Die letzten 1000 Kilometer

Von Zhongwei und dem erbärmlichen Sha Hu – dem Sandsee – führt die Route weiter nach Norden. Die Provinz Ningxia verlasse ich auf einer Brücke über den gelben Fluß und bin in der inneren Mongolei. Keine Schönheit, eher so das Ruhrgebiet: Industrie, Bergbau, flach. Allerdings dünn besiedelt – zwischen den Städte liegen schnell mal 300km, dazwischen Landwirtschaft und Wüste. Im Norden verläuft ein Gebirgszug von Ost nach West, dahinter schon die Mongolei, nicht die chinesische Provinz sondern die Republik. Auf den Straßenschildern werden die Städtenamen jetzt neben den chinesischen Zeichen in Mongolisch angezeigt. Die 3. Schrift nach Arabisch im Xinjiang und Tibetisch in Gansu und Sichuan. Ab Bayannur führt die Straße nach Osten, geradlinig über Baotou, Hohhot und Jining bis es in der letzten Provinz, Hebei nach Südosten und Peking zugeht. Noch 1000 km

 

 

1) Reisender auf den Pfaden der Trostlosigkeit

 

 

Den See, Sha Hu, habe ich dann tatsächlich nicht gesehen. Vielleicht wäre nach einigen Kilometern entlang irgendeiner zaungesäumten Straße und ewig gleichen Blumenrabatten ein Blick über gelbes Wasser und sandige schlammige Ufer möglich gewesen – draußen auf dem Wasser hätten Dschunken-Imitate den morgendlichen Andrang von Touristen aufgenommen und in Richtung der touristischen Verheißungen verfrachtet: Pyramiden-Attrappe! Sessellift auf die Düne - selbst eine Sphinx haben sie da hinbetoniert, so jubelt eine englisch-sprachigen Broschüre. Kulisse für die Kamele, die dann beladen mit rauchenden Chinesen einige wenige Minuten über die Düne schaukeln. Ich hab genug gesehen von diesem Elend. Es ist ein flaches Mückenparadies, der Blick nach Norden: Marschland bis zum Horizont, das Auge findet Halt nur an den Schornsteinen und Hochspannungsleitungen.

 

Ich bau mein Zelt ab - Inzwischen hat eine Truppe Gehweg-beselnder Gärtner sich neben meinem Rad eingefunden, um gemeinsam zu rauchen, den Touri zu begaffen und sich dann und wann aus dem Rachenraum einen gelben Rotzbatzen hochzuziehen und vor sich auf den Asphalt niedersinken zu lassen. Nichts wie weg hier.

 

Mein Weg führt zurück auf die Straße nach Norden, Ackerland, ich durchfahre höchst eigentümliche Städte, Provinznester in der Städteplaner und Monumentalarchitekten sich zum Wettprotzen getroffen haben – 8 spurige Kreuzungen und Straßen mit Fahrbahnbreiten, dass die angrenzenden Prachtbauten in die Ferne rücken. Sozialistische Paläste, in denen sich die Stadtverwaltung oder ein obskures Referat des Politbüros verschanzt – und was für Betonplattenburgen haben sie da errichtet für die glückselige Bevölkerung: Chengguan? Nichtmal Wikipedia kennt diesen Ort. Bedeutsam wie ein Kaff im Outback hinter dem Erdinger Moos: Niederneuching, Maierklopfen, Urtl, … aber hier natürlich Millionenstadt. Dahinter wieder flaches Land und Mais und Sonnenblumen und Kürbis, soweit das Auge reicht.

 

Es gibt unterschiedliche Kategorien an Straßen – die Expressways – echte Autobahnen, mautpflichtig und Radfahrern nicht zugänglich. Die G-Klasse, übergroße Bundessstraßen, die ganz China wie eine Netz überspannen und kleinere Straßen der S- und X-Baureihe. Diese können selten auch mal kleiner Sträßchen sein – genauso gut aber Autobahn-hafte Dimensionen annehmen, wenn es den Straßenplanern der Hauptstadt gefällt. Dann macht eine kleine Landstraße, die sich harmonisch in die Landschaft fügte einem vielspurigen Betonband Platz, das sich mit Brücken und Tunneln durch die Gegend pflügt. Diese X-Straßen sind verkehrstechnische Überraschungseier: ich bin auf fast unbefahrenen Autobahnen unterwegs gewesen aber auch auf Feldwegen in wildem Zickzack einen ganzen Tag durch Felder und Dörfer gefahren, die vorher vermutlich keinen radelnden Ausländer je zu Gesicht bekommen haben. In den Dörfern ist die Zeit ein bisschen stehen geblieben – sozialistische Ermahnungen in roten Schriftzeichen sind auf den weiß getünchten Fassaden und Mauern noch zu erkennen. Die Einwohner halten abends ein ausgedehnter Ratsch auf der Straße, Männer und Frauen haben ihre Hockerchen vor die Tür gestellt und besprechen das Leben in kleinen Grüppchen – die Männer rauchend und Karten spielend, die Frauen miteinander plappernd mit Gemüse und Kräutern vor den Füssen, das geputzt wird, verkauft, getrocknet…

 

Ich bin einen Tag lang auf einem Damm mit Rückenwind dem Lauf des gelben Flusses gefolgt, Kilometerfressen auf 2 Spuren, kein Verkehr und hab mich gefühlt wie in Holland. 

 

Hier in der inneren Mongolei sind die Städte Kohlestädte, Eisenstädte, Bergbaustädte. Schlote und dampfende Kühltürme bis an den äußersten Rand des Sichtfeldes. Industriesiedlungen umgeben die Städte, die entlang des gelben Flusses in der Wüste entstanden sind.

 

Ich habe mir – hoffend auf Natur und wenig Verkehr - ein kleines Sträßchen ausgesucht, Kategorie X, das ein wenig abseits der direkten Verkehrsverbindungen nach Wuhai führt. Wuhai: Kohlestadt. Auf einer letzten Hauptstraße überquere ich den gelben Fluss, hier beginnt die innere Mongolei. Die Fahrbahn füllen überschwere Kohlelaster, schwarzer Staub weht über den Asphalt – kopfgroße Brocken fallen von den Transportern und werden vom Verkehr zermahlen zu feinen Partikeln, Staub der sich in der Nase festsetzen, es stinkt nach Schwefel, am Straßenrand reihen sich die Autowerkstätten, schwarz-rußige Höhlen, vor denen sich Altreifen und Karosseriegerippe stapeln. Selbst das Gras am Straßenrand und die vereinzelten Sonnenblumen sind von schwarz von Staub und Ruß und Abgasen. Das kleine Sträßchen entpuppt sich als die Haupteinfalls-Route in das Industriegebiet – Eine Kolonne von Schwertransportern schiebt sich in das Herz der Kohleverstromung, ich fahre seit einer Stunde unter einem dichten Netz an gigantischen Hochspannungsleitungen und es surren und singen die Gigavolt – gäbe es so etwas wie Elektrosmog – das hier wäre die Lebensdosis.  Fast ehrfurchtsvoll radel ich unter den Kühltürmen und rauchenden Schloten entlang, von den umliegenden Bergen wurden Gipfel und Hänge abgetragen: Umweltzerstörung und Versauung in solchen Dimensionen hab ich vorher nie gesehen - Die Straßen laufen hier zusammen wie Adern, die einen fetten bösartigen Tumor versorgen: Hunderte von diesen Mega-Lastwagen stauen sich mit Steinkohle beladen vor Werkstoren, in den Pfützen ölige Regenbogen, schwarzer Morast – die Fahrer rauchen, hupen, schreien und manövrieren ihre Ungetüme durch den Stau. Dazwischen ich mit meinem Rad – schlängel mir meinen Weg entlang an den Pfützen und mit dem Kopf auf Höhe der Trittbretter zu den Fahrerhäuschen – es sind echt gewaltige Laster, die hier im Einsatz sind. Dann erscheint ein unverhoffter Höhepunkt der Tagesetappe inmitten der Straße: Der vermutlich hässlichste Brunnen der Welt.

 

Das alles war mal unberührte Wüste und von den Gipfeln der Berge sah man auf die trägen Windungen des gelben Fluss, der sich hier in großer Breite durch sein Bett schiebt. Entlang des Flusses Landwirtschaft und Siedlungen, Fischer, … Der Glauben auch hier Lamaismus und die Klöster blickten herunter auf karges weites Land, Dünen, Sand und ein grünes Band entlang des Flussufers. Eines dieser Klöster gibt es noch und ich entdecke es zufällig an den Hängen, weit weg, auf der anderen Seites des Flusses. Die typischen rot-weißen Mauern, die goldenen Dächer, die Terrassen zwischen den Tempeln: Das Maß der Zerstörung ist fast schon blasphemisch und ich will gar nicht wissen auf was die Mönche heute schauen, wenn sie von den Hängen herunter sehen ins Tal. 90 Km sind es bis Wuhai und 90 km, bis an die Grenzen der Stadt, mit all ihren aus dem Boden gestampften Hochhaussiedlungen, begleitet mich die Kolonne an Lastern, die das Futter für die Kraftwerke herankarren, um den unersättlichen Energiehunger dieses Landes zu stillen.   

 

Das hier ist ein Lehrstück für alle, die sich um eine Kulisse für absolute Trostlosigkeit bemühen – vielleicht für deprimierende Filmeprojekte in denen der finale Suizid wie ein happy end daher kommt: Wer also an so einem Projekt arbeitet und nach einem geeigneten Winkel für das Abdrehen des Trauerspiels sucht: Bitteschön: Optimalbedingungen zwischen Chengguan und Wuhai! Vorteil auch: Wenn man nach dem schönsten Tag der Reise gefragt wird, ist es schwer zu antworten – so viel war schön. Seltener die Frage nach der allerhäßlichsten Etappe – schade – weil darauf wüsste ich jetzt auf alle Fälle eine Antwort.

 

In Wirklichkeit natürlich noch viel furchtbarer, weil man Gestank und Lärm nicht foftografieren kann. Und weil ich nicht immer dann auf den Auslöser drücken kann, wenn ein Laster mir gerade fast über das Vorderrad rollen will. Immerhin. Kunst am Bau, der vermutlich hässlichste Brunnen der Welt.

2. Mal bist du der Hund, mal bist du der Baum

 

 

1. Hund sein:

Zwischen Wuhai und Bayanur nehme ich nochmal den Bus, es soll regnen und die Landschaft verspricht ähnliches wie der Vortag; Bayanur: Eisenstadt!

 

Das paranoide Sicherheitsbedürfnis des Pekinger Regierungsapparats hat eine bemerkenswerte Bandbreite von Berufen hervorgebracht, die der Kontrolle und der ständigen Maßregelung des Bürgers verpflichtet sind. In der niedrigsten Kaste des System ist der Bao An tätig: schäbige blaue Uniform, ausgestattet mit keiner einzigen Insignie der Macht: Kein Knüppel, keine Handschellen, keine der Lanzen und Hellebarden, wie sie in XinJiang Stadtbild-prägend sind. Nichtmal ein Funkgerät haben sie – nur so alberne Elektrowägelchen, wie sie zu Hause übergewichtige Rentner und Alkoholiker nach finalem Führerscheinentzug fahren. In diesen hängen sie herum, rauchen und betrachten ihr Handtelefon mit der Hoffnung auf Zerstreuung und Kurzweil. Ansonsten verfolgen sie den Bürger mit willkürlichen Verboten: Hier nicht stehen, hier unter keinen Umständen anlehnen, keine Musik hier, Hund verboten, mit dem Rad fahren untersagt – sofort absteigen, nicht singen oder pfeifen. Sie besiedeln die Zugängen zu den öffentlichen Parkanlagen, schlendern durch die Gassen, bewachen Verwaltungsgebäude oder Shopping Malls oder regulieren den Zugang zu Busbahnhöfen, ….rumlungern, rauchen und nörgeln als Lebensaufgabe: Kein Wunder, dass die Bao An keiner mag.

 

Um einen Bus zu nehmen – und das Busnetz, das China umspannt ist tatsächlich großartig: Schnell, billig und unkompliziert – kauft man in einer Schalterhalle das entsprechende Ticket für kleines Geld, der Zugang ist reguliert durch einen Schranken oder ein Drehkreuz, bewacht durch den ungeliebten Bao An, der sein Geschäft mit rauchender Lethargie versieht, solange, bis er etwas zum nörgeln findet. Hinter dem Drehkreuz der obligate Scanning Tunnel um die Taschen nach mitgeführten Hieb-, Stich- und Atomwaffen zu durchleuchten. Nach dem Bezug des Fahrscheines kann man durch eine weiter Sicherheits-, sowie Fahrschein Kontrolle den Hinterhof betreten, auf dem die Busse warten. Mit dem Rad ist das alles ein wenig aufwendiger, weil man nicht durchs Drehkreuz kommt, weil man nicht durch den Scanner kommt, weil man eh keine Lust hat sein Rad ständig ein und aufzupackeln – und weil man sich ungern der Willkür des Bao An aussetzt, dem es in seiner großen Weisheit auch gefallen kann, mit einem kategorischen Bu Xing (geht nicht) deine Reisepläne zu durchkreuzen. Natürlich kann man auch direkt die Ausfahrt nehmen, durch die die Busse den Parkplatz verlassen, denn sobald der Schranken hochgeht kann man sich da reinschummeln – vorbei an ein paar Bao Ans, die den Schlagbaum betätigen und sich ansonsten mit dem wichtigen Geschäft des Rauchens befassen. Das ist natürlich entgegen jeder Vorschrift und in sehr hohem Maße verboten.

 

Es ist deshalb ganz sinnvoll im Vorfeld die Lage zu checken: Wo gehen die Busse los, was kostet das Ticket, wann fahren die Busse und sind sie groß genug um mein Rad mit einzupacken? Was kostet der Spaß, wie lange dauert die Fahrt.

 

In Wuhai ist der Vorplatz umzäunt, der Zugang mit Metallbarrieren abgesichert, das Drehkreuz zu klein für Fahrräder aber eine breite Tür im Gitter steht offen – ich schieb mein Rad ungehindert in die Schalterhalle, lasse es in Sichtweite an einer Mauer angelehnt stehen und begebe mich auf die Suche nach einer Informations-willigen Person. Ich finde ein Grüppchen freundlicher Polizistinnen, die mir bereitwillig alles erklären - … da kaufst du dein Ticket, kostet soundsviel, Rad kein Problem, Bus fährt dann und dann, Preis für Rad mit dem Busfahrer ausmachen, woher ich käme und warum ich chinesisch reden kann? Ich frage ob sie morgen auch da sind – falls ich Hilfe bräuchte??? Jaja – alles kein Problem, sie sind da. Tschüss und bis morgen.

 

Tags darauf ist die Tür im Gitter versperrt, der ansässige Bao An schaut mich mit dem Arsch nicht an, außerdem ist gerade Mords-Betrieb, um mich herum muss der halbe Busbahnhofsvorplatz durch das Drehkreuz und ich hab auch nicht ewig Zeit. Nach möglichen Alternativen befragt bellt er mir sein Meiyou Banfa (Da kann man nichts machen) zurück. Dass einfach nur die Tür im Metallgitter geöffnet werden müsste interessiert ihn freilich wenig – ist ja nicht sein Problem, wie ich mit meinem Rad in die Schalterhalle komme.

 

Alternative: Hintereingang. … also radel ich um den Block und weil der Schranken gerade offensteht gebe ich Gas und fahre an den verdutzten  Bao An vorbei, aber so schnell sind sie natürlich nicht – ich bin schon längst in der Mitte des Busparkplatzes als sich das große Geschrei erhebt: Runter vom Rad, sofort, Absteigen, keinen Meter weiter, zurück, verboten. Sofort. Und gefälligst schleunigst herkommen.

 

Das wäre allerdings ein folgenschwerer Fehler – Drum: Jetzt nicht weich werden! Freundlich rufe ich über die Schulter, dass ich dafür leider keine Zeit habe, und der vordere Eingang leider geschlossen ist – ich hätte so also gar keine andere Wahl, er sei aber eingeladen mir hinterherzukommen – ich müsste jetzt aber erstmal ein Ticket kaufen. Zu Dritt schreien und rennen sie nun hinter mir her, ernsthaft wütend, das finden sie tatsächlich nicht lustig! An sich haben die Chinesen ein einigermaßen unerschütterliches Gemüt, aber mangelnde Subordination findet ein Bao An natürlich eher verdrießlich. Mein Rad lehne ich vor dem hinteren Ausgang an die Wand und bitte den herantrabenden Bao An freundlicherweise auf mein Rad aufzupassen während ich gerade schnell mal das Ticket kaufe, … Bitte? Ginge das? … Geht natürlich nicht! Stattdessen Mords -Geschrei und Hände-Gefuchtel! Also drängel ich mich durch den Ausgang – sprich falsch rum! -in die Schalterhalle hinein. Ungescannt! Vorbei an verdutzten Fahrkartenkontrolleurinnen. Aber die sehen auch, dass ich von einem Geschwader von Bao An verfolgt und angebrüllt werde, ich lächele so gewinnend und verbindlich wie möglich. Dann bin ich eh schon drinnen und um den Eingangsbereich bildet sich eine Menschentraube, der Bao An schimpft gewaltig, die Fahrgäste in der Schalterhalle freuen sich über das Spektakel, wunderbarer Radau, willkommene Show mit flüchtendem Ausländer und ungeliebtem Bao An. Und ich muss jetzt sofort meine Polizistinnen ausfindig machen, dass die mich hier raushauen, sonst habe ich echt ein Problem. Aber da stehen sie schon. Was für ein Glück! Und ich renne ihnen fast in die Arme: „Ich hätte einen Bao An sehr zornig gemacht, aber leider ging es nicht anders, und ob sie bitte etwas zu Klärung tun könnte? Ob sie sich an mich erinnere?“ „Jaja, sie erkennen mich schon“, inklusive freundliches Lächeln, … Da kommt auch schon der Bao An angetobt, schreiend, Hände ringend, hinter ihm die Zuschauerhorde und endlich hat er mich! Gleichzeitig sieht er jetzt aber auch die 3 Polizistinnen, die hier offenbar was zu sagen haben: Bahnhofsvorsteherinnen-Triumfeminat! Schaut erst mich verdutzt an und dann die Polizistin: „Kennst Du den?“ fragt er ein bisschen fassungslos und deutet auf mich. „Jaja“, nickt sie ihm zu, „sie kennen mich, alles in Ordnung!“ Und ich hab ein bisschen Oberwasser und antworte: „Jawohl! Wie sind alte Freunde! Schon seit gestern!“

 

Gelächter – auch die Polizistinnen müssen lachen, ich auch. Erstes zaghaftes Schulterklopfen von den Zuschauern, die wie bei einer Schulhof Schlägerei im Kreis um uns herumstehen, – der Bao An ist inzwischen in der Menge untergetaucht, ich werde von allen Seiten angesprochen, man bietet mir Zigaretten an. Und Handyphotos natürlich. Lihai, sagen sie – „Super“ und Niubi  - das ist ziemlich dreckig, aber sehr anerkennend! Dann nimmt mich die Bahnhofspolizistin in ihr Schlepptau und wir kaufen zusammen Tickets. Selbst der Busfahrer zeigt mir seinen erhobenen Daumen und hilft mir, das Rad im Kofferraum zu verstauen. Mal ist man der Hund, mal der Baum. Hier eindeutig der Hund.

 

Und ich denke, die Chinesen haben sich gefreut, weil  sie das elende Gängelband leid sind, und die Hundertschaften von willigen Staatsgetreuen, die an jeder Ecke für die Einhaltung der endlosen Verbote sorgen. Ich als Ausländer kann das machen: Den Bao An Deppen anstinken und seine Scheiß Anmoserung ignorieren: Ich habe hier keine Akte, mich können Einträge in eine solche nicht stören, mir passiert hier nichts ernsthaft Problematisches. Wegen sowas wird ein Ausländer nicht eingesperrt oder ausgewiesen. Chinesen können sich sowas nicht erlauben, weil jeder berechtigte Angst hat vor den Repressionen. Und weil sie nicht meine Narrenfreiheit haben. Und weil nicht jeder Hinz und Kunz die Bahnhofspolizistinnen im Rücken hat – das hab ich nur, weil ich Ausländer bin mit Seltenheitswert. In Peking würde ich mich das nicht trauen, aber das hier ist die tiefste Provinz, innere Mongolei, und ich bin so auffällig wie ein Känguru. Jetzt jedenfalls freut es mich erstmal und ich hab den ganzen Tag gute Laune: So oft haben mich die Bao An geärgert. Heute ich erfolgreich zurückgeärgert!

 

2. Baum sein

 

Tiefer drinnen in der inneren Mongolei werden die guten Zeltplätze häufiger und schöner – zunächst aber ist viel Landwirtschaft, viel Bewässerung, Straßen und Zäune. Es ist nicht leicht was zu finden – aber dann, abends nach der 3. angelaufenen Stelle, die alle entweder dornig, oder steining oder schief, klein, vermüllt und verkackt sind habe ich ein Kleinod gefunden, weite Wiesen, dahinter niedrige Nadelbäume, sanfte Grasmatten, Feuerholz und Steine für die Feuerstelle, Blicke auf Hügel, Köttelchen zeugen von Ziegen und Schafbeweidung, auf den sandigen Straßen spielen ein paar Kinder unter mütterlicher Aufsicht im Sand und bauen Türmchen. Abendidyll. Ich fahre mein Rad vom Weg, sichtgeschützt, sammle Holz, baue mein Zelt auf und freue mich auf einen kurzen Abend und eine erholsame Nacht im Zelt. Dass man hier nicht Zündeln darf habe ich schon gesehen, aber ich habe meine Feuerstelle brav mit einem Steinmäuerchen umstellt und lass das Feuerchen nicht hochbrennen. Und ein kleines Abendbier schmeckt am Lagerfeuer halt schon viel besser. Bevor ich ins Bett gehe, lösche ich und decke die Glut mit Sand zu. Vom Feuer ist nichts mehr zu sehen – Kaum bin ich im Zelt sehe ich den Lichtstrahl einer Taschenlampe auf meiner Zeltwand – es sind irgendwelche Polizisten, die mich fragen ob ich hier ein Feuer am brennen habe. Offensichtlich nicht, sage ich und deute großgestenhaft ins Dunkel um meinen Zeltplatz. Hier hätte aber was gebrannt, sage sie – davon wüsste ich nichts. Behaupte ich. Gelogen – schon klar. Aber das Feuer ist eh aus und ich will meine Ruhe – ich hatte schon fast geschlafen. Erfreulicherweise rücken die Herrschaften wieder ab und ich sinke in meinen Schlummer bis um halb 12 erneut an meiner Zeltwand herumgefunzelt wird, vor dem Eingang macht sich jemand am Reißverschluss zu schaffen – das nervt mich ja total, wenn da jemand an meinem Zeug rumbastelt und irgendwas belle ich an die Gesellschaft vor meinem Zelt, bevor ich mich aus dem Schlafsack schäle. Ich habe Pech! Polizisten, bewaffnet. Keine Bao An. Ziemlich viel Uniform vor meinem Zelt und an den Schultern baumelt das große Besteck. Ein Gewehrlauf vor der Nase macht mich ein bisschen schüchtern.

 

Dies hier sei Militärgebiet, ich dürfe hier nicht Campen – Abbauen und Abhauen, sofort – hier darf ich nicht bleiben. Wo Armeegewehre baumeln bin ich ein bisschen vorsichtiger mit dem Ignorieren von polizeilichen Aufforderungen und frage vorsichtig, ob ich nicht wenigstens bis um 6 Uhr morgens bleiben dürfe, jetzt so mitten in der Nacht, das wäre schon nervig. Nichts da – Zelt abbauen – Sofort. Und bitte eine wenig mehr Respekt: „Attitude!“ Sagt er! Auf Englisch!

 

Attittude? Spinnt der? Die schmeißen mich mitten in der Nacht aus meinem Zelt – militärische Sperrzone, was für ein Schwachsinn -in China werden selbst Straßenschilder eingezäunt. Aber ein Sperrgebiet der heiligen Volksbefreiungsarmee – natürlich - ist offen wie ein Volkspark. Und Kinder dürfen da spielen. Kein Wort glaub ich. Aber wo Gewehre baumeln….Da bin ich lieber mal Baum. Und angepisst – aber was hilfts? Wenn ich eh abbauen muss, dann darf ich auch maulen. Und auf Deutsch Englisch und Chinesisch erkläre ich was das für ein Schweinekack ist. Trotz Dunkelheit habe ich nach 45 Minuten mein Rad aufgepackelt, den Müll eingesammelt und bin reisefertig. Man stellt mir in Aussicht ein Gelände in der Nähe zu suchen auf dem ich Zelten darf. Das erste ist eine Müllkippe, die ich verweigere, die zweite ist passabel, eine Wiese zwischen Baumreihen, eben und grasig. Das Zelt darf ich im Scheinwerferlicht des Armeefahrzeugs aufbauen – dann gebe ich unhöflich meinen unerwünschten Begleitern zu verstehen, dass ich jetzt um 1 Uhr Früh gerne zurück in den Schlafsack will. Der Typ, der mir vorhin noch was von „Attitude“ berichtet hat, lässt sich nochmal auf Englisch ein: „We only are doing our duty.“ Und da hat er vermutlich Recht. Jetzt wo ich wieder ins Bett darf, bin ich eh schon nicht mehr so grantig.

 

Am nächsten Morgen habe ich zum zweiten Mal in der Nacht meinen Krempel zusammengepackt und stelle fest, dass ich seit Griechenland!!!! nach ungefähr 10.000km!!! meinen zweiten Platten der Reise habe. Also packel ich wieder ab, krame den Ersatzschlauch raus, ärgere mich über das ungeeignete Werkzeug, das ich noch habe (und trauere dem Imbusschlüsselsatz nach, den ich in Kashgar nach Hause geschickt habe). Juhu, da kommen die freundlichen Gendarmen vom Vortag mit ihrem Militärfahrzeug-Hummer Verschnitt. Kontrollieren, ob ich endlich weg bin. Aber ich muss mein Rad richten – und mein Englisch-sprechender Freund vom Vortag beginnt ungefragt zu helfen – hält das Rad, reicht mir die Luftpumpe, hält die Kette und macht sich die Finger dreckig – zuletzt teilen wir einträchtig einen meiner Lumpen um die Finger sauber zu bekommen. Wir beginnen ein bisschen zu quatschen, wo ich herkomme, wie lange schon unterwegs, das Übliche halt. Und natürlich ist es ein netter Kerl, natürlich tut es mir jetzt leid, dass ich in der Nacht griesgrämig rumgeschnauzt habe – natürlich haben die ihren Job zu tun und immerhin habe ich sehr wohl Feuer gemacht – wissend, dass man das in dem Waldbrand-panischen China nicht darf - gerade hier, wo es so staubtrocken ist. Aber vielleicht tut es ihm ja auch leid, dass er mich mitten in der Nacht verjagt hat. Ein militärisches Sperrgebiet war das bestimmt nicht.

 

Unvermittelt immer wieder ein bisschen Wüste entlang des Weges nach Osten. In den Ortschaften, fernab der Metropolen, tief in der Provinz werden die Kürbiskerne angebaut, mit denen Milliarden von Chinesen tagtäglich ihre Scheidezähne ramponieren. Traktoren älterer Baureihen, und hübsche Wandmalereien an den Fassaden der Höfe. Die Berge rücken wieder näher. Und ein Bild des keinen Feuerchens, das möglicherweise meine nächtliche Vertreibung verursacht hat?

3. Provinz-Grundschule

 

Noch so ein Tag, irgendwo tief in der Provinz mit schmuddeligen Ortschaften, Maisfeldern, Kürbisplantagen für die Billionen Kürbiskerne die von den Volksmassen geknackt werden, Sonnenblumen. Kleine Straßen und Alleen, die Felder reichen bis zu den Straßen, jeder Quadratmeter bepflanzt und bewässert. Abends und morgens werden die Felder geflutet. In kleinen Kanälchen werden mit Steinen und Säcken die Wasserströme so umgeleitet, dass für eine halbe Stunde Felder volllaufen. Zwischen den Feldern verlaufen winzige Wege unter uralten Weiden – aber ein Zelt kann man hier nirgends aufbauen. Natürlich gibt es keine Hotels

 

Es ist abends geworden, den ganzen Tag bin ich geradelt und die Sonne steht schon tief. Die Dörfer hier sind dreckiger und ungepflegter, zugemüllt mit Schrott und Krempel. Die Häuser sind irgendwie hingeschlampt, billig mit Wellblech und Hofmauern aus Bauschutt. Anders als sonst in China, so als hätten sich die Mongolen noch nicht so ganz an die Sesshaftigkeit gewöhnt. (Was Unsinn ist, da in der Inneren Mongolei kaum Mongolen wohnen – nur noch 20% gehören dieser Minorität an – den Rest stellen Chinesen, denen hier Land zugewiesen wurde). Als ich an einer Schule vorbei fahre entdecke ich den ersten trockenen Flecken Gras seit Stunden: Der Sportplatz. Sehr geeigneter Camp-Spot! Hoffnung hab ich allerdings wenig. Sobald offizielle Stellen involviert sind, wird es kompliziert. Trotzdem radl ich durch das Tor, und frage die erstbeste Erwachsene in dem Haufen von kleinen Kindern ob ich hier eventuell freundlicherweise mein Zelt bitte bitte bitte aufschlagen dürfte – dann dauert es ein bisschen, bis ein Lehrer gefunden wird – der Sportlehrer. Gemeinsam gehen wir zum Schulsoldaten, der hier für Ordnung und ausreichende militärische Strenge sorgen soll: In seinem Zimmer könnte ich schlafen – aber es gäbe hier auch noch Zimmer für Lehrer – eines wäre unbesetzt. Ob ich nicht da meine Matratze ausrollen wollte? Das will ich durchaus. Und sie haben eine super Dusche, ein blitz-sauberes Klo. Der Soldat wieselt weg, mit dem Sportlehrer quatsche ich über das Radfahren. Früher sei er auch viel gefahren, jetzt hat er keine Zeit mehr und vom dauernden Essen hier wird er fett! Es sei hier eine Provinzschule – die Dörfer werden kleiner – nur noch 60 Kinder kommen und teilen sich die 30 Lehrer. Auch die Lehrer sind nicht aus dem Dorf – die wohnen woanders und kommen nur zum Unterrichten. Und übernachten, wenn es sein muss in den zugewiesenen Zimmern: Es ist spartanisch: Pritsche, Spiegel, Tisch und Stuhl, Aschenbecher, Thermoskanne und Teetasse. Zwei Lehrer teilen sich ein Zimmer. Beide haben gerade frei.

 

Dann kommt der Soldat zurückgeeilt – wo ich essen möchte, der Direktor lädt zum Abendessen ins Restaurant. Ich bin der Ehrengast! – und für den nächsten Morgen auch schon ausgemacht: Phototermin mit den Schülern der Landschule. Der Direktor ist zwar ein wortkarger Mann, aber im Restaurant geht es zu wie im wilden Westen, junge Burschen sitzen mit nackten Oberkörper vor ihren Essensbergen und rauchen, Schnaps wird in Literflaschen an Tischen verteilt, Spucknäpfe unter den Tischen. Das beste Restaurant am Ort, wird mir mitgeteilt, ich bedanke mich artig für die große Ehre und freue mich auch wirklich sehr über die Freundschaftlichkeit mit der ich hier aufgenommen werde: Die müssen mich bei der Polizei melden, brauchen dafür meinen Pass und die Photos meiner Visen, vermutlich müssen ellenlange Dokumente  und Formulare ausgefüllt werden. Das  machen die alles während ich duschen darf und es ist schon sagenhaft nett, wie ich hier bewirtet und umsorgt werde. Ich hätte auch einfach in einem Winkelchen mein Zelt aufgestellt und wäre auch dafür dankbar gewesen. So lerne ich ein wenig über die Dörfer hier: Die Krachmusik, zum Beispiel, aus dem Nachbarhaus, die durchs Dorf scheppert kommt von einer Beerdigung. Begräbnisse werden natürlich auch mit Lärm und Feuerwerk begangen. Dann kommt Bier für mich und den Sportlehrer, einen Liter Schnaps für den Soldaten und den Direktor und es werden plattenweise Tofu, Rindfleisch, Schwein, Gemüse, Schrimps und irgendein armer Cephalopode aufgefahren, dazu gibt es Reis und Mantou, gedämpfte Knödel, gesalzenes sauer eingelegtes Gemüse, scharfe Erdnüsse, … ich darf bewundernde Komplimente entgegen nehmen für meine Stäbchen-Technik. Sie hatten schon einen Löffel und eine Gabel aus der Küche organisiert. Das alles ist so unwahrscheinlich nett und freundlich und großzügig. Dass ich bis nach Peking radeln will, noch knapp 1000 km, finden sie erstaunlicher, als die 10000km die hinter mir liegen. Kirgistan und Iran…. Alles ein bisschen außerhalb des Vorstellungsrahmens. Die Geschichten aus China finden sie viel spannender – wie es in Xinjiang so ist mit den Muslimen, in den Bergen bei den Tibetern.

 

Am nächsten Tag haut mich der Soldat um halb 7 aus dem Schlafsack – frisch machen und Photos mit den Schülern! – er ist schon fertig in Paradeuniform. Auf dem Sportplatz warten die Kinder, alle wollen mein Rad anfassen, die Vorzeigeschüler sollen ihre wenigen Brocken Englisch auspacken und ich lerne noch ein paar Lehrer kennen. Dann beselt der Soldat die Kinder in ihre Klassenzimmer zurück, der Sportlehrer begleitet mich zum Schultor, um halb 8 stehe ich wieder auf der Straße. Nebel über den Maisfedern, Pfützen auf den Straßen. Wie gut, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte. Was für ein schönes Erlebnis. Und in meinen Fahrradtaschen habe ich noch die Reste des Essens von Vortag.  

 

Provinzschule und wachhabender Soldat. Ziemlich gutes Essen in ziemlich wildem Lokal. Ziemlich früh am morgen - Bild mit den Kindern, die um 7 schon in der Schule sind.

Nochmals AAAA Scenic Spots: Wudang Zhao, Da Zhao, große Mauer und Shisan Ling

 

 

Ein paar sehenswerte Flecken hat auch die an großen kulturhistorischen Attraktionen nicht wirklich gesegnete Innere Mongolei zu bieten und ich habe die Chance in den Bergen hinter Baotou eine Lamaserei zu bewundern, in Hohhot ein weiteres buddhistisches Kloster, die große Mauer zieht sich hier im Norden Chinas Richtung Westen, mehrfach war ich ihr schon nahe – hier werde ich sie irgendwann kreuzen, eine alte Poststation in einem historischen Dorf liegt auf dem Weg, zuletzt, vor den Toren Pekings gibt es die Ming-Gräber, 13 Tempel-Anlagen, in denen die Kaiser der Ming-Dynastie begraben liegen, mit all ihren Konkubinen und Frauen und Leib-Garden.

 

Hinter Baotou führt eine Seitenstraße in die Berge und ich freue mich nach den langen Tagen in der Ebene auf ein paar Höhenmeter – vor allem aber auf die abwechslungsreichere Landschaft in den Bergen. Kaum hat man das Flachland verlassen, schrumpfen die Äcker auf die Größe von Tennisplätzen und angebaut wird alles, was die Familie zum Leben braucht: Neben Weizen und Mais auch Zwiebeln und Kartoffeln, Lauch, Tomaten, Paprika, Bäume voller Birnen und Äpfel. Nach 50km verrät die Dimensionierung der Parkplätze, dass ich zu spät gekommen bin. Hier war noch 2015 ein verschlafener Außenposten lamaistischen Lebens. Von den ursprünglichen 1000 Mönchen lebten immerhin noch 70 hier in diesem Kloster Wudang Zhao und die inzwischen veralteten Ausgaben der Lonely Planet Reiseführer beschreiben einen verträumten Ort, den zu besichtigen man erwägen sollte, wenn einen Einsamkeit und Abgeschiedenheit so wenig stören wie das Fehlen jeglicher sanitärer Einrichtungen und niedrigste hygienischer Standards in den Küchen, in denen man sich mit einer überschaubaren Auswahl an Mönchskost versorgen könne. Alleine 5 Groß-Parkplätze zähle ich bis ich zu der eigentlichen Anlage komme, auch hier Parkmöglichkeiten sowie Zerstreuung durch Kommerz und Musikbedüdelung. Ein auf tibetisch getrimmtes Zentralgebäude verkauft an 20 verglasten Schaltern Tickets in gekühlten Räumen, daneben T-Shirts und Halbedelsteine und esotherischer Firlefanz. Elektrobusse fahren zu den eigentlichen Klostergebäuden – mit dem Rad hinzufahren ist natürlich nicht gestattet. Zu Fuß könnte man gehen, wenn einem der Weg von 1 km nicht zu weit wäre, wird mir gesagt. Außer mir sind bestenfalls noch 50 weitere Touristen unterwegs – auch wenn jetzt eventuell Nebensaison ist: Das ist alles extrem überdimensioniert. Die Elektrobusse stehen unbewegt in langen Reihen, das Personal dämmert in Trägheit zwischen den Vitrinen, hinter den Verkaufsschaltern, hinter den Steuern ihrer blödsinnigen Vehikel.

 

Die Eingangsschranken sind nicht zu umgehen aber ich bin zu weit gefahren und habe mich zu lange gefreut auf dieses letzte Kloster in den Bergen um jetzt dem Ganzen den Rücken zu kehren ohne es angesehen zu haben. Also saurer Apfel und Ticket gekauft.

 

Was reitet die Genies in Peking oder den Landesregierungen, die Köpfe in den entscheidenden Gremien, wenn sie eine Neugestaltung konzipieren? Ist es tatsächlich der perfide Versuch die Reste kultureller Identität auszubrennen? Oder entspricht das ihrer Vorstellung eines touristischen Schmuckstücks für die chinesischen Besucher, die ihr Land kennenlernen wollen? (Und wie falsch lägen sie dabei?, nicht sehr befürchte ich) Der Kilometer hin zu der Klosteranlage ist gesäumt von chinesischem Schnörkelkitsch, irgendwas mit Affen, Elefanten, polierten Messing-Reihern, die sich flügelschlagend aus einem grünen Wasserbecken erheben. Alle 10 Meter ein als Felsen verkleideter Lautsprecher berieselt den Besucher mit chinesischer Schagerschnulzmusik. Das Kloster – einst ein wichtiger Verbindungspunkt zwischen den religiösen Zentren in Tibet und der Mongolei ist ein sauber geputztes Museum. Jedes Gebäude ziert ein Baugerüst, das Weiß ist frisch und blendend, die Innenhöfe gefegt, die Holztore sauber neu gemalt, frische Farben. Anstelle der Yakbutter Lampen kann man mit einer kleinen Münze für 1 Stunde ein elektrisches Licht aktivieren. Toll!  An jeder Ecke sind nagelneue Videoüberwachungssystem installiert. Ich sehe Bauarbeiter aber keine Mönche. Es gelingt mir eine linientreue chinesische Touristenführerin, die ziemlich gut Englisch spricht in ein Gespräch zu verwickeln. Ob sie das schön fände hier?  Ob es ihr nicht leid täte um die alte aber lebendige Kultur? Tatsächlich kennt sie das Kloster in seinem ursprünglichen Zustand gar nicht (Ich allerdings auch nicht!), aber sie berichtet, dass 2016 der Umbau begonnen wurde und das Ziel ausgegeben wurde, den Ort zu einem scenic Spot der AAAA Kategorie auszubauen. (Oh Gott, das sind furchtbare Neuigkeiten) Die Touristen wollen das so, sagt sie (Kennen es aber auch kaum anders, denke ich mir). Und das mit dem Kulturschatz der Mongolen sei so eine Sache – es leben hier halt kaum mehr Mongolen, nur noch 20%!

 

Was soll das bitte heißen? Scheiß auf die 20%?, scheiß auf die letzten Reste der zunehmend ausgehölten kulturellen Diversität?, scheiß auf alles Originäre, Urwüchsige, Ungeschönte?

 

Super Logik: Ein Vergnügungspark für die 80% vor einem weichgewaschenen Panorama der ursprünglichen Kultur. Hinfahren, Parken, Zahlen, E-Bus faulenzen, ein paar Selfies vor den aufgehübschten Fassaden, Andenken gekauft und ab ins nächste Restaurant, in dem „traditionelle“ Gerichte der Region angeboten werden. Aber das Angebot wird schon angenommen. Lieber einen ausgestopften Tiger ansehen als beschwerlich in den Dschungel zu fahren – wo man am Ende doch kein so schönes Photo hinbekommen, weil der Scheißtiger immer in den Wald verschwindet.    

 

Es ist natürlich trotzdem schön – man erkennt noch wie die Anlage zwischen den Hängen kauert. Nach vorne geöffnet hin zu einem breiten Tal. Und weil die touristischen Vorhersagen um mehrere Größenordnungen daneben lagen, genieße ich die Zeit alleine zwischen den Mauern und Gebäuden, versuche mir die Patina dazuzudenken, wünsche mir den ranzigen Geruch der Yakbutterlampen, schaue den Wolken zu, die am blauen Himmel ziehen. Und dann sehe ich am Schluß noch einen …. – umgeben von in Zivil gekleideten Chinesen schnauft ein fetter Mönch in roter Kutte die steilen Gassen entlang und lässt sich die Fortschritte präsentieren. Mit dem hätte ich gerne gesprochen – aber dafür reicht mein Chinesisch nicht und Englisch kann er nicht. Er ist ein Abt aus dem Kloster in Xining, soviel erfahre ich – das ist auch so ein Museum. Er und die Delegation gehen jetzt zum Essen, sagt er und freut sich. Ich darf noch ein paar Fotos von ihm machen.

 

Kleine Hoffnung: Vielleicht geht das Konzept nicht auf? Vielleicht kommen einfach nicht genug Touristen? Vielleicht gibt man den ehrgeizigen Plan auf, AAAA, ??? Stattdessen gar kein blödes A … es wäre dem Ort zu wünschen.

 

In Hohhot, Hauptstadt der inneren Mongolei, habe ich dann ein letztes Mal Gelegenheit, und Glück: Gelbmützen-Aufmarsch im Kloster Da Zhao. Für mich komplett undurchdringlich, die Choreografie des Festaktes. Aus einer Nebentür quellen plötzlich Würdenträger auf den keinen Innenhof. Junge Mönche pusten unterschiedlich gut auf den Alphorn-ähnlichen Messingtröten, es herrscht Chaos und Geschubse. Unter Baldachinen stolzieren alte würdige Mönche, alle drängen zu einer Tür und nehmen in einem Tempel Platz. Die Bevölkerung drängelt sich einigermaßen respektlos dazwischen und läuft später durch die Reihen sitzender und murmelnder Ordensbrüder, stecken jedem ein wenig Geld zu, aber es sind auch viele Mönche. Wer hier jedem was gibt ist ein kleines Vermögen los. Draußen beginnen die jungen Mönche, Kutten und Mützen zu falten und zu stapeln, das Gehupe der Hörner endet so abrupt, wie es begonnen hat, ein paar der Klosterfrischlinge verziehen sich kichernd und lausbubig in ein Eck, im Tempel ergreift ein uralter Priester eine Megaphon und spricht zu den Anwesenden, …. Das wirkt so lebendig, so befreit von dem ganzen Erhabenen und Spirituellen, das bei uns im Westen fernöstliche Religionen umweht. Da ist jede Osternacht in einer bayerischen Dorfkirche vergeistigter, ritualisierter und enthobener. Das hier ist lärmig, chaotisch und irgendwie pragmatisch: Du zahlst, dann kommt dein Gebet in den Himmel. Zahlst Du mehr, funktionierts ein bisschen besser. Und es scheint, als hätte die Staatsregierung eingesehen, dass man den spirituellen Bedürfnissen der Bevölkerung stattgeben darf (solange es keine Muslime in Xinjiang sind, die in die Moschee wollen).  Ein bisschen Gelassenheit in einem sonst so paranoiden Staatsapparat. Wie schön und ich genieß die Stunden im Kloster.

 

Plötzlich hat sich die Landschaft verändert. Die Landschaft und die Jahreszeit. Es ist Herbst und die Felder sind gelb. Das Laub der Pappeln liegt auf den Straßen und in der früh dauert es jetzt ewig, bis der Tau auf dem Zelt abgetrocknet ist. Jede Nacht finde ich wunderschöne Plätze für mein Zelt, in Obstgärten, an Waldrändern, auf kleinen Terrassen, auf denen die Hirse und der Weizen schon abgeerntet sind. Das ist die Landschaft, die ich aus meinen Jugendtagen in Peking noch so in Erinnerung habe und ich merke wie nahe ich schon bin. Ganz selig bin ich, weil ich so gerne an diese Zeit, 1984 und 85 zurückdenke. Und weil mich schon damals, bei unseren Ausflügen in Pekinger Umland diese Landschaft eingenommen hat. Karg, trocken, 1000 Farbtöne zwischen gelb, gold und ocker, strukturiert, terrassiert, hügelig und bergig. Der Staub in der Luft macht fabelhafte Sonnenuntergänge.

 

Irgendwann sehen ich dann die Mauer zum ersten Mal: In den China-Reiseprospekten zeigen die Aufnahmen immer dieselben restaurierten Abschnitte, wo sich eine solide und gut erhaltene Mauer die Gipfelketten entlang schlängelt. Über die weitesten Strecken aber ist die Mauer größtenteils verwittert und die Lehmziegel wurden abgetragen und in den Häusern der angrenzenden Dörfer verbaut. Insofern ist es oft nur noch das Fundament, ein erdfarbenes Band, dass sich in der Weite verliert. Alle paar Hundert Meter zeugen Ziegelhaufen von den zerfallenen Wehranlagen und Wachtürmen. Wan Li Zhang Cheng heißt die Mauer auf chinesisch – 10.000 Li lange Mauer. Ein Li entspricht ungefähr 500 Metern. Tatsächlich ist nach jüngsten Schätzungen die Mauer über 21.000 km lang, … das größte Bauwerk der Erde. Der Bau hat sich hingezogen über viele Jahrhunderte, und einige Abschnitte konnten auf ein Alter von fast 3000 Jahren datiert werden. 800 v. Christus wurden die ersten Mauern hochgezogen und in den folgenden Dynastien hat entsprechend der wandelnden Bedrohungsszenarien jeder Herrscher an verschiedenen Stellen Mauern errichtet. Vor dem Hintergrund der sehr reellen Bedrohung durch die Mongolen und den Heeren von Dschingis Khan wurden dann die Mauern verbunden und erneuert, Millionen von Sklaven starben beim Bau der Anlage. Von Peking nordwärts, zieht sich die Mauer über Berggipfel und Kämme, gemauerte Außenwände, aufgefüllt mit Lehm und Schotter: Eine unwahrscheinlich aufwendige Konstruktion. Alle paar hundert Meter stand ein Turm, diente als Waffenlager für die stationierten Soldaten und hatte Signalfunktion: Bei Angriffen wurden Feuersignale von Wachturm zu Wachturm weiter gegeben, wie ein Lauflicht, mit dem die Hauptstadt und der Kaiser schnell bei Angriffen informiert werden konnte. Überliefert sind die Worte von Dschingis Khan: „Die Stärke einer Mauer ist nur so groß wie der Mut der Männer, die verteidigen“. … Sprachs und überrannte die Mauer. Desweiteren sagte er: „I am the punshment of god…!“ Das versprach nichts Gutes für die Bewohner der Landstriche hinter der Mauer. … oder:  Man's highest joy is in victory: to conquer one's enemies; to pursue them; to deprive them of their possessions; to make their beloved weep; to ride on their horses; and to embrace their wives and daughters! Alles umsonst – nichts hat sie gebracht, die Mauer und es war ein Massaker!

 

Bis zum Ende der Ming Dynastie wurde an der Mauer gebaut, das war 1644. Und auch wenn es nur noch die Fundamente sind und Ruinen – und auch wenn diese ganze Mauer verteidigungstechnisch ein Riesenreinfall war – es ist schon ein erhebendes Gefühl dieses Wahrzeichen Chinas vor sich zu haben.

 

 

 

Kloster in den Bergen Wudang Zhao und in Hohhot Da Zhao. Einziger Mönch in den Bergen war ein Abt aus Kumbum bei Xining. Der Rest: ein Museum und Kulisse für Selfies, früher eine Riesenalnage mit 1000 Mönchen. In Hohhot dafür echtes Kloster-/Tempelleben mit undurchsichtigen Ritualen und ziemlich eindrucksvollem Lärm aus gewaltigen Messing Hörnern.

Die Landschaft erinnert plötzlich sehr an die Gegend um Peking, und die Mauer taucht auf. Auf dem Weg besuche ich noch eine alte erhaltene Stadt. Hier befand sich die älteste Poststation Chinas. Die noch ursprünglichen Mauern und Befestingungen der Wehranalage vermitteln einen Eindruck, wie auch die Mauer an manchen Teilen ausgesehen haben muss. Von der Mauer aber ist meistens nur wenig erhalten - Landwirtschaft ist hier noch viel Handarbeit. Lagerfeuer - und Füsse wärmen - diesesmal folgenfrei

4. Ankommen

 

In einem meiner lichten Momente habe ich mir mal zurecht gelegt, dass es keine gute Idee ist, meine Ankunft und das Erreichen des finalen Ziels in Peking zu feiern. Was weiß ich, wie das Hostel ist, in dem ich meine Tage in Peking verbringen will? Sind die Leute nett? Und gibt es eine coole Bar? Finde ich es gleich oder ist es wieder eine nervenaufreibende Rumsucherei? Hab ich dann in dem Moment die Ruhe und den notwendigen freien Kopf um mir den Moment in ausreichendem Maße zu vergegenwärtigen? Außerdem liegt dann so eine Erwartungslast auf dem Abend. Also suche ich mir einen Tag vorher schon einen geeigneten Platz-vor den Toren der großen Stadt. Und da gibt es  - 80km nordwestlich von Peking ein paar Abschnitte der Mauer, die bestimmt einen sehr feierlichen Rahmen böten. In den Bergen, steile Hänge und dann auf dem quasi Inbegriff aller chinesischen  Stereotypen sitzen. Ein letztes mal sein Süppchen kochen und bei einem Bier die Reise Revue passieren zu lassen. Klänge zwar gut – aber gleichzeitig ist dieser Abschnitt der Mauer ein frag-nicht-wieviel-A Scenic Point, der Gipfel aller chinesischen Tourismus-Attraktionen und die Enttäuschung ist entsprechend schon vorprogrammiert. Also nicht die große Mauer.

 

Es gäbe alternativ noch die Ming Gräber – seinerzeit, 1984 war das ein verträumter Ort in den Bergen, 40km nördlich und damals noch klar außerhalb der Stadt gelegen. Meine Erinnerungen sind durchaus die von Pinienwäldern, Wiesen und hohem Gras, sowie dem Duft von Harz und Stille. Auf die ersten Hügel, hinter denen die Berge eine eindrucksvolle Kulisse abgeben, haben seinerzeit die Kaiser der Ming Dynastie ihre Gräber bauen lassen. Solide rote Tempel, massiv, geschwungene Dächer, davor marmorne Löwen und Drachen und Treppen und Mauern. Über die Jahrhunderte sind Eichen und Pinien in die Mauern eingewachsen, knorrige Wurzel durchbrechen das Mauerwerk, der Putz blättert auf das Aparteste von den Wänden, Grillen zirpen, die Stadt ist weit: Welch Idyll.  Eingefasst von hohen Steinmauern gibt es insgesamt 13 dieser Gräber – 3 sind für den Tourismus aufgehübscht, renoviert und umzäunt und mit Parkplätzen versehen. 10 aber waren unberührt und verwitterten im Dornröschen Schlaf. Könnte es einen idealeren Ort geben um seine Reise ausklingen zu lassen? Shi San Ling – von da aus sind es am nächsten Tag knapp 50 km zu meinem Hotel. Das isses. Denk ich mir – und fahr hin.

 

Wenig verwunderlich:  Auch hier haben 30 Jahre Stadtentwicklung Spuren hinterlassen. Eine von Steinfiguren gesäumte Prachtstraße, die damals in den Feldern verlief, ist heute inmitten einer Vorort-Siedlung, umzäunt, Ticketpflichtig, mit dem Rad darf man eh nicht hinein. Ich beginne die Grabanlagen abzuklappern und gelange in die Pinienwälder, es riecht nach Harz und ich sehe die roten Mauern, die gewaltigen Portale, durch die man in den Innenhof und die eigentlicher Gräber gelangt ist. Der Vorplatz ist mit Marmorplatten gepflastert, Gras und dornige Sträucher haben sich zwischen den Steinen ausgesät, die Platten sind aufgeworfen. Alleine, die Türen sind verschlossen, … ich wandere um die Außenmauern, suche schon mal mögliche Camp-Spots, werde der Überwachungskameras gewahr, die ungelogen alle 5 Meter von der Mauerkrone in alle Richtungen blicken.   

 

Später versuche ich durch die großen hölzernen Torflügel zu spähen, ins innere der Anlage. Alles sieht aus wie damals: Kiefern, marmorne Rampen mit Drachen und Löwen verziert, Stufen, Mäuerchen und das gewaltige Grab. Dann höre ich einen Lautsprecher hinter mir loskrächzen, verstehe kein Wort und ignoriere den Lärm – keine 30 Sekunden später wird die Tür geöffnet, ein Arbeiter tritt vor das Tor, bemüht, keinen Blick freizugeben auf die Anlage hinter ihm. Ich dürfe hier nicht stehen. Mindestabstand 10 Meter von den Eingangstoren sind einzuhalten, Blicke ins Innere sind verboten. Ich frage entgeistert, ob das Gekrächze gerade mir gegolten hat? In der Tat! Die Überwachungskameras werden von einer Polizeizentrale in der Nähe von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden überwacht. Über eine Lautsprecheranlage können Fehlverhalten sofort getadelt werden, bei fortgesetzter Nichtbeachtung der Ermahnung und Zurechtweisung werden die Mitarbeiter der einzelnen Grabanlagen vor die Tore bestellt, um die Zurechtweisungen durchzusetzen. Also bitteschön: Sofort zurücktreten!

 

Jetzt bin ich schon vom Donner gerührt. Ob das in allen 13 Gräbern so ist? Ja, sagt er mir, seit 2015 hat man begonnen, die Gräber für die Öffentlichkeit zu schießen, inzwischen sind alle zu und alle überwacht, aber ich könne ja in eines der 3 restaurierten Gräber gehen, morgen sei es wieder geöffnet. Ein AAAA Scenic Spot, ein ganz besonderer Ort für die Touristen. Ich erkläre ihm, dass ich vor langen Jahren schon hier war, dass ich die Gräber kenne aus einer Zeit, lange bevor irgendwelche Verbote galten.

 

Ob ich nicht wenigstens kurz reindürfte????, frage ich

 

Nein, das ginge natürlich nicht

 

Und Campen? Mit dem nötigen Abstand? Vielleicht da, am Rand, an der Mauer und da wo die große Pinie steht? … ich habe wenig Hoffnung! Aber dafür gibt es offenbar bislang keine Regelung, kein explizites Verbot und so wird das – große Überraschung - positiv beschieden. Wie schön! Zumindest schon mal ein Platz zum schlafen. Immerhin an dem Ort wo ich auch sein wollte, vor der großen roten Mauer, es riecht nach Harz, die Grillen zirpen und das Dorf ist weitgenug weg für ein Gefühl von Abgeschiedenheit.

 

Ich bin so angepisst, dass mich hier ein Lautsprecher anblökt, dass der Kontrollfanatismus der Regierung die Abstände definiert, die ich einzuhalten habe und dass diese elenden gehaßten Kameras tatsächlich in Betrieb sind. Es ist fast schon sinnbildhaft für alles was mich an diesem Land zur Weißglut treibt. Diese pingelige kleinkarierte paranoide Regulierungswut, die feinmaschige Überwachung, die sich in jeden Winkel des Riesenreiches erstreckt. Merkt ihr eigentlich, dass ihr in einem Gefängnis sitzt? Will ich in diese Scheiß Kameras schreien. Nur weil es groß ist, ist es trotzdem ein Gefängnis.

 

Der Wächter, der dieses Grab bewacht, gibt mir zu verstehen, dass er jetzt wieder reingeht, schaut mich an, nickt mir zu und öffnet das Tor so weit, dass ich zumindest ein paar Fotos machen kann, er verabschiedet sich, wünscht mir eine gute Nacht, ich fang an zu fotographieren, er gibt mir die Hand, und sofort beginnt der Lautsprecher zu plärren. Ganz schnell zieht er die Tür wieder zu. Auch das sinnbildhaft: So ärgerlich die Behörden, so hilfsbereit und warmherzig die Menschen, die immer versuchen in dem engen Geflecht aus Regelungen einen Weg zu finden. Ich werde mich nicht ärgern. Es ist schön an der Stelle und hinter mir an der Mauer bröckelt der rote Putz malerisch von der Mauer. Grillen zirpen... so sollte es sein! Ich unternehme noch einen Ausflug zu den anderen Gräbern in der Nähe, kaufe eine feierliche Flasche Wein, komme zurück auf den wunderbaren Vorplatz und baue mein Zelt auf.  Langsam wird es dunkel, ich sitze vor meinem feierlichen Glas, seit Monaten habe ich keinen Wein mehr getrunken und alles ist gut, …. Salzcracker und Gezirpe, in den Bäumen die Mauer strahlt die Wärme des Tages ab, die Mücken malträtieren meine Knöchel:
Aufbruch und kalte Tage im Januar, Unterschlupf bei einem Studienfreund am Brenner, dann  Bassano und die Flucht in den warmen Süden, Venedig und der Besuch von Gülnaz, das lustige Inselhüpfen über Kroatien, dann Montenegro und die Hostels in Albanien. Endlich wird es warm in Griechenland. In Izmir treffe ich Buki, flieg ein einziges Mal mit dem blöden Gleitschirm, fahr mit Gülnaz von Kappadozien nach Samsun, treffe Pedro und Sarah erst in Georgien und ein zweites Mal in Armenien. Und Aryan im Iran und meine Eltern besuchen mich, … ich bekomme die Visen für Turkmenistan und China und nun steht der Weg offen. Die Hitze in Turkmenistan, das bedrückende Nichts in der ehemaligen Weltmetropole Merv, wunderbares Buchara und Samarkand – so schön und schon so weit weg von München. Gekotzt in Khorog, mit Nico und Philip in und über den Pamir, der Pansch und der Hindukusch, die Tage in Osh und dann endlich China. Kashgar mit Fengsha, dem Heiligen! Dann von Xining in den Süden und das tibetische Hochland. Dann zurück, der lange Weg nach Peking. Tag für Tag versuche ich die Reise zu rekapitulieren, soviel fällt mir ein. Erstaunlich an was man sich so alles wieder erinnert. Zunächst… dann aber befällt mich eine seltsame Rührung, eine Unschärfe in der Wahrnehmung, ein ungewohntes Gefühl von Abschweifung und leichter Wirrnis…. Bis mir bewußt wird, dass ich bei meiner großen Reiserevision mir offensichtlich die Flasche Rotwein hineingeschüttet habe und beim Versuch mich von meinem gemütlichen warmen Platz an der Mauer zu erheben stelle ich fest, dass ich mächtig einen in der Krone habe. Ich schwanke zum Zelt, tatsächlich. Und muss lachen – hatte ich mir auch anders vorgestellt, irgendwie feierlicher, anstelle sich versehentlich einen Fetzenrausch anzusaufen, weil man vor lauter in Erinnerungen schwelgen nicht merkt, dass das nicht die Wasserflasche ist, an der man hier so entspannt vor sich hintrinkt. Aber ich habe ein sehr glaubwürdiges Hochgefühl, weniger stolz es geschafft als glücklich es gemacht zu haben, und dankbar für die Erfahrungen und Bekanntschaften. Mehr zufrieden mit dem Verlauf als traurig über das Ende. Grad ist alles großartig. Meinen großen Abend hatte ich jetzt und Peking kann kommen.

 

 

 

5. Peking

 

Peking wird tatsächlich phänomenal und die Tage sind prall gefüllt mit all den Dingen, die ich machen will und sehen muss. Ich treffe einen Freund aus Kindertagen – Arnd Müller, der nun Innenarchitekt in Peking wurde und jetzt Künstler ist. In Peking – so ein Zufall, dass wir uns gerade hier wieder treffen. Seine Arbeiten gefallen mir sehr und ich freu mich über die langen Gespräche: Über Kunst und China. Vieles was mich in China an den Rand der Verzweiflung treibt, kann Arnd besser einordnen und die chinesische Sicht ein Stückweit begreifbar machen. Ich treffe An Feifei aus Zhongwei wieder, die Fotografin und ihren Freund, wir besuchen einen Vogelmarkt, der heute so ganz anders ist, als damals 1984. Keine illegalen Antiquitäten mehr – aber tatsächlich Tiere: Frösche, Schlangen, Hirsch- und Nashornkäfer, Axolotl, Grillen und Grillenkäfige. Und Krimskrams. Wir schlendern durch Parks und die beiden versuchen mir zu helfen meine Chinesischlehrerin von damals, Lin Laoshi, zu finden. Mit Jessie, der Freundin von Vincent, Fengsha- dem Heiligen – ziehe ich Abends um die Häuser und tagsüber besuchen wir einen Flohmarkt. AnFeifei zeigt mir ein paar coole Straßen in den Hutongs, die so ein bisschen das Ausgehviertel der Studenten geworden sind. Arnd nimmt mich mit in die Berge und die unberührten Stellen der großen Mauer sind schöner als alles was ich mir selber hätte suchen können. An einem Abend gibt es ein Grillfest im Garten seines Ateliers. Ausländer und Chinesen aus der Szene treffen sich, ich nehme An und ihren Freund mit. Mit Duan besuche ich den Lamatempel, den Himmelstempel und die großartigen Stadien der Olympiade 2008. Duan ist der Sohn des Übersetzers, der uns 1984 unterstützt und begleitet hat. Wir kannten uns gar nicht, aber ich werde begrüßt und herumgeführt wir ein alter Freund der Familie. Soviel Freundlichkeit und Freundschaft.

 

Mein Hotel ist mitten in den Hutongs, alten Wohnvierteln, die der Abrissbirne der Pekinger Stadtplanung wundersam entgangen sind. Es ist so bunt und lebendig. Bars und Restaurants, Garküchen und Straßenstände, Kunst und Trödel. Daneben in den kleinen Nebengassen, ganz beschauliches Leben – auf den Plätzen spielen die Kinder und die Erwachsenen tanzen. Tatsächlich – es wird viel getanzt – Tango und ganz klassisch. Irgendeiner hat einen kleinen Lautsprecher dabei, Musik, den lieben langen Tag und die Paare versuchen sich an gewagten Choregraphien. Frauen im zarten Alter um die 70 tanzen gedankenverloren und verträumt und schwingen lange Bänder zu dynamischen Figuren. Mit einem Federspiel spielen Gruppen von Jugendlichen neben den Tanzenden, dazwischen spielen die Kinder mit den Großeltern. Selbst die Bao An wirken entspannt, während sie mit der Armee von Straßenfegern ein gepflegtes Kippchen schmauchen.

 

Morgens besuche ich den Baozi Händler und kaufe mein Frühstück: Gedämpfte Knödelchen aus Hefeteig, gefüllt mit Frühlingszwiebeln und Ei, oder Tofu, oder Auberginen mit Chili, oder scharfen Kartoffeln. Mit meinem Kaffee gehe ich dann auf den Balkon und beobachte das Erwachen des Straßenlebens in den Hutongs. Ich sehe den Drum- und den Bell Tower, im Dunst den Lamatempel.  Hier wurden im historischen Peking mit Trommeln die Stunden angetrommelt. Unter mir die Gassen und im Karree gebauten Häuser der Hutongs.

 

Abends falle ich erschöpft in mein kleines Bett in meinem 5qm Zimmerchen.

 

Mit der Metro durchmesse ich die Weiten der so aus allen Fuge gewachsenen Stadt. Was früher weit vor den Toren Pekings lag ist nun bereits innerhalb der zweiten Ringstraße – fast schon Innenstadt. In Peking wurden von internationalen Stararchitekten großartige Häuser aus dem Boden gestampft. Berühmt ist ein Gebäude, das wie die Beinpartie eines Hockenden aussieht. Mit nur wenig bösem Willen kann man da die Unterpartie eines Menschen sehen, der gerade sein Geschäft macht. In diesem großen geometrischen Winkel hängt die Partie der beiden „Oberschenkel“ soweit aus der vertikalen Achse, dass ohne Gegengewicht das Riesenbauwerk sofort umfallen würde. Drum wurde auf das Fundament ein weiteres Hochhaus gebaut, das quasi als Gegengewicht verhindert, dass sich der „Hockende“ auf seinen „Hintern“ setzt.

 

Kurz bevor das Hochhaus, also das Gegengewicht, ein Hotel, eingeweiht werden konnte, wurde es bei einem der in China so häufigen wie ausufernde Feuerwerk in Brand geschossen. Offensichtlich gelangten bei diesem Feuerwerk Raketen und Böller in die Hand von Zivilisten, die normal nur von Profi-Pyro-Fachleuten gezündet werden dürfen. Hier also der gewaltige Feuerzauber in der Hand von Dilettanten und schon brennt die Butze – ein Feuer wie es Peking nicht oft gesehen hat – eine Riesenflamme am Nachthimmel. Bis auf die Grundfesten ist das Hotel abgefackelt und es stehen nur noch die durchgeglühten Betonmauern…. Die man nun leider nicht abreißen darf, sonst setzt sich das Hochhaus, der große freischwebende Winkel unsanft auf den Arsch. Hat mir der Arnd erzählt – eine der vielen lustigen Geschichten von Peking.

 

9 Tage Peking vergehen wie im Flug. Ich muss mein Rad Transport-fertig machen, wieder hilft mir Arnd, der hier eine Zeitlang sehr aktiv Rad gefahren ist und die Radlläden der Gegend kennt. Meinen letzten Tag verbringe ich nochmal mit ihm und er zeigt mir die Kunstszene – ein Areal, das zunächst von Künstlern, inzwischen aber mehr von mit Kunst reich gewordenen Galleristen besiedelt wurde. Heute auch eine Sehenswürdigkeit für Touristen und posh und teuer. Dazwischen versteckt: letzte Künstler, die auf wenigen Quadratmetern ihre Ateliers behaupten. Auch hier hat Arnd Bekannte und ich darf am letzten Tag noch ein bisschen in der originalen Kunstszene herumschnuppern.

 

9 Tage Peking – so voll und intensiv. Ich bin so glücklich hier zu sein und vergesse in dem Trubel, dass das Ende meiner Reise ja auch durchaus einen Packen Traurigkeit verdient. So eine lange Zeit ging es Richtung Osten – das ist jetzt vorbei.

 

Wie schön, dass ich nicht auf direktem Weg nach München fahre. Zunächst fliege – ja, fliege: ich wollte nicht, aber es geht kaum anders – ich nach Istanbul. Da schließt sich ein Kreis, weil Istanbul ja auch der erste große Knotenpunkt der Seidenstraße ist, eine Metropole und Konstante in der Weltgeschichte, die ich auf dem Hinweg umgangen habe, berechtigten Überlegungen geschuldet, das Wetter in Mazedonien betreffend. So komme ich wieder an den Anfang der Seidenstraße zurück und mir gefällt der Gedanke gut. Außerdem werde ich da erwartet. Das gefällt mir auch sehr gut! Von Istanbul durch Griechenland, Von Igoumenitsa nach Venedig mit der Fähre und mit dem Rad über die Alpen nach Hause. Das wird dann ein schönes letztes Kapitel für den Blog.

 

  

 

Ankommen an den Ming Gräbern

Olympia 2008: Und tatsächlich Super beeindruckend! Vogelnest! Hab ich zusammen mit meinem neuen Freund in Peking angeschaut. Duan.

Beijing City Life: Überal tanzen sie! Etwas ungewohnt für so verklemmte Typen wie mich, aber an sich ist das super. Die beiden Alten lassen krachen und flippen ziemlich entspannt auf der Tanzfläche rum - dann muss die arme An ein paar Runden schwofen. Ich verdrücke mich in die Peripherie. Kaligraphie mit Wasser auf dem Asphalt. Flüchtig und schnell verdunstet - es geht um den Prozess, nicht um das Ergebnis

Im Drum Tower wurde die Uhrzeit nicht mit der Glocke sondern mit der großen Trommel angezeigt, vo oben hat man einen schönen Blick in die Hutongs.

Ein Russe lässt beim Ping Pong die Chinesen schlecht aussehen und auf dem Flohmarkt kann man so ziemlich jeden Schnickschnck kaufen: Von alten Postern aus der Kulturrevolution bis hin zu imposanten Steinskulpturen für den Vorgarten. Richtig wertvoll sind Walnüsse mit tiefen Furchen in der Schale - für die Großen und Schönen werden ein paar 1000 Dollar gezahlt.

Lieblingsbeschäftigung: Posing vor der Handykamera und das Wahrzeichen Pekings - der Himmelspalast

Mit Arnd in den Bergen: In einem kleinen Dorf hat er ein Zimmer gemietet, mit den Vermietern und deren Kindern ist er seit langem gut befreundet. Zusammen schauen wir das Dorf an und wandern zur Mauer. Es wird viel gewerkelt im Dorf - in der Parteizentrale sieht man sehr alte revolutionäre Wandmalerei, nebst der Reproduktion originaler Kaligraphie von Mao...

Und natürlich Mauerwanderung inklusive megakitsch Sonnenuntergang

Arnd und seine Kunst: Es geht viel um Hämmer - Symbol der Arbeiter, denen er in Ihrer Anonymität ein Gesicht geben will. Die Hämmer schweißen die Arbeiter selber zusammen, so sind sie alle Einzelstücke, zugeschnitten auf die spezifische Tätigkeit. Die Sammlung solcher Hämmer ist ziemlich beeindruckend. Vieles andere auch! Arnd Christian Müller.

Goodbye China. Das Bild hat Arnd aufgenommen an unserem Ausflug an die Mauer. China war nicht das leichteste Reiseland und es hat gebraucht "reinzukommen"

- aber dann war es oft so grandios: Bike to Beijing. Was bin ich froh, dass alles so gut geklappt hat. So ein gutes Rad und so viele nette Leute, so wenig ernsthafte Probleme, und so viele großartige Momente

Kommentar schreiben

Kommentare: 6
  • #1

    Arnd (Montag, 21 Oktober 2019 20:16)

    Peking : Servus Stefan dann ... dann Servus Stefan : München. Ich freu mich dich in Muenchen zu sehen. Stein Zufall dass wir uns gleich zweimal nach 1979 an so dir und mir fernen Stellen treffen können:)

  • #2

    Lips (Donnerstag, 24 Oktober 2019 19:26)

    Lieber Stefan,
    wie gerne hab ich deine Geschichten gelesen und bin natürlich immer davon ausgegangen, dass Du uns die Wahrheit berichtest.
    Aber jetzt schlimmer Fake-News-Alarm!
    "Ich ließ das Feuerchen nicht Hochbrennen..."
    Weiß nicht wie viele Lagerfeuer wir schon zusammen abgebrannt haben, aber bei absolut jedem war von deiner Seite pyromanische Eskalation angesagt...
    Ich könnte mich nie mit meiner kleinmütigen Bedenkentägerei durchsetzten.
    Sondiere schon eifrig Nachrichten und erwarte stündlich die Schlagzeile:
    Militärisches Sperrgebiet in der Inneren Mongolei ein Raub der Flammen!

    Komm gut heim!

  • #3

    Christian (Sonntag, 27 Oktober 2019 08:13)

    Lieber Stefan
    freut mich sehr, dass Deine Reise ein glückliches Ende gefunden hat. Und ich gratuliere Dir zu Deinem großartigen Projekt. Vielen Dank für die unterhaltsamen Stunden der Lektüre bei der man sich oft wie dabei fühlen durfte. Deinen Blog habe ich nicht nur bis zum letzten Tag gespannt verfolgt, sondern gern zuhause vorgelesen. Würde mich freuen Dich bald zu sehen. Welcome home.

  • #4

    H+H Feldafing (Dienstag, 29 Oktober 2019 11:23)

    .... und kommt noch ein Schlussblog? Wir hoffen doch!
    Schön dass Du wieder da bist!

  • #5

    Gerd K. Kirchheim (Mittwoch, 30 Oktober 2019 15:33)

    Lieber Stefan,
    willkommen zurück nördlich der Alpen. Wir freuen uns, dass Du heil und gesund und zufrieden zurück bist mit einem Reich an Erfahrung, einem Speicher voller schöner Bilder und einem Script für ein hoffentlich bald erscheinendes Buch voller eindrucksvoller Worte für Geschichten und Fotos. Auch ich habe abends im Campingbus vorgelesen bis der PC den Akku entstromt hat... oder wir, streckenweise, nicht noch mehr lachen konnten.
    Gutes Akklimatisieren, auch bei H+H!

  • #6

    Silvi (Donnerstag, 31 Oktober 2019 22:17)

    Hi Stefan,
    Hab heute Dein Rad, dem man die vielen Kilometer irgendwie gar nicht ansieht, im Treppenhaus gesehen. Du bist also wieder zurück. Glückwunsch zu diesem grandiosen Erfolg, dieser tollen Reise und meinen vollsten Respekt. Irgendwie aber auch schade, jetzt sind die vielen lustigen und interessanten blog-Beiträge zu Ende.
    Ich bin auf Deine Erzählungen gespannt.
    Viele Grüsse, Silvi von AdvanceCOR