Istanbul
Mein Rad ist im Bauch des Flugzeugs, neben mir hat ein Chinese innerhalb von 30 Sekunden und schon vor dem Start des Flugzeugs Richtung Istanbul eine bequeme Position gefunden und schlummert. Die können das! Xiuxi – Pause! Mittagsschläfchen in jeder denkbaren Haltung, ein Leben lang geübt und praktiziert. Ich schaue in die Nacht, das Flugzeug rollt Richtung Startbahn und dann warte ich auf den Moment, an dem das Fahrwerk vom Boden abhebt und ich endgültig chinesischen Boden verlasse.
Auf dem Bildschirm verfolge ich die Route des Flugzeugs – nach einer guten Stunde überfliegen wir Hohhot – vor 3 Wochen war ich da und hatte noch ein paar hundert Kilometer vor mir. Nach 2 Stunden Qinghai und nach 3 Urumqi. Die Riesenstadt strahlt in der Dunkelheit als wir sie im Norden umfliegen. In der Schwärze der Nacht scheinen die wenigen Lichter näher zu rücken als wir über Kirgistan und die Berge des Pamir fliegen. Gute 2 Monate lagen da noch vor mir, in Osh.
In ein paar Stunden werde ich die Strecke überfliegen, für die ich auf dem Rad mehr als ein halbes Jahr gebraucht habe. Ich bin froh, dass ich nach Istanbul fliege und nicht nach München. Ein letzter Rest Asien, bevor ich wieder so richtig in Europa ankomme. Ein paar Tage, um dem Hirn Zeit zu geben, den Rest von mir wieder einzuholen.
Bevor ich in München ankomme kann ich so nochmal durch Griechenland radeln, von Istanbul muss ich nach Igoumenitsa. Dort nehme ich eine Fähre nach Venedig und fahr mit dem Rad den Weg zurück, über den ich hergekommen bin.
Arnd hat mich an den Flughafen gebracht. Ein bisschen dreist aber „sehr chinesisch“ drängeln wir uns an der Schlange vorbei mit den Taschen und dem Fahrrad-Sperrgepäck. Ein kurzer Ratsch mit dem Personal am Baggage Check in, dann öffnen sie schnell den Schalter für uns, - jetzt wo wir schon mal da sind - lassen uns mein Gepäck aufgeben und wir sparen uns eine Stunde anstehen in einer endlosen Schlange der Economy Passagiere, das Rad kostet 60 Dollar und verschwindet in den Tiefen des Flughafens.
Nie werde ich verstehen, wie man im Flugzeug schlafen kann – außerdem lassen sich die Sitze nicht verstellen und die Kissen rutschen in den Spalt zwischen Fenster und Lehne. Draußen ist es stockfinster, mein Sitznachbar schnarcht selig.
Gülnaz holt mich am Flughafen in Istanbul ab. In den Morgenstunden kommen wir zu unserer Wohnung, 4. Stock, große Fenster Blick auf den Bosporus. Die große Autobrücke leuchtet noch, die ersten Schiffe ziehen ihre Bugwellen durch das Wasser, auf der gegenüberliegenden Seite liegt Asien.
In den nächsten Tagen streifen wir tagsüber durch die Stadt. Ein Jahr hat Gülnaz als Jugendliche hier gelebt, als Kind ging sie hier mal zur Schule. Istanbul ist für sie sehr viel mehr Heimat, als Peking je für mich war. In der Früh treibt mich die Zeitverschiebung aus dem Bett und ich schaue über die Lichter, die an den Ufern des Bosporus leuchten – es ist ein unwahrscheinlicher Blick und ein Spektakel wenn die Sonne im Osten aufgeht. Abends falle ich gejetlagged ins Koma und stolper ab 5 Uhr Nachmittags nur noch im Taumelgang durch die endlosen Treppchen und steilen Gassen der verschiedenen Stadtteile. Nachts wähne ich mich zurück in Peking und wache auf mit noch ein paar Brocken Chinesisch aus dem letzten Traum im Kopf. Das Hirn braucht offensichtlich, um nachzukommen.
Istanbul – Byzanz – Konstantinopel, … gibt es auf der Welt eine zweite Stadt, die über so lange Zeit das Zentrum der Macht der größten Imperien war? An der Schnittstelle zwischen dem Westen und den Völkern in den Steppen Asiens. Griechen, Römer, Osmanen. Weltmächte und Weltreligionen. Gegründet im 7. Jahrhundert BC von den Griechen und keine hundert Jahre später ein bedeutender Handelsposten. Nochmal 50 Jahre später erstmals erobert von Darius aus Persien, dann kamen die Spartaner. Unter dem griechischen Einfluß schon früh eine Demokratie und ab 200 v. Chr. römischer Bundesgenosse. Als 300 n. Chr. Konstantin die Herrschaft über das römische Reich erlangte wählte er Byzanz als seinen Regierungssitz – Konstantinopel. Die Stadt widerstand den Arabern, litt unter dem Druck der Seldschuken, arrangierte sich mit Venedig bis die Kreuzritter die Stadt eroberten und plünderten. Erst im 15. Jahrhundert übernahmen die Osmanen die Stadt und prägten das Stadtbild mit Moscheen, Brücken, Brunnen und Palästen. Das osmanische Reich verfiel am Ende des 19. Jahrhunderts und mit ihm verlor auch Konstantinopel an kosmopolitischem Einfluss. An der Seite der Deutschen verloren die Osmanen den ersten Weltkrieg und Russland, England und Frankreich teilten das Reich unter sich auf. Und die Griechen forderten Konstantinopel zurück. 1919 begannen die türkischen Befreiungskriege und ein junger Hauptmann, gebürtig aus Thessaloniki, das in seinem Geburtsjahr 1881 noch Teil des osmanischen Reiches gewesen war, macht sich einen Namen zunächst als begnadeter Stratege und später als Staatsgründer.
Wir treffen Freunde, die Gülnaz seit Jahren nicht mehr getroffen hat – gehen abends essen. Die Gabel findet meistens noch den Mund, die eigenen müden Gedanken aber verirren sich auf dem Weg nach draussen. Und die freundlich an mich gerichteten Worte erreichen nicht mehr so ganz das Ohr. Ich würde mich gerne mitunterhalten, aber einen klaren Satz auszusprechen – und wir sprechen hier deutsch! – ist so anstrengend wie betrunken Kreuzworträtsel zu lösen. Vermutlich hinterlasse ich den Eindruck eines ziemlichen Blödis, aber nicht ständig zu Gähnen ist schon eine echte Herausforderung und wenn ich nicht aufpasse schleichen sich Worte wir Kopfkissen, Matratze und anderes Bettvokabular in meine ständig entrückenden Gedanken. Später werde ich gnädig nach Hause gebracht und die 4 Stockwerke ins Zimmer würde ich am liebsten auf alle Vieren hochkriechen.
Aber mit jedem Tag wird es besser – und die Vapur-Boote, die den Personenverkehr entlang der Wasserwege abwickeln, erlauben immer wieder kleine Pausen. Zum Verkehrsnetz gehören auch ein paar wenige Metrolinien, ein Trambahn Netz, eine Seilbahn, eine antike Tram, die sich einen Weg durch die immer volle Fußgängerzone Richtung Taximplatz bahnen muss – eine unterirdische Bahn, Tunel heißt die, und führt von Karakoy Richtung Beyoglu. Und die Dolmus-Flotte, Minibusse, die sich hupend ihren Weg durch die Stad bahnen, berstend voll mit den Bewohnern der 15 Millionen Metropole.
Cousinen und Cousins wohnen im asiatischen Teil, wir besuchen die Familie und absolvieren das touristische Pflichtprogramm: Blaue Moschee, Hagia Sophia, Bazaar, sowie der Dolmabahce Palast in dem der Staatsgründer, Mustapha Kemal, sein ehrenvolles Leben zu früh mit zirrhotischer Leber ausgehaucht hat. Aber in den Jahren bis zu seinem Tod 1938, da war er noch nichtmal 60 Jahre alt, hat er das Land von Grund auf umgekrempelt. Politischen Einfluss hatte er schon lange gesucht, aber erst nachdem er im Befreiungskrieg in mehreren Schlachten die Griechen aus dem Land vertreiben konnte, hatte er den nötigen Rückhalt und die Machtfülle für die Rosskur, die er seinem Land zu verpassen gedachte. Die gesellschaftlichen Reformen umfassten Schulpflicht und die Einführung der christlichen Zeitrechnung, das Frauenwahlrecht, die Förderung der Emanzipation von Frauen und deren Ausbildung auf höheren Schulen und Universitäten. Abschaffung der Scharia und die Einführung ordentlicher Gerichte. Zivilrecht nach schweizer, Strafrecht nach italienischem und Handelsrecht nach deutschem Vorbild. Strikte Trennung von Kirche und Staat. Und das alles in einem Tempo, dass es einem die Sprache verschlägt: zB Umsatteln auf eine neue Schrift: lateinische Schrift anstelle des Arabischen. Wofür bei uns Jahrzehnte veranschlagt würden hat Atatürk seinem Volk ganze 3 Monate zugebilligt: Dann musste das vollzogen sein – neue Schulbücher, neue Straßenschilder – alles neu. Des Weiteren: Verbot von Verschleierung und Fes, der traditionellen Kopfbedeckung für den türkischen Herrn. Neuorientierung hin zum Westen und Umgestaltung zu einer modernen, säkularen Industrienation. Anders als viele Zeitgenossen seiner Ära hatte er sich nicht die Ausweitung des türkischen Staatsgebiets auf die Fahnen geschrieben und von den Nazis und Faschisten hielt er sich fern. Alles richtig gemacht! Was für ein Mann!
Um die Verwaltung zu modernisieren, waren die Türken aufgefordert sich mit einem Nachnamen auszustatten. Mustafa Kemal erhielt von der Nationalversammlung mit dem Gesetz Nr. 2587 vom 24. November 1934 den Namenszusatz bzw. Nachnamen Atatürk, Vater aller Türken, welcher mit dem Gesetz Nr. 2622 unter gesetzlichen Schutz gestellt wurde. 2 Gesetze nur für den Namen von Mustafa Kemal. Atatürk heißt sonst niemand auf der Welt! Auch nicht schlecht
Das Volk verehrte ihn und verehrt ihn bis heute. Seine Herabsetzung ist ein Straftatbestand. Und je größer das obligatorische Atatürk-Konterfei im Laden oder Restaurant – desto kritischer die Haltung zum gegenwärtigen Staatslenker, dessen politisches Programm so konservativ und rückschrittlich ist…. Und derzeit auch noch völkerrechtswidrig.
Wir suchen und finden erst die Schule und dann das Haus in dem Gülnaz als Kind gewohnt hat. So eine Überraschung – es steht tatsächlich noch und an der Tür steht noch ein bekannter Namen. Da wohnt tatsächlich noch die inzwischen über 90 jährige Großtante. Wir klingeln und werden eingelassen – es dauert ein bisschen bis das alte Tantchen sich erinnert, aber dann große Herzlichkeit, Hinein hinein, hinsetzen, Tee trinken, und tröpfchenweise kommt die Ver- und Bekanntschaft zusammengelaufen. Eine Spielkameradin aus Kindertagen, die damals schon neugierige Nachbarin und ihr Mann. Geschichten aus Kindertagen aufgewärmt. 40 Jahre haben sie sich nicht gesehen, das ist schon ein rührender Moment.
Wir besuchen die Prinzeninseln – so viel Wald, so ruhig und dörflich. Wir essen ein typisch traditionelles Fischbrötchen am goldenen Horn, mit gegrillter Makrele. Wir sitzen viel am Wasser und sehen den Booten zu, den Anglern, und genießen die Betriebsamkeit der Stadt – aber egal wo wir hingehen, Abends laufen wir die lange Straße hinauf zum Taxim und dann über die steilen Gassen zu unserer Wohnung, wo uns die unglaubliche Aussicht auf den Bosporus erwartet. Lichter, die sich im Wasser spiegeln, die Brücke, die letzten Vapor-Fähren, Frachter die ihre Bugwellen durch das Wasser schieben, kleine Fischerbötchen. Gegenüber die Silhouetten von Moscheen und die Hügel der asiatischen Seite. Mondlicht auf dem Bosporus. Es ist der Blick aus unserem Fenster, der den stärksten und bleibendsten Eindruck hinterlässt.
Bazar: Riesig quirlig üppig glitzerig bunt - das Gegenteil davon sind die Prinzeninseln: Die Skyline der großen Stadt sieht man noch zwischen den Pinien, aber hier draußen auf dem Meer ist nichts zu spüren von der Hektik Istanbuls. Hier stehen noch die traditionellen Holzhäuser, die auch mal das Stadtbild der Megametropole geprägt haben. Istanbul ist auch die Stadt der Katzen. Keine Straße in der nicht kleine Hütten und kein Hauseingang vor dem nicht Teller und Näpfchen mit Futter für die unzähligen Katzen der Stadt stehen. Die Katzen liegen faul auf den Straßen und sonnen sich auf den Autodächern - unbeieindruckt vom Treiben der Stadt. Kennt jemand den Baum, der so doldige Blütenstände austreibt? Lips? Papa? Irgendwelche Gärtner unter den Lesern? Kulturelles Pflichtprogramm: Dolmabahce Palast, einer der ewigen Uhrtürme, Hagia Sophia, goldenes Horn und vieles mehr aber jeden Abend und jeden Morgen freue ich mich auf den Blick auf den Bosporus
Griechenland
Mit dem Bus fahre ich nach Thessaloniki, … auf dem Weg nach Osten war im Frühjahr der Norden Griechenlands verschneit, zumindest aber verregnet und der Weg von Albanien über Mazedonien nach Istanbul zu winterlich. Entsprechend habe ich gerne die Abkürzung über Izmir genommen, einerseits bedauernd so die Stadt am Bosporus zu umfahren – gleichzeitig kenne ich das bergige Hinterland Griechenlands aus VW Bus Urlauben mit Lydia und den Kindern. Steil, einsam, unwegsam… da hatte ich zu Beginn meiner Reise noch arges Gruseln und hab mich lieber am Ufer bis nach Athen runtergehangelt. Jetzt liegen diese Berge zwischen Thessaloniki und Igoumenitsa und wenn ich ehrlich bin habe ich richtig Lust nach den 3 Rad-freien Wochen auf nochmal Höhenmeter und ein bisschen Abgeschiedenheit, bevor nach der Überfahrt nach Venedig die letzte Etappe nach München beginnt. Am 19. Oktober in der früh um 6 legt die Fähre ab und ich habe 6 Tage Zeit 500km und 5000 Höhenmeter abzuradeln.
Der erste Tag führt an die erste Kette heran, 90 km durch fruchtbares, flaches Schwemmland, das konsequent landwirtschaftlich genutzt wird, Baumwolle und abgeernteter Weizen. Die Straßen sind leer, selbst die Autobahn, an der entlang zu fahren leider alternativlos ist, stört kaum, so wenig Verkehr ist unterwegs. Es ist heiß und ich hüpfe in Kanäle, die Baumwolle etc bewässern, kalt und klar. Die Berge sind nah - nochmal ein bisschen Sommer.
Tags darauf – nur bergauf – es ist gestört wie steil die Straßen sind. Und in Kastania, einem Dorf in den Bergen, fast schon oben, nach 1500 Höhenmetern hatte ich zumindest einen kleinen Minimarkt erwartet – aber nichts gibt es hier – tipoda, wie der Grieche sagt, keine blöde Bar und nix. Ich würde gerne hier oben campen, auch wenn es gerade mal 40km sind, die ich gestrampelt bin. Aber dazu müsste ich ein bisschen Lebensmittel einkaufen für ein zumindest karges Abendessen. Einzig eine imposante Kirche steht hier oben – nochmal 200 Meter über dem Bergdorf – Kastania, das hatte ich mir so anders vorgestellt, mit Bar und Restaurant im Schatten von Kastanien. Dann schau ich mir halt die blöde Kirche an, denke ich mir, pumpe nochmal 200 Höhenmeter und roll die kleine Straße entlang, und siehe da: Restaurants und kleine Lädchen säumen den Parkplatz. Erleichterung! Von der Kirche hat man einen schönen Blick, … Griechenland hat bestimmt eindrucksvollere Ziele als diese Asphaltfläche, aber mir ist es wurscht, mit welchen Versprechungen Touris in die entlegenen Höhenzüge im griechischen Hinterland gelockt werden – solange ich mich mit der hellenischen Variante von Börek und einem derben öligen Abendessen auf Kartoffelbasis versorgen kann. Auf einem Bergrücken, ein paar Kilometer weiter finde ich einen der schönsten Campspots der Reise. Die Sonne geht inzwischen schon zeitig unter und während es tagsüber unter der Sonne am blauen griechen Himmel so sommerlich ist, dass ich mir bei Radeln den letzten Sonnenbrand der Reise leiste, wird es schnell frisch sobald die Sonne hinter den Bergen versunken ist. Vorher aber das Spektakel, das halt überall auf der Welt jeden Abend wieder einzigartig erscheint. Hier: kahle Bergrücken, weiter unten bunte Wälder, die in der Abendsonne leuchten, in den Tälern gehen bereits die Lichter an, krüppelige Kiefern werfen lange Schatten auf die Grasmatten.
In den Tälern kläffen sich die Hunde die Seele aus dem Leib, die ganze Nacht ein heiseres Wetteifern, aber weit genug weg um nicht wirklich zu stören. Aber natürlich Griechenland – mit all seinen elenden, bissigen, neurotischen, misshandelten und ewig bellenden Kötern. Vollkommen unerwartet bricht es plötzlich neben Dir los und vor Schreck fahre ich jedesmal einen Schlenker – oft in die Gegenfahrbahn, die in Griechenland zum Glück meist unbefahren ist – kein Verkehr: nur ich und die Töle, die jetzt neben mir herpest und nach meinen Taschen schnappt. Selten bin ich schnell genug, um einfach wegzufahren, jedesmal also bremsen, das Rad zwischen mir und der knurrenden Kreatur, die pantomimische Nachstellung des Stein-Aufhebens, wenn, wie meistens, grad kein geeigneter Brocken herumliegt und zum Wurf ausholen. Das wird verstanden und der Hund trollt sich, bis man wieder auf dem Rad sitzt und in die Pedale tritt. Halbherzig verfolgt und bekläfft komme ich davon. Niemals den Stein schmeißen – auch das verstehen die Viecher und dann werden sie echt grantig. Ich dachte ja ich bin inzwischen cool und furchtlos geworden nach 100fachen Hundebegegnungen – so ist es leider aber nicht. Es waren einfach die Hunde harmloser in den Ländern hinter Griechenland bis China. Hier ist sie zurück, die Sorge um meine Wadeln und Reifen und ich sehne mich nach meinem Waffenarsenal, dass ich auf dem Weg nach Osten von Albanien bis in den Iran geschleift habe.
Schilder warnen vor Bären und als ich in der direkten Nachbarschaft zu meinem Zelt einen Haufen Bärenscheiße finde packe ich doch noch meine Lebensmittel zusammen und hänge sie in den höchsten Ast, den ich in sinnvoller Distanz finden kann. Nachts höre ich eine Menge Lärm, Scharren, Grunzen, aber wie Bär hört sich das nicht an und als ich vor das Zelt schaue ist da natürlich nichts als die die große Einsamkeit unter einem weiten Sternenhimmel.
In der Früh finde ich meine Lebensmittel kalt und unberührt, koche meinen Kaffee aus den Restbeständen von türkischem Instantpulver und chinesischer Trockenmilch auf taunassem Boden. In den Tälern liegt der Bodennebel und Wind bläst eisig von den umliegenden Bergen. Ich warte auf die Sonne, die im Osten über die Bergrücken klettert um mein ungeliebtes Zelt reisefertig zu trocknen, jeden Tag dauert es länger, aber ich habe es nicht mehr eilig.
Nach Ioannina rolle ich nach einem langen Tag mit vielen Bergen und einer der schönsten und einsamsten Bergstraßen über eine kilometer-lange Abfahrt herunter zum See. Die Innenstadt schmiegt sich ans Ufer und ist dicht gepackt mich Kneipen und Restaurants. Trotzdem ist es schwer - nachdem ich meine kurze Phase des Fleischkonsums nach China nun für beendet erklärt habe - jenseits des lieblosen griechischen Salats aus den immer gleichen Angeboten etwas zu finden auf das ich nach einem langen Tag mit fast 2000 Höhenmetern Lust habe: Souflaki – vom Schwein, Rind und Huhn – alternativ auch Wurstsouflaki. Dann also doch der griechische Salat, ein Schafskäse vom Grill und eine Portion Pommes. Eine gute Wahl! Wenn man eine hungernde Großfamilie abfüllen will. Auf dem Trog, in dem der Salat angekarrt wird, liegt ein Stück Schafskäse von der Größe einer Pizza, nebst gegrilltem Schafkäse-Ziegelstein und einer Suppenschüssel voller öliger Kartoffelhackstücke. Ein Wasserglas Ouzo runden das Mahl ab bevor ich mich in mein Bett schleppe mit Wackersteinen im Bauch. Am nächsten Morgen liegt der Nebel wie Linsentrübung über dem See. Ab und an tauchen vereinzelte Möven aus dem Nichts auf und wieder ab, die Spinnweben an der Uferbrüstung sind schwer von Tau.
Die Straße aus der Stadt führt an einem Hang entlang aus der Senke und mit jedem Höhenmeter wird der Nebel heller, die Schicht dünner und dann stößt man durch zum blauen Himmel und es ist ein bisschen wie im Flugzeug, das im Regen gestartet ist und über den Wolken kann man sich kaum vorstellen wie düster und trüb es ein paar Minuten vorher noch war. Ein letzter Tag in den griechischen Bergen, sonnig und heiß und einsam mit kleinen Dörfern und Brunnen mit Trinkwasser. Abends schon bin ich in Igoumenitsa und in Vorfreude auf den ersten Badetag der Reise: Derselbe Zeltplatz auf dem ich im Frühjahr und gerade aus dem nahen Albanien kommend erstmals mein Zelt aufgebaut habe. Eine lange Sandsichel vor einer Lagune. Die Fähren nach Bari, Ancona und Venedig ziehen vorbei.
Den Abend verbringe ich aber weniger mit entspanntem Herumplanschen in lauen Mittelmeerbuchten sondern auf der panischen Suche nach Apotheken in denen die Mückenschutz Sprays noch nicht ausverkauft sind: Die Mückenplage ist das dominierende Thema der wenigen Urlauber, die nicht schon entnervt in die Berge geflohen sind. Ein ungewöhnlich warmer Sommer und Herbst, immer noch 20°C am Abend und aus den Tümpeln und dem stehenden Brackwasser erheben sich dunkle Wolken singender Mosquitos. Beine, Arme, Rücken, Die Knöchel, Hals, Stirn und Ohren, Handrücken, .... so schnell schaut man nicht, so schnell kann man gar nicht zuschlagen, dass nicht eine der vielen Angreifer durchkommt, und irgendwo seinen gierigen Rüssel in die ungeschützten Hautpartien, gerne aber auch durch Hemd und Hose sticht. Aber wenn mein ungeliebtes Zelt auch nicht wasser- ist, so ist es zumindest mückendicht – das zumindest sollte man aber auch von einer skandinavischen Zeltschneiderei erwarten dürfen. Die Reise bleibt ohne Badetag.
Morgens um 6 legt am 19. Oktober die Fähre nach Venedig ab und 24 Stunden später beginnt in Mestre die letzte Etappe über die Berge zurück nach München
6 Tage und 5000 Höhenmeter - Sommer über tags und Herbst am Abend. Eine Nacht nur in Thessaloniki, dann gehts in die Berge. Nebel in Ionannina und die Lichter von Igoumenitsa - Mein schönes Rad und dann verschwindet es im Bauch der Fähre bis Venedig
Italien
Auf der Fähre lerne ich eine jungen Schweizer kennen, Cedric, der sein Rad auf den griechischen Inseln Probegefahren ist bevor er nächstes Frühjahr seine Radreise nach Indien und weiter beginnt. Und weil er noch nicht nach Hause will und einen Haufen Fragen hat fahren wir gemeinsam bis Meran.
In Mestre kommen wir im Morgengrauen an, in dichtem Nebel finden wir in der ersten italienischen Cafebar die besten Brioches der Welt – in dem Moment gibt es nichts Großartigeres als die vanilleduftenden Hörnchen und den Cappuchino. Aus dem Nebel taucht eine Reiseradler auf, rasant sticht er an uns vorbei und verschwindet wieder im Nichts – 10 Sekunden später hören wir das Quietschen der Bremsen und langsam rollt das Rad zurück zu uns – jetzt sitzen wir zu 3. an dem kleinen Bistrotischen, holen abwechselnd Brioches und Kaffee aus der Bar und erzählen uns wilde Geschichten aus dem fernen Osten bis der Nebel sich lichtet und die Sonne die Straßen trocknet. Bis Bassano sind es keine 70 Kilometer, im Hostel sind wir fast alleine – und ein paar wenige Gestalten, die schon auf dem Hinweg hier als Dauergäste untergekommen waren, erkenne ich wieder. Ich erinnere ich vage an ein aus dem Ruder gelaufenes Gespräch mit einem Lehrer, der sich dem Englischen nicht mächtig unsäglich über Schäuble erregen konnte. Der ist immer noch da, raucht immer noch Kette, kommt daher, fahrig und nervös, wie ein verfolgter Ostblock-Intellektueller mit chronischem Liebes- und Lebenskummer und macht einen verdammten Krach im Dormitory als er abends betrunken den Weg in sein Bett sucht und morgens verkatert in seine Hosen steigt. Von Bassano radeln wir über das Brenta- und das Valsugana Tal nach Trento. Auf dem Hinweg habe ich mir hier die Füsse erst steifgefroren und dann in einer einsamen und düsteren Kneipe an einem bollernden Holzofen wieder aufgetaut. Ich erinnere noch so gut das Licht auf den Felsen und die kleinen Dörfer im Schatten der Berge. Das fühlt sich an wie ein ferne Erinnerung aus einer lange vergangenen Zeit und es sind doch nur 9 Monate. Hinter Trento campen wir illegal am Etsch und erproben auf dem Weg nach Bozen die geschmackliche Bandbreite der angebauten Apfelsorten. Eine Parmäne wird unser Favorit und einen Tag lang fragen wir die Obstbauern ob wir uns zwei Äpfel pflücken dürfen, sitzen in der Sonne und entscheiden zwischen sauren und süßen Noten. Die Parmäne ist einsamer Star unter den Äpfeln Südtirols. Cedric ist Gärtner und kennt sich aus. Vor Bozen trennen sich eigentlich unsere Wege aber ich begleite ihn noch auf dem Weg nach Meran. Schon auf dem Weg zurück nach Bozen beginne ich Cedric zu beneiden um das Abenteuer, das noch vor ihm liegt. Und gleichzeitig freue ich mich so auf die nächsten Tage
Brenner
Wie lange muss man eigentlich fahren, um so stark zu sein dass einem die Beine nicht mehr wehtun? So hoch ist der Brenner nicht – so weit ist es nicht aus Bozen hoch. Und trotzdem brauche ich die ganze Zeit bis 16:00 Uhr, kaum eine längere Pause ist drinnen – aber um 16:00 Uhr kommt Freundin Gülnaz mit dem Zug am Brenner an. Die paar Minuten bis vier Uhr warte ich auf sie in den letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages. Zug kommt, Wiedersehen am Bahnsteig! Zu zweit unterwegs! Die verbleibenden Kilometer bis München fahren wir zusammen, und auch Michi, mein Bruder hat sich angekündigt. Zum Brenner kann man bequem mit der Bahn fahren – aber auch unbequem aus Mittenwald mit dem Rad. Über Leutasch ins Inntal und dann aus Innsbruck auf den Brenner, das sind 90km und 1400 Höhenmeter, da weiß man auch was man getan hat, auch mit einem Rennrad. Um 5 Uhr, da ist die Sonne hinter den Bergen verschwunden und nichts ist mehr warm, sondern frostig, kommt er raufgeschossen. Rennrad. Knieschmerzen. Offensichtlich sehr froh anzukommen. Ich freu mich auch. So lange haben wir uns nicht gesehen. Zu dritt unterwegs.
Am nächsten Morgen rollen wir aus Steinach nach Innsbruck: Mira, mein liebes Kind, und mein kleiner Bruder Thomas wollen hier zu uns stoßen. Auch Mira habe ich so lange nicht mehr gesehen, ich sehe sie neben Thomas am Bahnhof noch bevor sie mich entdeckt – oder erkannt hat mit all dem Bart in meinem Gesicht. Ab jetzt sind wir zu fünft.
Auch das Heimkehren ist eine kleine letzte Herausforderung und ich bin sehr zufrieden mit dem langsamen nach Hause radeln in einer kleinen Gruppen von Menschen die mir so vertraut und lieb sind und die ich so oft so sehnlich vermisst habe. Auf dem Rad haben wir Zeit uns zu unterhalten, endlich, und wie schön. Das Radeln macht alles ganz ungezwungen. Irgendwo zwischen Innsbruck und Telfs machen wir eine Pause und essen bestenfalls halb-feierlich eine Suppe, die ich in Italien gekauft habe – Italien! Auf dem Hinweg! Im Frühjahr. 9 Monate transportiert, durch 17 Länder, …. Weitgereisteste unter den Reisesuppe, da darf sie auch nur mäßig gut schmecken.
Letzter Einsatz von Kocher und Kochgeschirr.
Hinter Telfs hat die Subduktion der afrikanischen Platte unter den eurasischen Kontinent die Erdkruste zu einem letzten machtvollen Riegel aufgeworfen, der das Inntal vom bayerischen Voralpengürtel trennt. Unüberwindlich schiebt sich ein gewaltiger Felsrücken in die Passage nach Norden, ein steiler Pfad erklimmt den Pass in schwindelnder Höhe. Eisig der schmale Pass in den Wolken… Nicht ganz. Kein Schnee. Nicht eisig. Es geht auch nicht bis in die Wolken - Aber es ist schon steil, und wir plagen uns ein letztes Mal 600 Höhenmeter von Telfs nach Leutasch. Manche plagen sich sogar ein bisschen mehr. Aber belohnt werden wir alle, weil die Blicke über die herbstlichen Wälder so grandios sind, weil wir so lange getrödelt haben steht die Sonne schon tief und die hohe Munde ragt in den Abendhimmel, dass man denkt: Yosemite. Aber es ist nur Tirol und wir sind schon fast da. Das Hochtal, in dem Leutasch liegt, ist so ruhig, und grün und schon wieder ist es kalt, weil die Sonne hinter den Bergen verschwunden ist. Wir rollen bis zum weissen Rössel, einer Jugendherberge, in der ich auf dem Hinweg meine zweite Nacht verbracht habe. Arturo hat in der Herberge gearbeitet, er selbst ein gewetterter und erfahrener Weltumradler und Dauerreisender, hat mich damals als Couchsurfer untergebracht. In dem Hostel – weisses Rössel! Von ihm stammt die sehr weise Erkenntnis, dass man erst wirklich frei reisen kann, nachdem man das erste Mal auf einer Parkbank übernachtet hat. Und tatsächlich hat es eine ausgesprochen beruhigende und befreiende Qualität zu erkennen, dass selbst auf einer Parkbank eine Nachtlang Ruhe und Frieden und Schlaf problemlos möglich ist: Was kann dann schon noch Schlimmes passieren?
Im Herbst noch schöner als im Winter ist Bozen, der Weg zum Brenner rauf dauert und so ist keine Zeit für Kaffee-Pausen in Klausen und Brixen und all den kleinen hübschen Käffern. Dann freudiges Wiedersehen mit Gülnaz und Michi,Thomas und Mira.
Abschiedsgedanken an die Vielen, die mit mir gefahren sind:
So viele Begegnungen und so viele Radfahrer mit denen ich Abschnitte der Reise geteilt habe: Thomas, mein Bruder, begleitet mich auf den ersten Kilometern am ersten Tag vom Marienplatz nach Lenggries. Es bleibt auch ein denkwürdiges Photo meines halbbekleideten Bruders an den Isarauen.Und ein Freund aus Studententagen, fährt mit mir von Steinach zum Brenner hoch, nachdem ich mich zwei Nächte bei ihm auf dem Gästebett ausruhen konnte von den Strapazen der ersten ZWEI!!! Tage. Danke, nochmal! Der Weg nach Steinach war schwer. All der Schnee und ich war schlicht erschlagen von der Strecke die vor mir lag...
Dann fahre ich lange alleine und erst in Griechenland begegne ich Kaiichi und seiner Freundin, 2 Japanern, die seit MEHREREN Jahren gemeinsam um die Welt radeln. Wir treffen uns in Patras und wie zwei Raupen schieben sie sich mit ihren aufgepackelten Ungetümen aus einer kleinen Gasse auf die Hauptstraße. Dort entdecke ich sie. Zwei Tage später treffen wir uns wieder auf dem Weg nach Athen und fahren eine knappe Stunde zusammen, aber schon bin ich zu ungeduldig – in dem Tempo BRAUCHT man mehrere Jahre um voranzukommen – und die hab ich nicht. 40 Minuten: Das bleibt die kürzeste gemeinsame Radelstrecke.
Im Süden der Türkei, am Strand von Patara treffe ich einen Monat später Sarah und Pedro, sie schlafen am Strand und ich in der Flower Pension, in der ich auch den zweitsinnlosesten Gegenstand in meinem Reisegepäck zurücklasse. Um 10 Kilo erleichtert und bis auf weiteres ohne die Option irgendwo gleitbeschirmt herumzusegeln fahren wir tags darauf zu 3. in Richtung Kas, treffen dort auf 2 junge Herrschaften mit ihrem Sohn, die uns auf ihren Katamaran einladen. Einen Tag hängen wir in der Bucht, einen Tag segeln wir tatsächlich und am 3. Tag verlässt mich die Muße mit dem endlosen Bestaunen des wahrhaft traumhaften Wassers, der Sonne, des Bootes – alles ganz fabelhaft aber irgendwie ist es mir auch zu fett und zu satt - …. Und schon ist es wieder vorbei mit dem gemeinsamen Unterwegs sein: Pedro und Sarah haben mehr Ruhe. Aber ich muss ein paar Tage später in Zentralanatolien bei Gülnaz aufschlagen.
In Kappadocien verbringen wir, Gülnaz und ich zusammen ein paar Tage bevor wir nach Norden aufbrechen – Gülnaz mit dem 1A-Top Leihfarad aus Kayseri und von Göreme über Kozakli, Yozgat, Bogazkale, Corum und Amasya kommen wir nach Samsun. Und wie traumhaft ist Zentralanatolien im Frühjahr, wenn es noch grün ist. Und Amasya. Und Bogazkale und die Hethiter. Bestimmt eine der schönsten Etappen in der Türkei. Und wir zelten zusammen und übernachten in Kurhotels mit stinkenden Belebt-Schlammbecken. Und die anatolische Ebene ist ein wenig hügelig, wird festgestellt. Gülnaz: Groundcontrol in München und liebevolle Begleitung in Anatolien; es hat schon eine ganz andere und neue Qualität, mal nicht allein unterwegs zu sein und es dauert bis ich mich wieder an die Einsamkeit danach gewöhnt habe. Aber wir sehen uns bald wieder. Nach Tiflis sind es nur noch ein paar Wochen. Jedes Treffen ist auch ein bisschen aufatmen und durchschnaufen. Gülnaz bleibt ja eh bei mir, verbunden solange es die Telefon- und Computernetze erlauben. Ganz alleine bin ich nie.
Sarah und Pedro treffe ich wieder in Georgien und zusammen fahren wir eine Woche lang bis nach Tiblisi über eine der verlassensten Hauptverbindungsstraßen der ganzen Reise. Es gibt nicht beliebig viele Verbindungen nach Tiblisi, immerhin die Hauptstadt, und wir befahren eine der beiden Hauptrouten. Viel Verkehr gibt es nicht. Bei einer Radlpanne treffen wir zufällig zwei VW Bus Reisende mitten in der schlimmsten Wildnis – die sich ebenfalls zufällig (!) eine Stunde vorher getroffen haben. Einer ist Mechaniker und hat zufällig (!) die genau passende Schraube in seinem Werkzeugkasten (Tatsächlich hat der aber JEDE Schraube der Welt in seinem Werkzeugkasten). 3 Räder und zwei Busse: Das ist das maximalste Verkehrsaufkommen, das die Straße je erlebt hat. Nach Tiflis trennen sich die Wege – und kreuzen sich noch einmal in Armenien. Nochmal verbringen wir ein paar gemeinsame Tage und erkunden die Täler, die von den eh schon miesen Straßen wegführen, irgendwelche Schafspfade haben es Pedro am meisten angetan. Belohnt, reich belohnt werden wir aber jedesmal von Einsamkeit und den unberührtesten Winkeln im niedrigen Kaukasus. Erst nachdem wir die Grenze zum Iran gemeinsam überquert haben trennen sich unsere Wege. Für diese Reise endgültig. Sarah und Pedro sind die Perfektionisten in jeder Hinsicht – nicht erzwungen, sondern einfach, weil sie das alles so perfekt drauf haben: Navigieren, Schrauben, Kochen und selbst Brot backen sie, abwechselnd führen sie das Logbuch, gewissenhaft haben sie die Statistiken ihres Reiselebens im Auge, zueinander sind sie so verständnis- wie liebevoll. Jeden Tag warten sie bis auch ich endlich mein Rad fertig gepackt habe. Neben so viel beispielhafter Klasse nimmt sich das eigene Gewurschtel fast schon verunsichernd aus…. Werde ich auch allein bestehen? Wenn sich die Wege wieder trennen? Pedro und Sarah: ich habe euch sehr gemocht. Gerade sind sie in China und kämpfen sich bei klirrenden Minusgraden durch den Himalaya: Sie werden auch das meistern, weil sie es so drauf haben. Perfekte Reisende
Im Iran begleitet mich Aryan von Tehran bis nach Mashad im Osten. Erst mit ihm lerne ich den Iran kennen. Menschen, die mir sonst auf Farsi ein paar Worte zurufen und die ich verständnislos und schulterzuckend abtropfen lassen muss, können endlich mit uns reden. Paschtunen lernen wir kennen samt ihrer traditionellen Großfamilie, und Jugendliche, die hinter der Moschee Opium rauchen und Schnaps trinken, weil sie Tags drauf beim Militär einrücken müssen. Geschlafen wird, wo man aus den Pedalen fällt, unter anderem in öffentlichen Parks, die für nächtliche Besucher Plattformen zum Campen und sorgsam sauber gehaltene Waschräume vorhalten. Großfamilien mit Stapeln von Teppichen und Matratzen errichten kleine Zeltstädte und die Kinder toben bis nach Mitternacht. Mit Aryan lerne ich das Fürchten im iranischen Verkehr.
In Bukhara treffe ich Philip. Ich will nicht alleine nach Samarkand und besuche das ausgewiesene Cyclist-Budget-Hostel. In der Tat steht da ein Reiserad und ich hänge meine Telefonnummer an den Lenker. Abends habe ich eine kurze Nachricht auf meinem Telefon und zwei Tage später rollen wir gemeinsam los auf die längste gemeinsam beradelte Distanz meiner ganzen Tour. Mit Unterbrechungen kommen wir gemeinsam bis nach Osh, das sind 1900km. Philip hat einen zarten Gastrointestinaltrakt und so kann er Zeugnis geben von all den furchtbaren Klos, verschissenen Verschlägen, stinkenden Abtritten und in schillernden Worten glaubhaft den nächsten Tiefststand in Belangen der Hygiene beklagen. Dies und alle „infuriating design flaws“ die uns auf den gemeinsamen Etappen begegnen. Und das sind viele. So britisch, so lustig und soviel echte gefühlte Verzweiflung über all die Dinge, die so unnötigerweise so schlecht sind, so viel schlechter als sie sein müssten. Wir haben viel gelacht – erst zu zweit und dann zu dritt nachdem ich in Dushanbe, Taijikistan, Nico getroffen habe.
Nico aus Frankreich, Physiotherapeut und er wacht so sorgenvoll über das Wohlbefinden des eigenen Körpers wie das tadellose Funkionieren des Rades. Aber nicht nur des eigenen – auch Mitreisende sieht er analytisch: Krumm gehen, schiefe Haltung, asymmetrisches Treten in die Pedale. Nichts entgeht dem Blick des Physiotherapisten und so ist es ganz komod, dass er schneller ist und ich oft hinter ihm radl. Und er kümmert sich um die verspannt und krumm gebeugten Radfahrer und Reisenden und ihre Räder. Massage, Übungen, Korrektur von Haltung für den Menschen, Kettenspannung und Feineinstellung der Umwerfer für das Rad. Nico ist ein Kindermagnet und so viel freundlicher und geduldiger als ich. In seiner Lenkertasche schlummert das Ungetüm einer Spiegelreflexkamera und alle Kinder Taijikistans sind eingeladen an dem Objektiv herum zu drehen oder im Monitor Filmchen anzusehen. Ich steh daneben, von den Einheimischen weitgehend ignoriert – wieviel netter Nico ist, muss sich irgendwie metaphysisch vermitteln. Nicht nur die Menschen lieben Nico, auch die Fliegen, Mosquitos und Bremsen. Mehr als mich. Und so bin ich mit dem Deal ganz zufrieden. Nico kann mit einer Engels Geduld Einheimische nach dem Weg fragen – niemals würde ich länger als ein paar Sekunden zuhören, wenn alle Befragten in irgendeine beliebige Himmelsrichtung deuten. Niemals würde ich denken, dass man so am Ende das gesuchte Homestay oder den erbärmlichen Lebensmittelladen doch noch findet – aber der Erfolg gibt überraschend oft ihm Recht und nicht mir.
In Khorog trennen sich unsere Wege, als ich wegen Aprikosenkotzung einen zusätzlichen Pausentag nehmen muss, aber just an diesem Tag holt mich Philip wieder ein, der nach eine Odyssee entlang der Latrinen ausgemergelt im Hostel aufschlägt. Philipp wollte unbedingt ein bisschen wandern in den Bergen, kostete dann aber ein wenig von der taijikischen Hausmannskost, die ihm am Wegesrand angeboten wurde. Ein folgenschwere Fehler, freilich. Konvulsives Erbrechen und Spritzdurchfall, niedergestreckt auf schmuddeligen Pritschen wandert er weniger als erhofft. Um zu uns aufzuschießen hat er auf einem Laster ein paar Tagesetappen überspringen können. Auf dem Weg ins Wakhan Valley wartet Nico auf uns und bis Osh in Kirgistan sind wir von da an gemeinsam unterwegs. Die beiden fahren noch bis Bishkek und von da nach Hause – nach China wollen tatsächlich eh nicht so viele. Der Abschied von den beiden fällt richtig schwer.
Die letzten 2 Tage in Kirgistan, von Sary Tash bis an die chinesische Grenze und von dort bis Kashgar schließt sich mir ein kanadisches Pärchen an, Trevor and Emily, gute Bekannte von Mitch und Jossy aus Australien, die auch immer in Tagesetappen-Nähe von uns, Niko, Philip und mir, unterwegs waren. China schweißt zusammen: Gemeinsam Sorgen vor dem Grenzübertritt, gemeinsam die Soft- und Hardware präparieren, um nicht enteignet zu werden, Kontrollen und Verfolgung von der Polizei, mal freundlich und mal einschüchternd. Super Essen in China, egal in welche Bude wir laufen aber wirklich furchtbar Essen wenn wir selber kochen. Auch wenn wir nur wenige Tage zusammen sind erleben wir soviel zusammen. Die beiden fahren hinter Kashgar zurück in den Karakorum und wollen durch Pakistan nach Indien oder Nepal.
Zuletzt treffe ich Cedric, den schweizer Anarch- und Apfelspezialisten, auf dem Weg zurück in den Westen, auf der Fähre von Igoumenitsa nach Venedig. Und Michi Gülnaz Thomas und Mira für die letzten Kilometer – das sind sie: alle meine Mitfahrer.
Alle sind Teil dieser Reise geworden und wenn ich von einem meiner Wegbegleiter spreche fallen mir sofort die Zeltplätze, die Routen, Sehenswürdigkeiten und Landmarken wieder ein, die
Widrigkeiten des Wetters und die Fiesheit von Insekten, die erfolgreichen Beutezüge in den winzigsten Läden in den entlegensten Nestern: Von Trockenobst bis Sojafleischersatz! Bädern in eisigen
Flüssen und schwefeligen Quellen. Verlobungsfeiern am Straßenrand. Nächtliche Abfahrten auf der Autobahn im Mondschein. Erwartungsvolle und sorgenvolle Grenzübertritte, Pässe in Armenien und im
Pamir. Abschiede und Wiedersehen.
Thomas beim ersten Kleiderwechsel nach maximal 3 km, nackend in den Isarauen, Ralph und ich versuchen gemeinsam verzweifelt in die Kamera zu schauen, Kaichi mit Freundin in Griechenland, Sarah und Pedro in der Türkei: Der Versuch Pedros formvollendeten Sprung zu dokumentieren. Immerhin: gestreckte Zehen beim Abtauchen. Die Flamme Anatoliens in Kappadokien (a) und unter Vollbesegelung (b). Pedro Sarah und ich - wiedervereinigt als georgian campfirecyclists. Philip mit einer sehr großzüggen Ladenbesitzerin: Immer wieder kam sie raus mit Kaffee und Keksen und Wasser für die Fahrt. Nico und Philip in Tajikistan, Treveor und Emely in Kirgistan, unser illegaler Zeltplatz vor Kashgar und unsere Räder zwischen e-Rollern, die in China das Rad abgelöst haben. Zuletzt Cedric, der seine Reise noch vor sich hat.
die letzten 100 Kilometer
Und dann, am letzten Tag nach Feldafing, zu Mama und Papa; Leutasch verlassen wir nach sehr ausführlichem Frühstück später als ursprünglich geplant – nach Feldafing sind es noch knapp 100km. Der letzte Tag. Wieder ist der Himmel blau und der Morgen eisig. Hinter Leutasch versinkt die Straße in der Geister-Klamm und wir rauschen die Serpentinen nach Mittenwald herunter. Steil ist das und am Tag 2 meiner Reise musste ich das abends im Schnee heraufkurbeln – Wir bremsen nur einmal um am Grenzschild nach Deutschland in einer Photostrecke den letzten Grenzübertritt nach Deutschland zu dokumentieren. Fahrradwege, die auf dem Hinweg verschneit waren, ersparen uns die B11, die Isar fließt neben uns wie Glas und Thomas träumt von Bachforellen. Im Walchensee spiegeln sich die herbstbunten Wälder und das Licht lässt das Laub am Ufer leuchten. Was für ein schönes Land, dieses Bayern.
Und was für ein Verkehr. Goldene Herbsttage treiben die Münchner Gelände- Renn- und Sportwagen aus der Garage und vital gereifte Herren peitschen ihre 6 Zylinder in die Voralpen. Hier stehen sie nun wie die Kühe vor dem Stall und versuchen den letzten verbleibenden Parkplatz zu finden zwischen Garmisch und Bad Tölz. Mann gegen Mann. Übellaunig stinken Porsches neben VW Bussen und scannen missgünstig die Straßengräben, nach verbleibenden Fleckchen auf den zugeparkten Grünstreifen. In Kochel trinken wir nochmal irgendwelche Schorlen und teilen und Pommes. Hinter Benediktbeuern verwirrt mich die Wegführung beider Naviprogramme, wir fahren sinnlose Schleifen um der Hauptstraßen zu entgehen, Penzberg zieht sich und das „Roche“ – Schild am Ortsausgang schickt einen ersten Arbeitsgruß. Hier ist alles schon sehr bekannt, so oft bin ich hier mit dem Rad oder dem Motorrad aus Lenggries kommend nach Feldafing zurückgefahren. Vor Seeshaupt reißt unser Grüppchen kurz auseinander und bei Seeseiten hab ich Gelegenheit den Starnberger See zu bewundern, Schilfgürtel, Wald bis zum Ufer, dazwischen die satten Wiesen und jetzt schon ein bisschen an den Horizont gerückt, die Berge, Benediktenwand, Brauneck, Herzogstand, …. Weit ist es jetzt echt nicht mehr. Nach Bernried runter, Buchheim Museum auf der rechten Seite, noch 5 km nach Tutzing. Die Sonne steht tief, lange Schatten und immer wieder warten Michi, Thomas und Mira auf Gülnaz und mich am Wegrand. Das Laub ist tief und nass und zwischen Tutzing und Feldafing blökt uns tatsächlich nochmal ein in farbenfrohes Schwarz gekleideter Rennradler an – aus der Düsternis pfeilend und im Abend verschwindend, ein rotes Mikrobirnchen leuchtet stecknadelkopfgroß versteckt unter seinem Sattel …. Seine Anschnauzung bezieht sich auf den Umstand, dass wir für die verbleibenden wenigen Kilometer nicht noch die Lichter aus den Taschen kramen wollten und nun offenbar schwer zu sehen sind. Sagts und verschmilzt mit dem Abendwald, …. Aber es dämmert natürlich wirklich, die Autos fahren bereits mit Licht und das Golf Hotel Elisabeth leuchtet am Ortseingang von Feldafing. Wir haben uns für abends angekündigt, ich denke wir werden bereits erwartet. Als ich hinter der Ortseinfahrt, links nach oben, vorbei an der Bäckerei nach Feldafing hereinfahre, den Weg den ich frage-nicht-wie-oft schon hochgeradelt bin, fällt es schwer zu glauben, dass ich gerade von einer so langen Reise nachhause komme. Der Anfang und das Ende der Reise schließen sich wie ein Blase um dazwischen liegenden Monate des Radfahrens und die Zeit fließt daran vorbei, als wäre ich vor 3 Tage das letzte Mal die paar Meter hochgeradelt. Dann den Hang runter, man sieht die Gleise und davor führt der Weg rechts zum Haus der Eltern. China und der Pamir, Iran und alles ist gerade so weit weg und es fühlt sich einigermaßnunwirklich an. Michi Thomas und Mira sind schon ein paar Meter vorgefahren aber warten auf mich, Gülnaz kommt hinter mir den letzten Buckel raufgeschnauft. Ich denk, die wollen mir für die letzten Meter den Vortritt lassen. Alles klar: Und dann fahren wir die letzten paar hundert Meter bevor es ganz dunkel wird.
heimradeln!
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Hans (Donnerstag, 14 November 2019 07:42)
Wow. Was für ein Trip.
Und was für ein Jahr.
Vielen Dank Stefan, dass du uns alle mitgenommen hast. Ich weiß gar nicht, wie oft ich deine Einträge gelesen habe, auf die nächsten Insta Posts und v.a. Blogs gewartet habe - zum Teil aus reiner Neugierde, wie es weitergeht, aber auch um dadurch Gewissheit zu haben, DASS es weitergeht - und dich nicht irgendwelche wilden Hundemeuten oder Monster-Trucks in den Straßengraben gezerrt oder geschoben haben.
Ich kann dir sagen, es war schon eine tolle Erfahrung, mittels deiner Geschichten ein ganz klein wenig an deiner Reise teilhaben zu können - aber es schwang durchaus auch immer mehr als nur eine Prise Neid, und vor allem sehr viel Hochachtung mit, wenn man dein Fortkommen so verfolgen konnte, auch wenn es natürlich vom meist bequemen Schreibtischstuhl aus vollständig unvorstellbar ist, wie man so was hinbekommt.
Und wie sagte unser lieber Freund Max gestern Abend doch, als wir uns wieder (mal) über dich und deinen Trip unterhalten haben:
"Der Stefan war ja eh schon immer unser Held, aber womit sollen wir denn nach DIESER Aktion jetzt noch jemals um die Ecke kommen?"
Damit ist alles gesagt.
Schön, dass du wieder da bist.
stef (Donnerstag, 14 November 2019 11:02)
Hi Hans - ich freu mich immer zu hören, dass meine Blogeinträge gerne gelesen wurden. Was sich aus der Distanz der geduldigen Leser als sehr abenteuerlich ausnimmt, vielleicht als mutig oder verwegen, das ist oft gar nicht so wild. Wenn die Straße schlecht sind, braucht man halt ein bisschen länger. Aber Zeit hat man ja. Wenn das mit der Sprache so gar nicht klappt, ... irgendwie findet sich jemand der übersetzt. Ich hab auf der Reise mehr Hilfsbereitschaft erlebt als Situationen, die irgendwie "gruselig" waren.
Das ganze ist einigermaßen "geerdet", wenn man es selbst durchlebt; geerdet und absolut machbar.
Komm doch einfach für eine Etappe mit, wenn ich hoffentlich etwas Ähnliches in (hoffentlich) absehbarere Zeit wieder mache.
Und bis dahin haben wir noch oft Gelegenheit zu ratschen - darauf freue ich mich schon auch
Lydia (Samstag, 16 November 2019 22:02)
Lieber Stef,
ich gratuliere dir zur tollen Reise - und zur erfolgreichen Heimkehr. Ich kann dem Hans nur zustimmen: gierig haben wir zehn Monate lang auf den nächstens Blog-Eintrag gewartet - beim Lesen neugierig, erstaunt, belustigt, beeindruckt - und immer mit diesem Fernweh, mit diesem leichten Ziehen im Bauch, das erst verschwindet, wenn man selber in unbekannte Gefilde unterwegs ist. Es ist einfach toll dass du das gemacht hast - und noch toller, dass du heil und mit so vielen Geschichten wieder gekommen bist.
LG Lydia
Christian (Sonntag, 24 November 2019 08:14)
Servus,
freut mich auch, dass Du heil und gesund wieder da bist. Dein Blog wird mir fehlen. Dachte, mit der Ankunft in Peking sei schon Schluss, und so war es eine angenehme Überraschung nochmal von Istanbul nach München auf virtuelle Tour mitkommen zu dürfen. Am Ende bleiben die Begegnungen - wie schön und beruhigend. Bin gespannt, wie sich die Rückkehr in den Alltag anlässt und würde mich freuen, Dich in München zu sehen.
Herzliche Grüße,
Christian
Christian (Sonntag, 24 November 2019 08:19)
ps: würde mich interessieren, die Ausrüstungsliste zu sehen, mit der Du in Peking ankamst, im Vergleich zur ‚Aufbruchsliste’.
Gigsi (Donnerstag, 23 April 2020 22:24)
Selbst ich werde ganz rührselig emotional, wenn ich das lese. Wie muss es dir da gehen?
Die Tour durch Anatolien war wunderschön, wenn auch partiell überschattet. Istanbul war fast schon magisch, wenn auch partiell auch überschattet...der Schatten war irgendwie oft dabei, oder?
Wie schön doch eine Welt ohne Schatten wäre...
Dennoch, es bleiben wunderschöne Erinnerungen.
Und die kann einem bekanntlich eh keiner nehmen.
Schön!