Bankett im Hochsicherheitstrakt

Von Irkeschtam nach Xining: So geht Polizeistaat!

 

1: Raus aus Zentralasien - Rein nach China: Vorbereitungen

 

Bislang war jeder Grenzübertritt in irgendeiner Form getragen von einem wohlwollenden Willkommensgefühl: Ein kurzer Plausch mit dem Grenzer, eine überzeugende Begrüßung im Land: Kroatien, das erste Land, das meinen Pass sehen wollte, die Albanier, die mich durchgewunken haben, die Türken in Cesme „Hozgeldiniz!!!“, Iran: so viel Sorge und dann so eine laxe Kontrolle und so ein netter Beamter, der sich gefreut hat, dass wir sein Land besuchen wollen. Selbst Turkmenistan war zwar aufwendig, aber die halbe Armee, die sich um die wenigen Besucher kümmert, sehr umgänglich. Zentralasien ist dann nochmal anders, weil die Grenzposten in verfallenen Baracken auf irgendwelchen zugigen Pässen ausharren müssen, und eh weder Strom noch sonstwas haben, um ernsthafte Kontrollen durchzuführen. Außerdem sind die Jungs da einigermaßen pragmatisch: Wer mit dem Rad über den Pamir strampelt hat vermutlich keine 40kg Heroin aus Afghanistan im Gepäck oder Handfeuerwaffen und Sprengstoff: Angst hat man hier höchstens vor den Islamisten und deren Terror, mit dem sie das zarte Pflänzchen des Tourismus gefährden.

 

Anders die Chinesen: Die meinen es ernst mit ihrer Grenze: Schon auf tadschikischem Boden ist ein Zaun mit solidem Stacheldraht und Hochspannung abgezäunt. Dahinter – 50 km weiter ist irgendwo der eigentliche Grenzverlauf. Das müsste man zB mal den Russen vorschlagen – auf deren Staatsgebiet einen 50km Saum als unbetretbaren Sicherheitskorridor für die EU abzugrenzen. Das gäbe Theater: Aber weil die Chinesen in den Ländern den großen Geber spielen, Straßen bauen und andere Projekte finanzieren (also keine Schulprojekte, das macht die Aga Kahn Foundation und die EU, eher so Staudämme und Tunnel) die sie eh für ihre Silkroad 2.0 Initiative haben wollen, mucken die Tadschiken und Kirgisen nicht auf.  Also folgt man die letzten 200km des tajikischen Pamir-Highways einem schnurgeraden Grenzzaun, der vermutlich zu den besten Bauwerken auf dem Staatsgebiet gehört. China jedenfalls schickt schon mal einen ersten nervigen Gruß in Form eines Hochspannungs-Stacheldraht-Zauns.

 

Die Meldung, dass beim Grenzübertritt die Beamten eine Späh-Software auf das Handy spielen, die Computer komplett spiegeln und so vor allem in den Besitz von Megaterrabite großen Urlaubsfotosammlungen gelangen, ging durch die Presse und wurde wieder und wieder von Freunden und Bekannten auf den sozialen Medien geteilt. Entsprechend groß das Unbehagen. Und weil die Chinesen Google nicht mögen ist Google gesperrt – Whats App funktioniert nicht, Telegram funktioniert nicht,  Instagram funktioniert nicht und nur mit kleinen Schlupflöchern zu ausländischen Servern gelingt der Austausch über die Plattformen: Auch Jimdoo und meine Homepage laden nicht, ohne ein VPN und entsprechend wertvoll sind die Programm, die man sich natürlich IN China nicht mehr runter laden kann: Alles was man über den App Store haben will, muss vorher aufs Handy: WeiDu, WeChat, Alipay… und die VPNs. Die werden an den Grenzen besonders gerne aufgestöbert und deinstalliert. Dann steht man da wie ein Blinder im Labyrinth.

 

Desweiteren: Messer und Tabletten, Benzinkocher – überhaupt Benzin: Teufelszeug. In Xin Jiang zu Tanken ist wie Gold aus Fort Knox abzuholen: Die Tanke ist meterhoch eingezäunt, Stacheldraht ziert die Beton- und Stahlkonstruktion, davor postiert sind mehrere mobile Polizeistationen und der Zugang ist mit in den Boden eingelassenen Krallen gesichert. Gegen den Willen der Sicherheitsbehörden kommt man da weder rein noch raus. Es darf immer nur eine Person nach Registrierung in der Polizeistation durch das mit Schranken bewehrte Tor einfahren. Mitfahrer dürfen erst nach dem Tankvollzug und dem Verlassen des Tankstellenareals wieder zusteigen. China schützt sich so vor den terroristischen Uiguren, deren Hauptterrorangriffsziel natürlich die Tankstellen sind…. Was sonst. Sich abends also an der Tanke noch schnell ein Bier und Chips zu besorgen, ist keine so gute Idee. Das nur nebenbei: Aber entsprechend braucht man in Xin Jiang auch keine Benzinkocher, Wenn man trotzdem einen dabei haben will, sollte man die Benzin-Flasche sorgsamst über Tage auslüften und – Geheimtip – übernacht mit Cola inkubieren: Frisst den Geruch. Ab dann geht die Benzinflasche als Wasserflasche durch. Es ist durchaus schon passiert, dass einer dieser zynischen Grenzer einen zwingt aus der Flasche zu trinken. Sympathisch ist was anderes.

2. Einreisen

 

Wir radeln am frühen Morgen Richtung Irkeschtam und investieren unsere letzten kirgisischen Somoni in  - was sonst: Snickers. Hier ist die Schokolade altersgrau und bröselig – so oft ist sie angeschmolzen und eingefroren, echte meteorologischen Zeugin des rauen Klimas in den hohen Bergen, an der Grenze zu China: Der kirgisische Grenzübergang ist ein respektables Gebäude, und es gäbe sogar Scanner und Schlagbäume. Aber die Schranken stehen offen und die Scanner sind ausgesteckt. Auf dem großen Areal winkt uns ein netter Grenzer zu und schickt uns zu einem kleinen Fenster, eine Tür geht auf, unsere Räder lehnen an den Schranken, kurz im Pass geblättert, in eines der obligatorischen Schmierhefte kyrilliert und dann Verabschiedung mit Handschlag, „see you again!“ Wenn´s schlimm wird, dreh ich um und komme wieder: „see you again in a few hours, eventually!“ denke ich mir. Hinter der kirgisischen Grenze verläuft eine samten geteerte Straße mehrere Kilometer zwischen meterhohen Stacheldrähten, ein Turm so hoch wie ein Tower am Flughafen erspäht uns, ein Soldat brüllt uns etwas zu und wir sehen die gewaltige Festung, die sich die Chinesen hier in die Berge gesetzt haben: Mehrere Hallen, groß wie Hangars und wir rollen ein bisschen eingeschüchtert auf den Posten zu: In einem Eingangsbereich werden uns die Pässe abgenommen, ohne Erklärung verschwindet ein Uniformierter mit den Reisedokumenten. Die Kontrolle, die dann kommt, ist aber überraschend harmlos – zwar wird wirklich jede Tasche geleert und gefilzt – die Kontrolle wird gefilmt, so ist es schwierig eines der Handies in eine schon untersuchte Tasche zu schummeln – aber es ist überhaupt nicht nötig: Unsere Handies und Computer sehen die Beamten sich weder an noch werden ominöse Programme aufgespielt. Ich habe meine gefährdeten Besitztümer vorsorglich nach Deutschland geschickt: Messer und Benzinflasche, dafür habe ich jetzt eine Gaskartusche im Gepäck, die gilt als unbedenklich. Aber Trevor und Emma bekommen alle kritischen Ausrüstungsgegenstände über die Grenze.

 

Hinter dem Grenzposten erstreckt sich militärisches Sperrgebiet, das nicht individuell befahren werden darf. Unsere Pässe wurden bereits ungefragt einem Taxifahrer übergeben, der uns für einen Standardbetrag 140km weiter in den Osten nach Uluqat fährt. Bergab, durch malerische Berge und Wüsten, blaugrüner Sand auf roten Felsen, schwarze Berge, verschlungene ausgetrocknete Bachbetten winden sich aus den erodierenden Hängen. Am zweiten Grenzposten in Uluquat wiederholt sich die Prozedur: Scanner und Taschenkontrolle – dieses Mal werden wir um unsere Lebensmittel geleichtert: Reis, Linsen, Äpfel, 5 kleine Gurken und 2 Tomaten aus dem Essenssck von Trevor und Emely. Meine Gurken überstehen den Kontrollprozess irgendwie – und geraten in den folgenden Tagen wegen besserer kulinarischer Alternativen in Vergessenheit bis sie in Kashgar als fermentiertes Gurkenmus in der Plastiktüte ein unrühmliches Ende finden.

 

3. Drinnen

 

140km innerhalb der chinesischen Landesgrenzen spuckt uns das Grenzprozedere auf die Straßen Uluquats – eine echte Stadt mit funktionierenden ATMs und Restaurants und Garküchen, überdimensionierten Straßen und Plätzen, alles voller Schriftzeichen, von denen ich so gut wie keine mehr erkenne. Wir versorgen uns mit Geld und gehen erstmal Essen: Gebratene Nudeln, Auberginen und Paprika, Suppe mit gefüllten Teigtaschen, scharfes Gemüse, … Unglaublich, wie gut das alles schmeckt, die Leute sind alle nett und neugierig und die Kinder wagen einen kleinen Plausch und ich bin aufgeregt, weil ich chinesisch reden muss. Endlich bin ich in China. 

 

 

4. nach Kashgar

 

Es sind noch knapp 100km nach Kashgar und inzwischen ist es später Nachmittag. Hinter Uluquat führen mehrere Straßen Richtung Kashgar und wir entscheiden uns einem Ratschlag folgend  zunächst für die Nebenstraße; dort seien die Polizeikontrollen seltener: Das ist falsch – alle 10km ein Posten, blau-rote Lichtorgel, eine blau-weiß gestrichene Baracke, Soldaten und Polizisten: Gewehr baumelt über die Schulter, eine martialischer Speer in der Hand eines zweiten – ein Dritter übernimmt das reden: Passport, Gepäck durch den Scanner, … jedesmal dauert die Prozedur eine gute halbe Stunde bis die Pässe und Visen abfotografiert sind. Wir entscheiden uns eine Auffahrt auf die Autobahn zu nehmen – vielleicht ist es da besser – stellen aber fest, dass man da nicht mehr runterkommt – Stacheldraht, Mauern, Metallzäune. Als es spät wird, finden wir tatsächlich doch noch ein Schlupfloch und kriechen unter der Autobahn durch einen Wassertunnel und komme so zurück auf freies Gelände. Es ist trockenste Wüste, steinige Erosionslandschaft, Steppe mit seltenen niedrigen Sträuchern und Dornengebüsch, dann tauchen unvermittelt rote und schwarze Felsen auf, verwittert und mit scharf geschnittenen Formen, wie die Kulissen im Theater ragen die Felsen und Gebirgszüge in den abendlichen Himmel. Staubig die Luft, alles ist in ein sandiges Gelb gehüllt. So stelle ich mir die langen Etappen in der Wüste vor, die großer Tiger und Christian in Fritz Mühlenwegs Roman zurücklegen – Das ist das Land seiner Rotbärte, tibetischen Wandermönche und Räuberfürsten, und die Wüste, durch die die Karawanen zogen. Auf der Landkarte spielt die Geschichte tatsächlich 2000 km weiter im Osten zwischen Hami und Urumqui, aber landschaftlich gibt sich das nicht viel, Xinjiang ist riesig. Ich freue mich sehr, als wir einen Fußweg von der Straße finden, der in die Berge führt, hier wollen wir Campen. Hinter einem dieser verwitterten Felsen sind wir von der Straße aus nicht zu sehen und haben so wenig Sorge mitten in der Nacht Besuch von unerfreuten und ungemütlichen Mitarbeitern des örtlichen Sicherheitsapparats zu bekommen. Die Sonne geht gelb unter und dann zelten wir die erste Nacht in China – erlaubt ist das vermutlich nicht aber wir sind müde: So ein langer Tag – und so ein schöner Glückstag ist heute denke ich mir, in Gedenken an die Abenteuer von großer Tiger und Christian.

 

Tags darauf fahren wir zurück auf die Straße und erdulden die regelmäßigen Kontrollen: Inzwischen weigern wir uns die Taschen durch die Scanner zu schieben und verweisen auf die Kontrolle durch die Kollegen, max. 10 Gong-Li vorher. Wir verlassen die Wüste und kommen in besiedeltes Gebiet. Die einzelnen Häuser verschmelzen langsam zu Dörfern. Die Fassaden bilden eine fast geschlossene und schmucklose Mauer zur Straße, nur die Eingangsportale sind kunstvoll gestaltet mit Schnitzereien, geschmückten Giebeln und glasierten Kacheln. Kann man durch die Türen spähen, erkennt man schattige Innenhöfe, voller Blumen und Pflanzen und Leben. Vom Innenhof gehen mehrere Zimmer ab, Großmütter  hocken auf niedrigen Schemeln, und schaukeln ihre Enkel auf den Armen, Wäscheleinen und Hühner. Eine Chinaflagge an jedem Haus – und die aufgeklebten Schriftzüge über der Türe: Schwarze Tusche auf rotem Papier: 1000 faches Glück, Frieden, Wohlstand und Gesundheit dem Haus und seinen Bewohnern. Je tiefer wir in die Dörfer fahren desto betriebsamer wird das Straßenleben, - das hab ich im Iran das letzte mal gesehen, so volle Auslagen und so viel Geschäftigkeit. Und überall wird gekocht und aus jedem zweiten Laden duftet es … Zeit die selbstauferlegten vegetarischen Restriktionen ein bisschen zu lockern, die in Zentralasien zwischen mir und der elenden Landesküche standen. Im Westen Chinas vegetarisch zu essen ist fast ebenso unmöglich, aber hier wirft man seine Überzeugungen wenigstens nicht für einen Haufen lieblos gehackter Tierteile auf miesem Reis über Bord. Ich genehmige mir Baozi, gedämpfte und gefüllte Teigtaschen, und frage nicht lange nach der Füllung. Heiland, das ist so gut. Essig Knoblauch Chilli Zucker und Soja, Frühlingszwiebeln, Sesam. Ein alter Mann fragt mich nach dem Woher und Wohin, zahlt mein Mittagessen und stopft meine Provianttasche mit Brot voll, dass er beim Bäcker nebenan gekauft hat. Und er lässt nicht mit sich reden, mir bleibt nichts als mich zu bedanken. Was für ein freundlicher Empfang.

 

5. Radeln unter Aufsicht

 

Kurz danach fällt uns das erste Mal der weiße Jeep auf, der uns offensichtlich folgt. Wie lange schon? Zunächst finden wir das witzig: Da fahren die so pseudounauffällig hinter uns her – als ob wir irgendwas Militantes oder Kriminelles geplant hätten: Dann spielen wir ein bisschen und fahren in 3 verschiedene Richtungen davon: Der Jeep beginnt zwischen uns hin und her zu oszillieren – wir nehmen Straßen, die mit dem Jeep nicht zu passieren sind, wir fahren unterschiedlich schnell und freuen uns, wie der Jeep uns 3 im Bick zu behalten versucht. Später radeln wir an unsere Überwacher heran und versuchen uns mal persönlich vorzustellen, aber die Fenster sind verdunkelt und verspiegelt und blickdicht. Aus der Fahrgastzelle keine Reaktion, wenig überraschend. Aber zumindest wird das Auto ausgetauscht, jetzt weißer VW – langsam finden wir das nun schon auch ein bisschen gruselig: es sind noch 20km nach Kashgar. Bei der nächsten Polizeikontrolle erkläre ich dem Beamten, dass wir von einem unbekannten Auto verfolgt werden, bestimmt sind das Verbrecher, ich hätte Angst und man solle doch lieber die als uns kontrollieren. Vielleicht hab ich da den Bogen ein bisschen überspannt: Hinter dem Kontrollposten geht die Straße durch einen Graben nach oben, langsam strampeln wir uns auf den Hügel und sind fast oben, als vor uns 3 Polizeiwagen heranbrausen und sich quer über die Straße positionieren – 3 x 3 Mann, 3 Gewehre auf uns gerichtet und erstmals spricht einer der Beamten ziemlich anständiges Englisch: Runter vom Rad, Handys rausgeben, Kameras rausgeben, Bilder müssen kontrolliert werden und Pässe her. Dann wird wahllos in den Bildern herumgesucht und ein paar gelöscht, … das wars mit lustig. Was für ein Scheiß. Die haben Essensfotos gelöscht und Häuserfassaden und ein bisschen rote Felsen mit Bäumen davor – alles nur Einschüchterung: Wo wir hinwollen? Kashgar! Welches Hotel? Old town hostel? Reservierung? Haben wir nicht… Diskussion. Und immer diese blöde Flinte in unsere Richtung. Aber ich muck jetzt nicht groß auf. Irgendwann geben sie uns wortlos die Pässe zurück, schmeißen sich in ihre verdunkelten SUVs und brausen weg. Ein bisschen gedämpft fahren wir nach Kashgar ein.

 

6. "Altstadt"

 

Kashgar ist zu einer riesigen Stadt ausgewuchert – die Betonplattenriesen mit 30 Stockwerken säumen den Stadtrand und drängen in die Wüste. Die chinesischen Behörden frönen ihrer Liebe zu breiten Boulevards und dem Aufstellen von Zäunen um die Verkehrsbewegung zu kanalisieren - immer diese Zäune: das ist schon syndromal. Einmal auf eine falsche Straße geraten, kann man so weder umdrehen noch die Straßenseite wechseln – irgendwann kommt vielleicht eine Ampel, erlaubt dann den Wechsel über die Fahrbahn und von da ab kann man sich den Weg zurück suchen. Nervig, wenn man nur mal kurz über die Straße hüpfen will, oder anstelle einer Ampel eine Hades-tiefe Fussgängerunterführung angeboten wird. Mit dem bepackten Rad vielleicht nur anstrengend – mit dem Rollstuhl sind das unüberwindbare Hürden. Aber es kann ja auch nicht jeder einfach hinfahren wo er will: Die Straßen überspannen Metallbögen, auf denen Digitalkameras und Blitze installiert werden – ein wahres Stroboskop, weil jedes Fahrzeug und jeder Fahrer alle 500 Meter geblitzt wird – komplette Erfassung der Bewegungsprofile. Auch wir mit unseren Rädern sind nun 100-fach dokumentiert. Da kann sich Turkmenistan noch ne Menge abschauen. Nicht einfach nur gelangweilt an der Grenze 50 mal den Pass kontrollieren, das ist Anfängermist von Provinzautokraten: Das ganze Land will überspannt sein von Überwachungs-Kameras und sonstiger elektronischer Datenerfassung, nebst kompletter Kontrolle der sozialen Medien um das Leben der Landesschäfchen liebevoll zu begleiten: Da brauchst du keine Sorge haben, dass der Nachbar vielleicht heimlich einen kleinen revolutionären Traum träumt. So geht Polizeistaat.

 

In Kashgar kontrollieren Polizeistationen den Zugang zu den einzelnen Stadtvierteln und mobile Stahlbarrikaden lassen sich in wenigen Sekunden entfalten, um ganze Straßenzüge abzuriegeln. Juhu. An jeder dieser Stationen lungern ein paar Uniformierte, ausgerüstet mit der Dreieinigkeit von Gewehr, Prügelspeer und Kamera. Der Speer ist eine besonders widerwärtige Ausprägung der chinesischen Polizei-Machtfantasien. Eine Teleskopstange aus Metall, vorne mit einer 3-seitig angeschliffenen Spitze versehen, hinten stumpf wie ein bundesdeutscher Schlagstock. Zusammengeschoben ungefähr 1 Meter lang, militärisch schwarz und aus irgendwelchen Verbundmaterialien: Metall, Plastik… Ich hab die Polizei beim Üben mit dem Werkzeug beobachten können: Ausgezogen ist das Ding lang wie eine mittelalterliche Hellebarde – man steche damit dem Angreifer wahlweise in die Oberschenkel oder in den Bauchraum – so wurde das angedeutet und trainiert in den gemeinsamen Übungen. Zusammengeschoben ist es als Prügel nutzbar wie der Baseballschläger in der Bronx. Sagenhaft: Sowas ist natürlich besonders beruhigend aufgehoben in den Händen von Sicherheitsbeamten, denen eingetrichtert wurde, dass hier der Terrorismus nur auf einen unaufmerksamen Moment des Staates wartet.

 

Und trotzdem: So schwarz weiß ist das alles vielleicht doch nicht: In Kashgar wurde in den letzten 20 Jahren eine „Altstadt“ aus dem Boden gestampft, auf dem Grund und Boden wo früher mal das „alte Kashgar“ stand. Als Michi und ich im Jahr 1986 in Kashgar waren …(jawohl – 1986: Die meisten Reisenden die ich treffe waren da noch nicht auf der Welt! – das ist absolut historisch und das Privileg des Alten: Ich hab Zeug gesehen, das so unwiederbringlich weg ist und auf die Jungen wirkt wie eine Botschaft aus dem Jenseits). Das historische Kashgar war aus Lehmbauten zusammengewürfelt: Schlammbraun, windschief, eng, flache Dächer, kleine Fenster, winkelige Gässchen führten zum großen Marktplatz auf dem Sonntags vom Huhn bis zum Kamel alles gekauft werden konnte. Die neue Altstadt, die nun unter chinesischer Planung entstanden ist, hat damit wenig zu tun: Die Straßen sind immer noch gewunden, aber breit und gepflastert. Die Häuser sind in irgendeiner Form schon traditionell und auf alle Fälle schön, geräumig, und für die Bewohner bestimmt komfortabel: Wasser und Strom! Die Seitengassen sind nach wir vor eng, vor den Eingängen reihen sich blühende Topfpflanzen, Wein überspannt die Dächer, kleine Balkönchen und Terrassen … das ist tatsächlich gemütlich und heimelig: Auto fahren hier so gut wie keine und man sieht etwas, was ich sonst in China nirgends beobachtet habe: Kinder die auf der Straße spielen. Den Besuchern bieten die Uiguren, die hier wohnen, alles an, was sich als traditionell verkaufen lässt – das ist nicht wahnsinnig vielfältig aber die Jungs machen ihren Schnitt. Vom Tourismus lebt es sich leichter als vom Schafehüten und Kamelemelken in der Wüste. Der Nachtmarkt ist ein Wahnsinn. Bis um 11 Uhr Abends Schluss ist, kann man hier alles Essen, was man sich so als asiatische Skurrilität einfallen lassen kann: Hühnermägen am Spieß, Ziegenrücken und Schafkebab, Füsse, Krallen und Hufe von allem was halal ist, gekochte und der Länge nach geteilte Schafsköpfe erlauben detaillierte anatomische Studien, alternativ kann man aber auch das Zahnfleisch vom Kiefer fieseln. Nudelsuppen und Bohnenkäse, gegrillten scharfen Tofu, gebackene Teigtaschen mit Fleisch und Zwiebeln. Und und und … Es ist laut und eng und ein Mitarbeiter der deutschen Institute für Arbeitssicherheit würde das Ding sofort und irreversibel schließen – in großen Kesseln kocht und brodelt das Öl, darunter bollert eine Gasflamme, der Boden ist rutschig: Eine Mischung aus Frittierfett und flachgelatschten Tierresten. Auf kleinen Hockern an kleinen Tischen wird daneben das Essen über die Theken, die offenen Grills und Suppentöpfe hinweg gereicht. Dagegen sind die hochsicherheitsrisikogeschützten Tankstellen absolut gefahrlos. Bewirtet wird der Tourist von den Uiguren, die hier ihre Stände betreiben oder die Getränke aus den angrenzenden Läden verkaufen.

 

Uns ist hier im Westen sehr bewußt, wie sehr die Uiguren unter der Herrschaft des chinesischen Staatsapparats gepiesackt werden – Nicht immer liebevoll wird ihnen das Angebot zur Umerziehung gemacht, wenn sie sich beim Besuch einer Moschee erwischen lassen. Es gibt Lager, in denen jeder Hauch von widerständlerischem Gedanken bekriegt wird. All das ist leider real und unerträglich. Andererseits sind hier Schulen gebaut worden und die modernen Städte sind zum Wohnen für den Großteil der Bevölkerung bestimmt attraktiver, als die pittoresken Lehmbehausungen – die wir als Touris zwar gerne ablichten und mit kleinem Grusel auch mal reinschauen, dunkel und angeranzt. Aber wohnen wollen wir da auch nicht. Sprich: Klo! Und Wasser aus dem Hahn. Und Strom aus dem Stecker…

 

Und es gibt ja auch die Jugend und die Jüngeren – die wollen eben auch nicht alle nur die schöne Tradition wahren, brav und gläubig in die Moschee zum Beten – sondern die wollen Geld und Auto, Reisen und das was sie sich unter zeitgenössischer Mode vorstellen. In unserem schönen Bayern wollen ja auch nur ein paar wenige in die Neigungsgruppe Volkstanz und Geißelschnalzen, nebst Zitherklang, Schnupftabak und Schützenverein. Für die Uiguren, die sich mit der chinesischen Staatsmacht arrangieren konnten, ist der Deal durchaus attraktiv. Die leben besser, verdienen mehr Geld, leisten sich bessere Autos, fahren mit Elektro-Scootern, die Kinder gehen auf die Schule und das scheißharte Leben in den historischen Stadtteilen ist leichter geworden. Auch das muss man sehen – das ist keine Wertung, und bestimmt keine Rechtfertigung, keine Sorge… gehört nur auch zum Bild – und es ist eben auch ein bisschen Grau zwischen dem Schwarz und Weiß.

 

7. Reisen mit einem Heiligen. Sankt Feng Cha. Schutzpatron für alle Unterwegs

 

Zusammengenommen habe ich aber eine super Zeit in Kashgar – ich treffe Bekannte aus Osh zufällig auf dem Nachtmarkt und lerne einen chinesischen jungen Mann kennen, Feng Zha, der sich in den Tagen um wirklich Alles bemüht, was ich brauche; und das ist viel: Eine SIM-Karte und ein Zugticket, eine Möglichkeit mein Rad nach Xining zu verschicken sowie ein Paket nach München und einen We-chat account. Den WeChat Account bekomme ich nur, weil ich eine alte ID seines Vaters benützen kann, meine SIM-Karte läuft über seinen Personalausweis. Gemeinsam durchstöbern wir die Stadt nach Läden, Behörden,Verkaufsstellen und nebenbei plant er noch den Aufenthalt in Xining.  Zudem ist er belesen und hat ein Faible für deutsches experimentelles Kino sowie deutsche Literatur und ich fühle mich ein bisschen arg unbeschlagen in deutscher Kultur, weil ich wirklich keinen der Direktoren und Autoren kenne – bis wir die Personen auf dem Handy nachschlagen: She Zi Wo Ge? Stefan Zweig! 

Gemeinsam klettern wir an einem Tag durch ein Schlupfloch im Bauzaun und kommen so in die Ruinen der tatsächlichen Altstadt – ein kleines Viertel haben sie noch nicht niedergewalzt, aber die Bewohner sind bereits umgetopft und seitdem verfallen die Häuser. Manche sind baufällig und die Ziegel zerbröseln zu Staub, andere Häuser waren gerade erst neu gebaut – wie tragisch für die Besitzer, dass sie diese kleinen Paläste haben verlassen müssen. Wer weiß wo der Staat sie hingesiedelt hat?

 

Zuletzt verschiebt mein Schutzengel und Erledigungsheiliger noch seine Zugfahrt um einen Tag, da wir so gemeinsam bis Kuqa fahren können: Das soll sich am Tag meiner Abreise als niht nur bequem sondern sondern entscheidend erweisen: Kashgar verlassen ist schwerer als reinzukommen.


8. Mit dem Heiligen unterwegs: Zug nach Xining:

Nichts ist einfach in China – dafür ist alles kompliziert! Das gilt vor allem für die Ausländer, die hier versuchen sich individuell durchzuschlagen. Während die Chinesen alles mit dem Handy machen – einen Pfirsich kaufen, das Paket bei der Post nachverfolgen, Reisen organisieren, sich ausweisen, sein Telefon anmelden … alles funktioniert mit dem Handy - ist es für uns Reisende aus dem Ausland ungleich komplizierter: Wir, die Wei Guo Ren (Ausländer) bekommen schon mal keine SIM Karte: Dafür braucht man nämlich eine offizielle Übersetzung des Namens – den stellt eine Behörde aus – das kostet und vor allem: Dauert! Damit könnte man dann versuchen eine SIM Karte zu organisieren, es gibt 1000 von Läden, die nichts als SIM Karten und irgendwelche Handyservice-Pakete verscherbeln – aber eine SIM Karte für Ausländer? Nur die Zentrale, für XinJiang ist diese Zentrale in Urumqi, das sind schlappe 1200km. Hätte man nun so eine SIM Karte, könnte man aber eh kein Geld auf das AliPay Konto laden – weil man kein Konto eröffnen kann. Bzw WeChat mit dem Konto verbinden. Online zahlen geht also nicht – online buchen entsprechend ebenfalls nicht. Zugtickets also am Bahnhof kaufen: Da müssen wir eh hin, weil ich mein Rad aufgeben muss. Um nur in den Bahnhof (nicht etwa in den Zug) zu gelangen, wird man durch einen Scanner geschickt, muss seine Taschen filzen lassen und da es nur 4 Scanner gibt ist die Schlange lang. Endlich da, muss ich mich ausweisen – mein Pass findet nicht die Zustimmung der betongesichtigen Beamtin, woher soll sie wissen, dass ich den Pass nicht geklaut habe? Darum muss ich eine andere Stelle aufsuchen, da wird mein Pass bestätigt, dh: ich bekomme nach Vorlage des Passes einen kleinen Wisch in die Hand gedrückt, der mich berechtigt, die Leibesvisite an mir vornehmen zu lassen um dann in den eigentlichen Bahnhof vordringen zu dürfen. Ohne Begleitung, ohne chinesisch Kenntnisse – wie im Namen des Herrn soll man das alles hinbekommen? Immerhin weiß ich nun schon das Prozedere für den Tag der Abreise. 

 

Im Inneren angekommen suchen wir gemeinsam die Abgabe Stelle für separat verschicktes Sperrgepäck und finden hinter einem Plastikvorhang eine Gruppe rastender Uniformierter, die mich erstmal mein Rad auseinanderbauen lassen wollen. Langsam verlassen mich die Nerven aber nach ein bisschen Gefluche einigen wir uns auf den Vorderreifen. Feng Zha begleitet das alles mit stoischer Geduld.  Eine Stunde später ist das Rad reisefertig und verpackt. Zugtickets? Gibt’s am Schalter auf der anderen Seite – die Schlange geht bis vor die Tür, anstehen nicht weniger als eine Stunde. Zufällig aber haben wir am Vormittag beim Abgeben des Pakets auf der Post gesehen, dass auch die Post Zugtickets verkauft. Also statt anzustehen: Zurück zur Post und in der Tat bekomme ich da zwei Tickets: Hart-Sitzen von Kashgar nach Turfan, 18h im mittelschnellen Zug.     [Einschub: in China werden in Zügen 4 Klassen angeboten – Hart Sitzen ist so wie es klingt: hart sitzen, je länger desto härter, Hart-Schlafen: 3 Pritschen übereinander, ungefähr 60 Betten im Großraum Abteil, … an sich das beste für lange Fahrten, weil Weich-Sitzen und Weich-Schlafen zwar bequem und luxuriös aber auch sau teuer sind und selten angeboten werden. Für Hart-Schafen -Ying Wuo- muss man zeitig die Tickets buchen, sonst sind die weg, bzw. es gibt nur noch die Pritsche unter dem Lautsprecher oder neben dem Klo]         Mit der Verbindung komme ich irgendwann um 8 Uhr morgens an und kann nach 2 Stunden in den Anschlusszug nach Xining steigen. Das Ticket geht allerdings nur bis Hami, da der Zug ausverkauft ist, ich kann aber im Zug das Ticket bis nach Xining verlängern. So die Theorie. Einen Sitzplatz habe ich nicht, ab Hami, aber der Zug ist super schnell und braucht nur 10 Stunden von Turfan nach Xining. Quasi: Erst sehr lange hart sitzen, dann 10 Stunden stehen. Insgesamt 32 Stunden werde ich unterwegs sein. Halleluja.

 

Als Feng Zha und ich am Samstag zeitig am Bahnhof in Kashgar ankommen herrscht Tumult an den Scannern – die Schlange ist bestimmt 200 Meter lang und reicht in den angrenzenden Park: Und weil dem Sicherheitspersonal alles Persönliche herzlich am Arsch vorbeigeht, werden Familien deren Zug in wenigen Minuten fährt auch nicht vorgelassen – es gibt Geschrei, Tränen und Geschubse. Ich wackel mit meinem Ticket an den Schalter, der mir bestätigt, dass ich ein Ticket habe und versuche dann mit meinem Gepäck zum Scanner voranzukommen. Beim Anstehen gilt hier das Faustrecht: Keine falsche Zurückhaltung: das Gepäck nach vorne geworfen und hinterher geklettert. Ellenbogen. Meine Tasche hat schon beim Packen erste Wirkungstreffer hinnehmen müssen: Reisverschluss kaputt, erste Nähte gerissen, … der Taxifahrer musste unbedingt noch an der Tasche herumrupfen bis das 10 Yuan Taschenungetüm komplett zerstört war. Ich hab am Bahnhof einen riesigen Plastiksack gekauft und alles zusammengestopft … beim Anstehen ergeben sich daraus erhebliche Nachteile im Nahkampf gegen die Dränglern mit leichtem Gepäck. Es ist heiß und eng und ich schwitze wie ein Boxer im Ring– schwer wie Sand hieve ich das Sackmonster auf das Band, grad dass es durch den Scanner passt.

 

 

In dem Raum geht es zu: alles was verdächtig ist muss ausgepackt werden, so fliegen die Inhalte diverser Taschen durcheinander, das Kontrollteam summt wie die Fliegen um die Scheiße und rupft Tasche um Tasche vom Band und entleert den Inhalt auf die viel zu wenigen Metalltische: Und oh Wunder: mein Großraum-Gepäcksack wird sofort als hochverdächtig identifiziert. Alles wird entleert – der Kulturbeutel: Nagelschere! Trara: Triumphgeschrei: Das geht nicht! Ab in die Konfiszier-Kiste, Handdesinfektionsgel: riecht alkoholisch: Trara! Bu Xing! Geht nicht. Des Weiteren verschwinden: Ein Campingmesser – das letzte Messer, mit dem ich bestimmt nicht mehr als Butter aufs Brot schmieren kann. Nichtsdestotrotz - Hinfort. Sündenfall: Messer immer sehr verboten. Kettenöl. Brennbar. Konfisziert. Die Gaskartuschen, extra gekauft als alternative zu Benzin… egal: auch weg. Noch eine kleine Schere zaubern sie irgendwo heraus, das Pfefferspray – needless to say. Der Berg wächst und ich verliere die Nerven: Pfefferspray und Gas lass ich mir eingehen: Das Buttermesser? Das Desinfektionsgel? Das Kettenöl? Hallo? Hirn?

 

Feng Zha redet beruhigend auf mich ein – nichts sagen jetzt. Der Zug geht in 20 Minuten – um mich herum liegt meine gesamte Ausrüstung verstreut und wenn ich jetzt noch anfange zu diskutieren ist der Zug weg. Wie die Glucken bewachen die Scheißweiber ihren Taschenraub und ich wünsche Ihnen den Tod. Allen! Ich hasse dieses Land, diese Weiber und die beschissene Willkür, die Polizei und den Kack-Bahnhof. Was wollte ich nochmal in China? Am Ende ist alles irgendwie wieder zurück in den Sack gestopft und geschultert. Ich renne mit Feng Zha die überdimensionierten Bahnsteige entlang.  Nix wie rein, Schaffner pfeift, Tür zu und los gehts.- das war knapp!

 

9. Raus aus Xinjiang

Der Zug ist bumsrappelvoll und auf jedem Quadratmillimeter stapelt sich das Reisegepäck all derer, die es schneller durch die Kontrolle geschafft haben (also alle anderen). Immerhin habe ich einen Sitzplatz. Mein Gepäck lege ich vor meine Füße auf den Boden, die Mitreisenden ohne Ticket arrangieren sich in den letzten Minuten vor der Abfahrt auf dem Fussboden, mein Sackmonster ist bereits Rückenlehne und Kopfkissen, irgendwo brüllt ein Kind. Wo? Unter dem Sitz haben die Eltern eine Matte ausgebreitet. Das Abteil wird besiedelt wie fruchtbarer Boden. Flächendeckend.

 

Stunden später wird es dunkel und kurz vor Mitternacht steigt Feng Zha in Kuqa aus. Reisen ohne Schutzpatron....  In dem Abteil haben sich alle irgendwie eingerollt und eingeigelt, alles liegt aneinander gelehnt und halb verschlungen auf und über Gepäckstücken, Kinder und Alte, Mütter mit ihren Kindern, klag- und anspruchslos auf dem Boden, während der Zug durch die Nacht stampft.  Und auch wenn mich das alles anstrengt, ich an sich meine Beine ausstrecken möchte, die ewige Raucherei nervt und die Zeit kriecht … es ist fast ein bisschen heimelig: Und wenn die chinesischen Volksmassen tagsüber etwas arg laut, etwas arg roh und arg ungeschliffen daherkommen, sind sie nachts auch sehr großzügig miteinander, stören sich nicht an den Füssen des Nachbarn in der Armbeuge, dem plärrenden Kind, dem endlosen und lauten Ballergedaddel auf dem Handy des Herrn gegenüber und wer zu zweit auf einem 2er-Sitz Platz gefunden hat macht Platz für einen 3ten, der sich noch an den Rand zwängen darf. So fällt das Abteil zwischen 2Uhr und 7 Uhr morgens in einen sozialen Schlaf, wie die Murmeltiere, bis im Morgengrauen der erste aufs Klo marschiert  - dann kommt Bewegung ins Abteil, plötzlich muss jeder mal ganz dringend, unter jeder Bank beginnen Kinder zu krähen, gemeinschaftlich husten sich die Männer irgendwelchen Partikel aus den Bronchien und spucken gruseligen Auswurf in die Aschenbecher. Teewasser wird durch die besetzten Gänge balanciert und aus den Taschen Lebensmittel hervorgewühlt. Um 7 Uhr stehe ich dann im morgendlichen Halbdunkel auf einem Bahnsteig in Turfan. Die Hälfte Xin Jiangs habe ich hinter mich gebracht. 12 Stunden später sitze ich in einem super gemütlichen Hostel in Xining, der Hauptstadt Qinghais in Zentral China. Mit dem Rad hätte ich dafür einen guten Monat gebraucht und Peking ist plötzlich gar nicht mehr so weit weg.

 

Staub und Sand färben die Hügel und Bergketten gelb ein, die Hänge sind kahl und tiefe Erosionsrinnen im roten und bunten Gestein lassen wilde Formen und Fratzen im Fels entstehen. Camp 1 in China.  

Impressionen aus der Altstadt: Meine Erinnerung an die historischen Stadtviertel, wie ich sie mit meinem Bruder 1986 gesehen haben, sind mit diesen schnuckeligen Gässchen nicht ganz deckungsgleich. Deckungsgleich aber die Herstellung von Speise-Eis in Kupferkesseln. Damals habe ich unvorsichtigerweise sofort einen Becher in mich hinengeschaufelt - die Folgen absehbar. Das Herstellungsverfahren gibt es noch, aber ich bin vorsichtiger geworden.

Selten zu sehen in China:  Kinder die auf der Straße spielen. Der Vorteil kleiner Gassen. Egal wie alt die Altstadt nun ist ist, wenn so renoviert wird, hat sich deutlich etwas verbessert gegenüber "früher"

Sankt Feng Zha - wie so häufig telefonierend um mir oder anderen irrlichternden Touristen den holprigen Weg durch China zu ebnen. Zusammen haben wir uns durch einen Bauzaun gequetscht um die Reste eines alten verfallenen Viertels anzusehen. Entspricht eher meinen Erinnerungen von damals: In einem sehr luxuriösen und gut erhaltenem Haus war noch ein Spiegel an der Wand - ... Gelegenheit für ein Selfie. In den Innenhöfen haben sich Feigenbäume eingewurzelt und auf den Hausdächern sind noch die Volieren erhalten - hier hat man Tauben gehalten. In nicht allzulanger Zeit wird das hier platt gemacht und ersetzt.

Nie wieder hungrig: Nicht alles muss man probieren - und es gibt noch viel mehr: Alle möglichen gebratenen Nudeln und Salate aus Bohnenkäse, Suppen und Säfte. Und gegrilltes - inklusive Innereien und Füße. Man beachte bitte den Längsschnitt durch den gekochten Schafskopf.

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Kommentare: 4
  • #1

    Helmut Hannus (Mittwoch, 28 August 2019 22:05)

    Huaning huaning - willkommen in China!
    Mach keine Witze mit der Staatsgewalt - in den USA heißt das "no nonsense" und so sehen sie das auch !
    Lass Dir das Essen gut schmecken, Sezuan soll besser als Quinghai sein, laut dem Großvater der feinen Dame bei Großer Tiger und Christian sind die Gasthäuser dort nicht gut, wohl aber die Melonen von Hami, aber da bist Du ja schon durch.
    Gute Reise weiterhin, schöne Erlebnisse, gute Menschen und schöne Landschaften, ja und gute Gasthäuser!
    Wir sind alle gespannt auf die Fortsetzung
    Dein würdiger Alter und die ehrwürdige Mutter!

  • #2

    Norbert (Mittwoch, 28 August 2019 22:33)

    Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für die anschauliche Beschreibung deiner vielen Eindrücke. Mit dieser Zugfahrt hast du einen gewaltigen Satz gemacht und ich bin gespannt, wie deine Reise nun weiter geht. Ist dein Fahrrad ebenfalls wohlbehalten in Xining angekommen?
    Liebe Grüße von Jan und mir.
    Norbert

  • #3

    Lips (Donnerstag, 29 August 2019 18:19)

    Lieber Stefan,
    ich bin so voller Bewunderung für Dich, genau wissend wie Umständlichkeit und Willkür Dich nerven (viel lieber nach Feldafing geradelt, als umständlich das Rad in die S-BAHN gesteckt) und wie viel leichter Du dagegen "hardness" und Anstrengung erträgst.
    Hoffe, dass das gute Essen Dich entschädigt...
    Bin schon sehr neugierig, wie es sein wird, einen Geduld erlernten Stefan, wieder zu Hause zu erleben.
    Aber jetzt geht meine Fantasie mit mir durch!
    Noch eine gute Reise!

  • #4

    Michi (Sonntag, 01 September 2019 15:33)

    hej Stef,
    sehe ich da einen super elastischen Entenbürzel? Deep fried? Den letzte haben wir ja nie wirklich gesehen...nur gespürt!
    Dieser Bottich mit gefüllten Mägen erinnern mich ein bisschen an die Petrischalen, in denen der Klaus Brehm die Echi-Zysten züchtet. Was die Hölle sind die Dinger oberhalb vom Knoblauch? Proglittiden vom Bandwurm am Spieß? Cave! Aber ich sehe auch Anzeichen verbesserter Lebensmittelhygiene. Vielversprechend. Viel Spass mit all der lang vermissten Vielfalt.