquerung des Atlas und die stillen Momente auf den Pass-Straßen, Tanger und die lustigen Tage in Essaouira, das Radeln im Rif Gebirge. Kamele im Morgendunst, einsame Strände, das Labyrinth in den Souks und Medinas, Volubilis, Fes, die vielen Menschen die ich kennengelernt habe. Riads und Dachterrassen. Kitesurfing-Versuche, zugige Vorstädte, grüne Schluchten, Blumenwiesen und Wasserfälle. Unglaublich viele Eindrücke für diesen einen Monat
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Lips (Sonntag, 12 Juni 2022 23:48)
Hi Stef,
Danke für die kritische Auseinandersetzung.
Ich habe oft sehr gelacht, auch wenn es gar nicht immer so lustig ist.
Wünsche Dir eine erholsame Zeit in Portugal!
LaoHa (Donnerstag, 30 Juni 2022)
Fortsetzung folgt?
deseo un buen viaje!