Diesen kurzen Eintrag mit „Kirgisistan“ zu überschreiben wäre etwas vermessen: Gesehen und beradelt habe ich hier herzlich wenig. Der ursprünglichen Planung entsprechend, wäre mein Abstecher in dieses Land sogar noch kürzer gewesen. Hinter der Grenze gelangt man zu einem kleinen Dorf, Sari Tash – hier treffen sich zwei Straßen: der Pamir Highway führt auf seinen letzten Kilometern Richtung Norden nach Osh. (Dort ist man dank der Folgen politisch motivierter sowjetischer Grenzziehung schon wieder fast in Uzbekistan – Uzbekistan und die ganzen blau gekachelten Medressen und Moscheen: das fühlt sich an als wäre es ewig her)
Den Pamir Highway kreuzt in Sari Tash, einem langen Tal folgend von West nach Ost die Straße Richtung China. Hier sind die Verkehrsnetze dünn gewebt und hinter dem Pamir nach rechts abbiegen und nach China radeln, das fand ich schon beim Planen ziemlich lässig: im Nirgendwo Zentralasiens nach China rechts abzubiegen, so wie man vielleicht im tiefsten Niederbayern hinter irgendeinem Bauernhof zu einem gottverlassenen Weiler rechts abbiegt. Nur halt hier: Riesenimperium und Megaland.
Meine Planungen endeten kurz vor der chinesischen Grenze im Vagen: Dass ich China nicht in ein paar Wochen mit dem Rad durchmessen kann, ergibt sich aus den Dimensionen. Es ist durchaus nicht so, dass es andere nicht versucht oder gemacht hätten: Tage unter der erbarmungslosen Wüstensonne durch die Wüste Gobi, endlosen geraden Asphaltbändern durch flimmernde Hitze, mehr als 2000 km. Selbst wenn ich die Zeit dazu hätte, würde ich das nicht radeln wollen. Was allerdings ich genau in China radeln wollte, sollte sich dann ergeben, wenn ich vor Ort bin: Zu vielfältig die Möglichkeiten, zu widersprüchlich die Informationen und das alles war noch so weit weg: Im Iran hatte ich andere Sorgen und mit dem glücklichen Hauptgewinn in der chinesischen Visa-Lotterie für meine Begriffe genug erreicht. In Uzbekistan war das Netz zu langsam und zwischen mir und China lag immerhin noch das Dach der Welt. In Tajikistan aber gab es weitgehend gar keine Möglichkeit mehr, sich mit den Reisedetails zu befassen. Wie auch? Wo auch?
Und dann spuckelt es einen hinter dem letzten Pass in dieses breite grüne Tal, eingefasst von den Schneegipfeln des Pamirs und der Fergana Kette im Norden – Sari Tash – hier bitte nach rechts und 100km weiter beginnen die nicht ganz unerheblichen Kontrollen, mit denen sich China von seinen bergvölkischen Nachbarn abschottet. Plötzlich stand ich quasi im Vorgarten Chinas, aber ich hatte schlicht keinen Plan, was ich genau in China vorhabe, sobald ich mal drinnen bin; und vor allem: In China ist das mit dem Planen nicht gerade einfacher, zumal Google nicht geht und ein Großteil der Netzadressen, mit denen ich mich durch die Vorbereitungen hangeln wollte, gesperrt sind. Entsprechend also anstelle rechts abzubiegen, geradeaus weiterradeln: Ab nach Osh, verglichen mit dem sehr sehr sehr armen Tajikistan ist Kirgistan ein modernes Land und Osch ist eine große Stadt mit allen Bequemlichkeiten: Duschen aus denen ein solider Strahl warmen Wassers kommt, Strom aus Steckdosen, die nicht Funken schlagen, sobald man sich mit einem Stecker nähert und Restaurants, die als heiß ersehnte Abwechslung zur schlicht bis schlechten Pamir-Diät mehr auf der Karte haben als Ziege in Ölreis. Nebst unzensiertem Netz. In Osch bleibe ich solange ich eben brauche, um einen einigermaßen vertrauenswürdigen Plan für China aufzusetzen, lass mich nach Sary Tash zurück kutschieren und fahre von dort nach Osten Richtung China. So der Plan.
Und wenn man das radelt, so wie geplant, über das breite Tal und weiter nach Osh und zurück – dann hat man nicht viel gesehen, von diesem Land voller Pferde, Yaks und Yurten, weiten grünen Tälern, Bergen und Gletschern. Aber soviel habe ich dann doch gesehen, um zumindest zu erahnen wie schön es sein muss, dort mit frischem Radl-Elan und ungestillter Neugier auf Zentralasien ein paar Wochen über wilde Pässe zu klettern und an einsamen Bergeseen zu campen. Habe ich aber leider nicht mehr – keinen Elan, der Pamir hat mich ein wenig ausgelaugt, fürs erste. Und keine Neugier auf Zentralasien. Turkmen-, Usbek-, und Tajikistan, fast 2 Monate zwischen Persien und China. … es wird Zeit für was Neues:
Grün
Der letzte Tag im Pamir vor dem Grenzübertritt endete in einem sturmbedingten Notlager – halb geschützt hinter einer Bodenwelle, wenig Gras, viel Staub, Geröll und den Löchern der Murmeltiere. Am nächsten Morgen ist vom Unwetter nicht mehr viel zu sehen – blauer Himmel und die ersten Böen künden von einem weiteren Tag im Gegenwind. Der erste Checkpoint, mit dem wir aus Tajikistan verabschiedet werden liegt auf halbem Weg zu einem Pass – wie könnte es anders sein – die Formalitäten erfolgen lax und nachdem unsere Namen, Pass- und Visanummern zum 100.sten Mal in irgendein ausgefranstes Buch übertragen wurden machen wir uns auf den letzten Anstieg und ein einziges Mal wird hier der höchste Punkt der Straße angezeigt – die gewaltige Statue eines Marco Polo Schafs auf einem gemauerten Sockel, umgeben von den skelettierten Schädeln der ehemals lebenden Vertreter, … hätte ich gerne mal unskelettiert mit Fell und unverstorben gesehen. Hier endet dann auch Tajikistan und es folgt ein Niemandsland von 20km, es geht bergab, aber da sich keiner verantwortlich fühlen muss hier, gibt auch keiner einen Pfennig Geld aus zum Erhalt der Straße und so sieht die dann auch aus – zum letzten Mal eine echt verheerende Piste. Die Wolken hängen inzwischen wieder tief, der Wind pustet und plötzlich hat sich die Landschaft verändert: Rote Erde, bunte Kiesel, klare Bäche gluckern durch grüne Hänge, am Wegrand Blumen, …. Gelb: sieht aus wie Mohn, gelber Mohn? Gibt es, Glaucium flavium – beruhigende Wirkung, dank Glaucin, ein legales Opioid, schmerzstillend und halluzinogen. Das wenn ich gewußt hätte. So hab ich es bei kunstsinnigen Photos mit Tiefenunschärfe-Effekten belassen, anstatt das Kraut im großen Stil abzumähen und fuderweise nach Sary Tash zu karren.
Hinter den grünen Hängen tauchen jetzt wieder verschneite Gipfel auf – die letzte Gipfelkette bevor es in den Talboden auf 3000 Meter herunter geht, ist eine Staumauer für die Wolken – die schneien hier ab und die getrocknete Luft pustet dann über den Mondstaub der Pamirwüste. Die steilen Canoyns in denen wir vom Pass herunter fahren vereinigen sich zu einem breiten Tal, dem wir folgen bis wir von freundlichen kirgisischen Soldaten über die Grenze gewunken werden. Vierzig Kilometer sind es von hier aus nach Sary Tash – eine riesige Ebene, auf denen Pferdeherden grasen und mit im Wind wehenden Schweifen und Mähnen dekorativ vor dem Panoramablick herumgaloppieren, Hunderte sind das, und die Herzen aller Mädchen im unerträglichen Pferdealter müssen hier höher schlagen – es sind tatsächlich schöne Tiere, groß und wenn die dann mal loslegen und über die Weiten des Graslands rennen, das ist schon ein selten feiner Anblick. Dazwischen Yurten. Das alles ist fast schon das perfekte Stereotyp Kirgistans. Aber das ist super so: ich habe nicht so lange hier, dann bitte die volle Dröhnung mit allem. Und genau das ist es hier, vor allem weil langsam die Sonne tiefer steht. Glücklichste Radlmomente. Nie werde ich dieses Tal vergessen.
Mit dem Arsch ins Gesicht
Sary Tash, so wie der von mir nur im Vorbeifahren wahrgenommene Karakul ist einer der Punkte auf der Landkarte gewesen, die so einen Dreh und Angelpunkt darstellten. Endlich hier zu sein, will eigentlich gefeiert sein. Die Ortschaft selbst lässt aber große Feierlichkeiten nicht zu. Den Gesamteindruck beherrscht eine zentrale Tankstelle an eben jener „rechts geht’s nach China“ – Kreuzung. In die geduckten Baracken haben sich 3 kleine Minimarkets eingerichtet: Aus dem einen stinkts, der zweite hat zu, im dritten siedelt ein ungewaschener Zwölfjähriger, kaut Kaugummi und schmatzt und präsentiert seine sorgfältig fermentierten Zahnstümpfe. Den Blick heftet er auf ein Telefon, das digital vor sich hinquengelt. Dass wir etwas wollen, ist ihm so klar wie gleichgültig und erst als wir ihm die wenigen, profanen Einkäufe – ein paar Kekse, zwei Zwiebeln, eine Knolle Knoblauch, 4 Tüten Instant Nudelsuppen – unter die Nase halten hackt er die simple Mathematik in seinen blöden Taschenrechner, knallt uns die Zahl hin und wendet sich rotzend seinem Handy zu. Später versuchen wir freundlichst und gemeinschaftlich unserer Homestay-Gastgeberin ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Vergeblich. Auf der Straße haben uns Kinder erstmals Steine nachgeschmissen, und irgendwas nachgebüllt und offensichtlich kennen die Kinder hier auch schon den Mittelfinger als freundliche Geste. Große Überraschung, in der Tat: Zentralasien war an sich weitgehend freundlich, schlimmstenfalls distanzlos und nervig, mit dem ewig gleichen „Atkuda?“. Aber freundlich zurück gelächelt haben sie alle. Und Kirgistan ist das Land, das als erstes auf den Tourismus gesetzt hat und am meisten profitiert. Radfahrer und Bergsteiger, Motorradfahrer, … an sich eher angenehme Besucher, möchte man annehmen (aber das kann auch falsch sein). Warum sind die Menschen gerade hier so ablehnend? Andererseits: Das war jetzt Sary Tash. Von Grenzstädten auf das Land zu extrapolieren ist vermutlich gewagt. Deutschland ist ja auch nicht am besten repräsentiert von Frankfurt an der Oder. Dann aber wieder: Alle betätigen mir diesen Eindruck: Mopedfahrer, die das Land durchpflügt haben, Radfahrer, Rucksackler - Alle erzählen dasselbe: Die Leute, auf die man trifft sind eigenartig: Emotionslos, neutral, geichgültig, spröde…, alle Bemühungen um freundliche Kontaktaufnehmen prallen ab an einem indifferenten Geschau, ein Gruß an der Ladentheke in bemühter Landessprache bleibt natürlich unbeantwortet. Für die Weltmetropole Sary Tash bleibt das folgenfrei, länger als einen Tag bleibt man hier eh nicht, obwohl der Blick auf die Gipfelkette in Richtung Tajikistan eine meiner der bleibendsten Erinnerungen sein wird. Abends lassen wir uns von der gesichtsgelähmten Hüttenwirtin das Abendessen vor der Nase abwerfen, Tags darauf verlassen wir grußlos die Herberge: Selbst in den schlimmsten Löchern haben wir uns von den Familien herzlich verabschiedet, aber wir werden nicht brav unser Dankeschön und Wiedersehen aufsagen, wenn uns die Dame des Hauses, ihre fette Schwester und ihre grantelnde Großmutter noch nicht mal mit dem Arsch ansehen wollen.
Letzte Einkäufe bevor wir losradeln: 4 Flaschen Wasser, ein paar der elenden Kekse: das Scheißkind, dass uns am Vortag schon so unfreundlich begegnet ist, hängt mit einem besoffenen Greis auf den Stufen vor dem Laden. Wir warten, suchen unser Zeug zusammen, warten, irgendwann bequemt er sich dann hinter seine Ladentheke…. Als er mir dann aus 30 cm Entfernung ins Gesicht rülpst und dann vor mir ausspuckt, betonier ich ihm eine. Mein Wasser und alles andere kaufe ich dann woanders. Einmaliger Tiefstpunkt der länderübergreifenden Freundschaft zwischen Besuchern und Bevölkerung. Stolz bin ich nicht darauf, Minderjährige in ihre Keks-Kiste zu watschen. Auch auf dem Weg bis Osh ändert sich wenig. Während man in kurzen Pausen freundlich versucht mit den Bälgern ein bisschen zu scherzen, basteln sie am hinteren Gepäckträger an deinem Licht herum. … Es bleibt seltsam: Ist es sowjetisches Erbe? Aber die Kirgisen haben sich am vehementesten von den russischen Besatzern emanzipiert. Ich kapier´s nicht und frag andere Reisende:
Ich habe nur eine Frau gefunden, die für die vereinten Nationen hier verschieden Programme koordiniert und entsprechend viel mit den Kirgisen zu tun hat, und die ganz andere Erfahrungen hatte: Die berichtete von unwahrscheinlicher Freundlichkeit, die einem überall begegnet, seit Jahren bereist sie diese Gegend und die Kirgisen und ihr Land seien ihr das Liebste, überhaupt.
Rückblickend ist dieses Gefühl unwillkommen zu sein, die Steine, die uns hinterher gesegelt sind und das ganze widerwillige reservierte Auftreten in Läden, Restaurants und Homestays, …. All das: Rückblickend bestenfalls eine Randnotiz. In Erinnerung bleiben die rotbackigen Kinder, sonnenverbrannt und rotzglockig, die jungen Männer auf ihren Pferden vor den imposanten Kulissen, die Farben der Felsen, die Berge, Gletscher du Gipfel und das ganze satte Grün. Kirgistan ist vermutlich wirklich so sau schön wie alle sagen.
Boxenstop in Osh
Zwei Tage sind es von Sary Tash nach Osh, von 3500 msl auf unter 1000. Zwei Tage mit demselben demoralisierenden Gegenwind, der uns seit Murghab entgegenweht. Zumindest der erste Tag ist landschaftlich eine Offenbarung an Vielfalt. Farben und Formen wie aus der Phantasiewelt Michael Endes… Bunte Berge, Felsen und Gipfelketten sind in den erstaunlichsten organischen Formen erstarrt, Sanddünen, Blumenwiesen, am Straßenrand kann man vergorene Stutenmilch trinken. Khimis – aber dieses kulinarische Experiment erspare ich meiner Verdauung. Die Verkehrsgeschwindigkeit wird von den Pferden bestimmt, die auf der Straße friedvoll beieinanderstehen und sich von den herannahenden Lastern und Geländewagen nur wiederwillig verscheuchen lassen. Ein steiler Pass, spektakulär in ein tief eingeschnittenes Tal führend, zur Abwechslung mal 1000 Meter bergab und dank chinesischer Straßenbau Aktivitäten mit geschmeidigem Belag. Dann folgt die Straße einem Fluss. Dann schmeißen auch mal 2 junge Männer Steine hinter uns her, nachdem wir – gerade nach Reifenpannenpause auf unsere Räder gestiegen – keine Lust hatten uns mit 2 Kirgisen auf ihren sinnlosen Selfies ablichten zu lassen.
Die Nacht verbringen wir in Gulcha in einem Homestay, einer kleinen Stadt inmitten von Bergen. Es werden noch 12 Motorradfahrer aus Polen erwartet, drum dürfen wir uns wie die Sardinen in ein schnell zum Schlafgemach umfunktioniertes Wohnzimmer am Boden nebeneinander kuscheln. Wir kochen windgeschützt auf der Gasflamme der Herberge unsere Nudelvorräte auf. Die Nutzung der Infrastruktur wird uns tags darauf als vollständiges Abendessen in Rechnung gestellt. Homestays sind ein Ort der Bewirtungswillkür. In den Bergen ist das verständlich: Man teilt was es gibt und das ist natürlich oft wenig. In einem kleinen Städtchen, dass sogar über ein Lichtspieltheater verfügt, nebst Restaurant und Läden, fühlt man sich leicht übers Ohr gehaut. Tags darauf nach Osh – Niko und ich wechseln uns auf den letzten 50 km windschattenfahrend ab und rasen Richtung Osch, wie Wüstenkamele, die das Wasser riechen. Es wird heiß und staubig, die Felder gelb und die Nähe zu der glutheißen Steppe in Uzbekistan mit jedem Meter mehr spürbar. Yurten und Höfe wachsen zu Dörfern zusammen und Dörfer zu Kleinstädten, die Kioske mausern sich zu Geschäften und der Verkehr nimmt zu. Der Pamir Highway, in den 1930er Jahren vom Sowjet Regime zur Erschließung der entlegensten Winkel des Riesenreiches erbaut, endet in der zweitgrößten Stadt Kirgistans und im Verkehrschaos, nachdem uns noch 2 Tage vorher nicht mehr als 10 Fahrzeuge am Tag begegnet sind. Ich genieße das Durcheinander an Mopeds und Autos, Menschen und Eselkarren. Endlich wieder Stadt. 10. Juli bis 6. August: Fast 4 Wochen sind wir zwischen Dushanbe und Osh unterwegs gewesen.
Mit diesen beiden Tagen endet auch das gemeinsame Radeln mit Niko und Philipp, die weiter nach Bishkek fahren und von dort nach Hause fliegen. Wir haben noch 4 Tage zusammen im TES Hostel, gehen viel in Restaurants und freuen uns über die Diversifizierung auf den Speisekarten, suchen Kleinkram für die Weiterfahrt auf dem Basar, … mit der Zeit treffen immer mehr alte Bekannte aus dem Pamir in dem ausgewiesenen Backpacker Hostel ein, die Dorms sind voll und die Zelte werden im Garten aufgeschlagen: Alle hängen im Schatten rum und ratschen, die Italiener kochen Pasta, ein paar Geländewagen, die wir zwischen Khorog und Sari Tash gesehen haben parken vor dem Garten. Alle kennen sich, alle sind mehr oder minder denselben Weg gekommen, alle haben über die selben Straßenabschnitte geflucht, alle waren nach Khorog krank, jeder weiß irgendeine Geschichte … das sind schon sehr entspannte Tage hier – wäre da nicht die China Planung, die, unterbrochen von kleinen Ausflügen und Unternehmungen, in plattentektonischer Geschwindigkeit gedeiht. Am Ende steht dann aber doch ein Plan, der die unterschiedlichen Unwägbarkeiten abfedert und genug Spielraum lässt: Über die Grenze nach Kashgar, mit dem Zug durch die riesige Wüste, 3000 km bis nach Xining in Zentralchina- Von dort nach Süden, mit dem Rad, bis nach Cheng Du: Auf dem Weg dahin muslimische und tibetische Kulturen inklusive Hochplateau und am Ende das beste Essen in Sichuan und die Pandas im Schutzgebiet. Von dort irgendwie Richtung Peking und ein paar Tage in der Peripherie herumradeln – die Ming Gräber und die verfallenen Bereiche der großen Mauer.
Langsam beginnt die Gesellschaft hier zu zerbröckeln, mit jedem Tag tauchen jetzt mehr unbekannte Gesichter auf und jeden Tag fahren ein paar Bekannte weiter, fast alle tiefer rein ins Land und nach Bishkek, die meisten beenden ihre Tour hier und fahren langsam zurück; und ich hab an sich auch nichts mehr zu tun. Ich habe zwei Kanadier, die von meinen Reiseplänen nach China wußten, Trevor und Emily, auf dem Bazaar getroffen, (ES sind unter anderem Bekannte von Mitch und Joselyn, aus Australien. Kaum ein Tag im Pamir, an dem nicht wir die beiden oder sie uns überholt haben, ein kurzer Ratsch oder Abends ein Bier, und vermutlich sind das die freundlichsten Zeitgenossen, die zur Zeit die Welt bereisen) Mit Trevor und Emily plane ich meine Einreise nach China: Wir werden ein Taxi nehmen, zurück zu ebendieser Kreuzung in Sari Tash und biegen dann Richtung China ab: Endlich! Und von da aus werden wir nach Osten radeln und uns den ausgesprochen unangenehmen Einreiseprozeduren Chinas stellen. In Kashgar trennen sich dann die Wege wieder, weil die beiden über den Karakorum Richtung Pakistan weiterfahren.
Am Morgen fahren Philipp und Niko weiter. Abschied nach fast 2 Monaten und 2000km.
Emily und Trevor haben ein Photo von Mitch geschickt bekommen: Mitch kniet vor Joselyn, im Geröll der Straße, das Rad liegt neben ihm. Joselyn hat die Hände vors Gesicht geschlagen, und irgendwas hält Mitch ihr da entgegen. Schaut aus wie ein kleines Kästchen. Aber den Ort kennt man natürlich, wenn man die Strecke gefahren ist – Ak Baikal Pass, 4800 Meter. Der höchste Punkt des Pamir Highway und nicht der schlechteste Ort um die Fragen aller Fragen zu stellen.
Die beiden Frischverlobten sind am Tag unserer Rückfahrt nach Sari Tash in entgegengesetzter Rictung nach Osh unterwegs. Trevor und Emily haben Bier und Sekt eingekauft. Als uns die beiden auf ihren Rädern entgegenkommen halten wir das Taxi an und feiern am Straßenrand die Verlobung: Reis und Sektgespritze inklusive, es gibt eine feierliche Wassermelone und weil die Australier lieber Bier als Schaumwein trinken: 5 Flaschen Bier. Um uns herum grasen die Pferde, die Berge, die Wolken, Bäche, ein paar Yurten, ein guter Platz um zu gratulieren – der Fahrer wartet einigermaßen geduldig im Schatten, während wir uns die Verlobungsstory anhören und das von einem kleinen Tripod aus gedrehte Video ansehen. Mitch musste die letzten 2 km mächtig in die Pedale treten um genug Vorsprung herauszufahren und die Kamera zu positionieren - Alle 10 Sekunden ein Photo: Man sieht Joselyn auf dem Pass auftauchen, Mitch läuft auf sie zu, gestikuliert irgendwas – aber dann parkt sie sorgsam ihr Rad am Straßenrand und ist offensichtlich sehr verwirrt bis: Kniefall und das kleine Kästchen. Das ist schon rührend.
Dann auch hier: Abschied. Australien ist zu weit weg um sich schnell mal zu besuchen. Wer weiß, ob wir uns wiedersehen und für heute reicht es mit Verabschiedungen. Das Taxi ist so schnell, zwei Tage haben wir nach Osch gebraucht, jetzt sind es nur 3 Stunden und die großartigen Blicke und Landmarken ziehen vorbei, dann sind wir über den letzten der Pässe und rollen runter in das große grüne Tal, blicken mal wieder auf die verschneiten Gipfel über denen sich die Gewitterwolken türmen. Hinter der Tankstelle, dem Mittelpunkt des städtischen Treibens im herrlichen Sari Tash lassen wir uns rausschmeissen, kaufen ein paar wenige Lebensmittel in einem unbedenklichen „Magazin“ und fahren los – endlich Richtung China, bis abends der Wind von den Rädern hinter eine geschützte Bodenwelle bläst, die letzten Kilometer sind wir kaum vom Fleck gekommen. Einen Preis für One-Pot-camping Gerichte werde wir nicht gewinnen für das Abendessen, dass wir zusammenschustern: Trevor, Emely und ich kochen einen fiesen Eintopf: Halb gare Linsen und der mitgekochte Reis trägt leichte Benzin-Noten bei, die hat er sich beim Transport neben der eben doch nicht ganz dichten Fuel-Bottle angeeignet. Dazu wurden eine Zwiebel und eine Knoblauchzehe geworfen – das schmeckt so fad, dass wir beherzt Gewürze und Gewürzmischungen untermischen – das Ergebnis ist verheerend, aber alternativlos. Wir essen quasi Brühwürfel mit Linsen Krackern und halbgekochtem Benzinreis. Ein echtes Straßengericht: Rollsplit mit Abgasgeschmack! Nachts quält uns der Durst und wir trinken unsere Wasservorräte für den kommenden Tag.
Richtung China
Letzter Tag in Kirgistan und auf die letzten Kilometer zeigt das Land nochmal was es drauf hat: Der Gipfelkette nach Osten folgend radeln wir gegen den beharrlichen Wind eine letzte Anhöhe hinauf. In einem Tal von solchen Ausmaßen aber kommen diese Höhenmeter nicht groß zur Geltung, auch wenn man sich fast einen Höhen-Kilometer nach oben abgerungen hat. Die Straße windet sich in weiten Bögen dem Gebirgszug entgegen – es ist so ermüdend, Trevor und Emily fahren mit leichterem Gepäck und lassen mich demoralisierend spielerisch an den kleinsten Steigungen stehen. Die beiden sind verdammt fit. Freundlicherweise warten sie auf der Anhöhe. Und bis ich diese Kuppe erreicht habe brennen die Beine. Radeln kann so anstrengend sein! Aber dann großer Moment und sagenhafter Blick: Vor dem Gipfelpanorama rollen grüne Hügel in ein Tal, in dem sich ein breit mäandernder Fluss zwischen rotem Geröll sein Bett ausgewaschen hat. Die Sonne leuchtet auf den dünnen Grasmatten, es ist so weit uns groß. Die Straße führt an der Hangkante nach unten, wir lassen es rollen und bremsen nur um wieder und wieder Photos zu machen. Hoffend, dass ein glücklicher ISO-, Belichtungs- und Blenden Zufall diese imposante Größe und Vielfalt an Farben wiedergeben wird, später, wenn ich am Rechner die Bilder durchsehe. Und dann rollen wir weiter, sehen die Landschaft vorbeiziehen wie einen Naturfilm. Radeln kann so großartig sein! Abends erreichen wir die Stadt HYPA – kyrillisch: sprich NURA. Oberhalb finden wir einen erhabenen Campspot, die Berge sind näher gerückt, die Landschaft ist wieder ein Stück trockener, aus China drücken schwere Wolken ins Tal und es regnet ein paar kurze Schauer. Abends gönnen wir uns eine ordinäre Riesen-Portion Linsen, in die wir dieses Mal Nudeln bröseln zur Vermeidung petrochemischer Noten in Reisverkleidung. Kulinarisch bessern wir uns klar – gut ist trotzdem was anderes. Hinter den Bergen ist China: Das ist so aufregend und ich kann es nicht erwarten. Abends löschen wir Programme und verstecken unsere VPNs in irgendwelchen obskuren Ordnern zwischen sinnlosen Apps. So können wir hoffentlich die wichtigen Programme an den paranoiden chinesischen Grenzkontrollen vorbeischmuggeln. Messer verschwinden in Sattelstützen, das Zweit-Handy wird in den Alu-Windschutz des MSR Kochers gewickelt und darf nun neben dem Brenner wohnen, bis die beiden Kontrollposten an der Grenze und 140 km weiter innerhalb der chinesischen Landesgrenze überwunden sind. Abstimmung über eine gemeinsame Verhaltensregelung: Wir lassen uns nicht von unseren elektronischen Geräten trennen: Es kursieren die unterschiedlichsten Horror-Geschichten: Komplette Spiegelung aller elektronischen Geräte: Alle Photos, Daten, Kontakte, mails, Browser Historie, … alles landet auf irgendwelchen Servern. Dies würden wir gerne vermeiden. So gut es eben geht. Eine Nachricht ging in den letzten Monaten um die Erde: Die chinesischen Behörden sielen eine Spionage Software, eine App, auf das Handy. Kann man löschen, bzw deinstallieren. Kann man? Oder ist dann nur das ICON verschwunden? Wollen wir jedenfalls auch nicht.
Hinter den Bergen ist schon China, das ist schwer zu glauben. Ich bin nach China geradelt. Also fast! Noch 8km! Es ist Sonntag abend und am Montag, um 8 Uhr sperren die Chinesen die Grenze auf. Das gibt es vermutlich auch nur in China, dass übers Wochenende und an Feiertagen das Land zugesperrt wird und Besucher am Schlagbaum antichambrieren dürfen. Ich hab das eher so zufällig erfahren und hab meine Reise entsprechend geplant. Andere Reisende verbrachten schon ein Wochenende in Irkeschtam. Aber wenn ich morgen nicht komplett den Arsch oder Idioten gebe – quasi Minimarket in Sari Tash oder Revolte am Grenzposten – dann … China!
Notlager in Tadjikistan, sowie Pass- und Grenzquerung in Richtung Kirgistan mit dem omnipräsenten MoP-Schaf. Dann ändert sich die Landschaft: Das Gestein rot, die Hänge grün, der Mohn gelb und alles ein Stück weniger trocken. Pferde nebst anständigem Straßenbelag unter satten Wolken auf weiten Ebenen.
Von Sari Tash nach Osh. Der erste Tag führt aus dem grünen Tal zurück ins Gebirge: Niko und Philip schauen zurück in das Tal aus dem wir kommen. Dann: Hinter jeder Kurve eine neue landschaftliche Überraschung: Ein rotes Felsentor, Sanddünen, steile Klippen und grüne Hügel. Zuletzt übernachten wir in einem fragwürdigen Homestay - Niko nackend und eingeseift, wegen Sturm kein Strom und ohne Strom kein Wasser.
Bazaar in Osh - ich dachte ich brauch einen 15er Schlüssel, ... den hab ich jetzt, brauch ihn aber frühestens um in Peking mein Rad Flugtransport-fertig zu machen. Noch so ein Teil, das ich sinnlos herumschleife. Der Bazaar in Osh ist einer der größten in Zentralasien, und es gibt alles: Vor allem Klamotten, die von abenteuerlichem modischem Verständnis künden, Nüsse und Trockenobst, Honig, unendliche elektronische Bauteil-Sammlungen sowie Hand-Covers. Desweiteren Autowracks und Badewannen, Rohstahl und Schrauben, Stoffe, Gewürze, Friseurgeschäfte und die unvermeidlichen Grillstationen in denen der Fettschwanz des gleichnamigen Schafs in die Glut tropft. Auch hier schon: Designer Klamotten: Dasidas, Cuggi, Rhemes, Dloce&Gabnagna, sowie Räder der Firma Canondeel und Schokoriegel der Produktlinie "Snuckers" etc... In China wird das noch abstruser.
die letzten Kilometer in Zentralasien: ein Teaser um wieder herzukommen, irgendwann. Abendstimmung um den ersten Zeltplatz hinter Sari Tash, mit morgendlichem Schafsbesuch. Dann weiter diese Straße hoch - zäh - aber der Blick auf die Berge schon tröstend. Dann gehts runter: Purpurne Flüsse. Trevor und Emily begleiten mich bis nach Kashgar.
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Gigi (Mittwoch, 21 August 2019 21:33)
Ich kann mich gut erinnern, dass ich etwas mit den "-Stans" fremdelte, als du mir letztes Jahr irgendwann zum ersten Mal von deiner Route erzählt hast. Kirgisien? Kirgistan? Kirgisistan? Wie bitte? Was denn nun?
Inzwischen gelte ich als Einäugige unter den Blinden und konnte Einigen in meinem Umfeld erklären, was sich in der Region so alles tummelt und wie die Verhältnisse sich grob darstellen.
Und - ich habe recherchiert, damit ich endlich weiß, wie dieses Land denn nun heißt.
Kirgisien: ist die veraltete, auf die Sowjetunion zurückgehende Bezeichnung.
Kirgisistan und Kirgistan: Aktueller und (beide) korrekt.
Eine Erklärung gefällt mir besonders gut: Der Name geht wohl auf den turksprachigen Ursprung „Kırkız“ zurück (türkisch Kırk = Vierzig. Kırkız = wir sind vierzig) und besagt, dass es hier um die Nachfahren von 40 Stämmen geht, die sich im Kampf gegen die Uiguren vereinten. Die Endung „Stan“ steht in den Turksprachen für „das Land der…“. D.h., Kırkızstan heißt eigentlich wörtlich übersetzt „Das Land der Wir-Sind-Vierzig".
Für mich heißt das Land ab sofort nur noch Kirgistan.
Sollte ich jemals bei Wer Wird Millionär die Frage nach der richtigen Bezeichnung dieses Landes korrekt beantworten können und damit die Million abgreifen, dann habe ich das nur dir zu verdanken. Zur Feier reisen wir zwei dann nach Kirgistan…obwohl, wenn ich mir das genau überlege…dann machen wir das vielleicht auch ohne vorherige Teilnahme an einer Quizshow - was meinst du?
;-)
XOX
G
Helmut again (Donnerstag, 22 August 2019 12:34)
Welch ein Blog und was für Bilder!
Und wir sind schon soo gespannt, wie es weiter geht im Blog, vielleicht schon aus Chengdu?
Oder vom Weg aus dahin? wenns denn das Netz und die chinesische Software erlauben.
Gute Fahrt und vermeide die steineschmeißenden Kinder jeder Nation!
Lao Ha
Michi (Freitag, 23 August 2019 12:14)
Hey Stef,
jetzt bin ich endlich wieder mal dazu gekommen so einen ganzen blog Eintrag zu lesen.
Thomas family war gestern Abend hier und sind über Nacht geblieben. Heute morgen weiter nach Schweden gefahren.
Wir haben denn coolsten Wasser-Schaukelbaum ever am Niederteich in Moritzburg ausgetestet, die Freisinger waren begeistert. Must du auch probieren, wenn du hier bist, im November, bevor der See zufriert.
Das mit Kirgistan stimmt mich ein bisschen traurig: Ich habe auch so gute Erinnerungen. Hat denen der Tourismus nicht gut getan? Steine hinterherschmeissen ist wirklich das Hinterletzte. Aber wenn ich die Bilder sehe, die weissen Berge im Hintergrund, die endlosen Grassteppen und grasende Pferde mit einer weissen Jurte hier und da, dann geht mir das Herz auf, ich kann's gar nicht anders ausdrücken.
Inzwischen bist du in China, ich hab gehört du warst schon in Xining, die Mama hat sich sehr gefreut. Chengdu und auch Peking sind dann nich mehr weit. Hast du dir schon Gedanken gemacht wann du zurückkommen willst? Meinen Geburtstag wirst du nicht mehr schaffen aber vielleicht warte ich ein bisschen mit dem feiern. Dann gib's zwei Anlässe!
Bis gar nicht mehr so lang...
Michi