Abendgesang eines Geläuterten

 

Und wenn dein Licht auf mich fällt, rot wie der Abend, so will ich halten

 

Du Ampel unter den Ampeln

 

Und den Gegenverkehr:

 

Den will ich achten

 

Sorgsam sei mein Blick

 

Wenn ich – Zaghaftester und den Zaghaften

 

Links abbiegen muss

 

Oder rechts

 

 

 

Und wenn ich nichts sehe, so will ich stille halten, geduldig und duldsam

 

Auch wenn der Laster stinkt

 

Wie Gülle und Abort und lepröser Auswurf

 

Und nicht überholend hervorbrechen

 

Blind wie der Maulwurf

 

Hoffend

 

Und den Mittelstreifen will ich ehren

 

Und die Fahrbahnbegrenzung

 

Und das Überholverbot

 

 

 

Und der Zebrastreifen: Moment des Innehaltens.

 

Bin ich allein? Lebe ich auf dem Mars? Bin ich unsterblich? Oder die anderen?

 

 

 

Und den TÜV

 

Oh TÜV, du Garant der Profiltiefe

 

Hüter des Pegelstands der Bremsflüssigkeit

 

Fürsorglich Deine Obhut über Licht und Spur.

 

Und streng sei deine Diagnose:

 

Wenn der Rahmen bricht, und die Schrauben aus der Felge,

 

die ganze Kutsche ein korrodierter Haufen wertlosen Blechs

 

hinfort – mir aus den Augen und zum Schrott und Deinesgleichen –

 

so spricht der TÜV

 

 

 

Und wenn es Nacht wird, so soll mein Lämpchen leuchten

 

Vorne wie hinten

 

Und nicht entweder

 

Oder

 

Oder gar nicht

 

 

 

Und wenn ich Selbstgebranntes in mich hineingegossen habe

 

Gärende, feurige Maische

 

Gepanschtes aus faulendem Obst

 

Und mir der Rauch aus den Ohren quillt

 

Und die Augen aus dem Kopf

 

Vor lauter Mohn und Kraut und wilden Pilzen

 

Dann will ich Sterne sehen und in die Ferne blicken

 

Aber nicht in die Ferne fahren, oh Fernfahrer der Hölle.

 

 

 

Ich schreibe das noch mit dem Schrecken in den Knochen – Aryan, du Wahnsinniger. Wie viele Leben hat eine Katze? Und Du bist noch nicht mal eine Katze. In den 7 Tagen gemeinsamen Radfahrens kann man getrost mal 3 Leben wegstreichen. Dreimal war es das, was man im Fußball eine „100%ige“ nennt. Da muss der Ball ins Netz. Hier: Das kann nicht gut gehen.

 

Aber man muss es gesehen haben. Sonst glaubt man es nicht und ich kann wieder und wieder irgendwelche Superlative an die Wand projizieren, am Ende klingt es wie das Stereotyp des wahnsinnigen Verkehrs, den es ja auf der Welt immer wieder gibt und auch von mir erlebt wurde. Neapel (rückblickend harmlos, aber auch schon lange her), Georgien: Aggressiv und unfähig. … Türkei: Zumindest ab und zu unfähig

 

Iran: andere Spielwiese! Begonnen mit dem Zustand der Fahrzeuge, der Verkehrsdichte, der kompletten Auflösung verkehrstechnischer Standards, dem archaisch anarchischem Kampf um Millimeter vor jeder Kreuzung - …dem Lärm und Gestank. Gleichzeitig (und allein aus diesem Grund ist es immer noch Straßenverkehr und nicht die Schlacht von Harmagedon) will hier keiner dem anderen was Böses. Die Iraner bremsen schon, aber eben nur wenn es wirklich sein muss. Und die Bremsen gehen. Wenn nicht bremst der andere. Meistens. Und weil die Autos in einem fiesen Zustand sind, und die Straßen voll, ist man nicht so brutal schnell unterwegs.

 

In Tehran ist einer meiner neu gewonnenen iranischen Bekannten mal 7 Stunden im Stau durch die Stadt gestanden. 7 Stunden hat er an die Stadtgrenze gebraucht, von Maschad nach Tehran – und dann nochmal 7 Stunden quer durch die Stadt. Soviel zur Verkehrdichte. Aber nachts auf der Ringstraße um Tehran fahren die Wagen dann eben doch 80 bis 100 Km/h und wenns dann scheppert wird gestorben. Sicherheitsgurte und Helme gelten natürlich als kindischer Scheiß. So ist es eh ein Wunder, wie wenig passiert. Und vielleicht liegt es auch daran, dass die hier wirklich gut fahren können. Die kennen die Abmessungen ihrer Kübel auf den Zentimeter genau. Und so fahren die selbstbewusst in die kleinsten Lücken. Mehr als ein bisschen Lack geht da selten verloren und ich habe nicht erlebt, dass wegen einer weiteren Delle im Kotflügel eine Blutfehde ausbricht.

 

Zwei kurze Radausflüge habe ich mir Aryan in Tehran unternommen, den ersten Nachts fast 20 km von Süden nach Norden und dann wieder zurück. Die größeren Kreuzungen sind als mehrspuriger Kreisverkehr ausgelegt, aber so etwas wie Spuren gibt es so wenig wie eine Drehrichtung. Autos und Mopeds und Laster und Busse und Fußgänger kommen ständig und aus allen Richtungen. Nachts ist das wie ein Videospiel, aber halt nicht mit 3 Leben. Mit voller Fahrt gegen die eh schon überfüllte Einbahnstraße hereinstechen? Alles kein Problem, machen hier viele, man ist im Idealfall im Windschatten eines Kleintransporters, der die Fahrtrichtungsregelung ebenfalls für nichtig erklärt hat. Es ist auch nicht so, dass deshalb mehr gehupt wird. Gehupt wird eher so wie geatmet: Regelmässig. Und gefahren so, wie das Wasser fließt – aber halt gerne auch mal gegen das Gefälle. Die Kunst ist, die Fahrtwege der andere Teilnehmer zu antizipieren und ebenfalls antizipierbar zu bleiben. Ach, wer weiß!

 

Aryans Fahrstil ist zwischen beherzt bis todesverachtend zu verorten. Sein Lebenslicht sah ich erstmals ausgehaucht, als wir gemeinsam auf der Ringstraße von Norden nach Süden rauschten. Norden oben, Süden unten, große Stadt: lange Abfahrt auf der 6 spurigen Stadtautobahn, die ohne Straßenbeleuchtung so dunkel ist wie der schwarze Arsch. Die anderen Vehikel sind variabel ausgestattet mit Lampen, teilweise auch gar nicht und zumindest die Mopeds halten sich auch auf Autobahnen nicht an die Fahrtrichtung. Bei uns wären das ein Geisterfahrer und einer Durchsage im Radio wert, hier integraler Bestandteil der Möglichkeiten sich durch den Verkehr zu schummeln. Aber zumindest die Straßen sind gut und weil nachts das Verkehrsaufkommen nachlässt, kann man mit dem Rad erstaunlich schnell auf dieser Autobahn in den Süden runter brettern. Den Schlaglöchern weicht Aryan mit einem schnellen Schlenker aus, mich würde es da schmeißen, aber diese kleinen Haken gehören zur Kür, ebenso wie das Anpirschen im Windschatten großer Laster, um dann mit einem dieser Schlenkerer an dem schnaufenden Truck vorbeizuschießen. Ebenso wie sich freihändig mit entspannten 50 km/h nach mir umzudrehen, um Photos zu machen, oder Filmchen aufzunehmen. Dass sich vor ihm der Verkehr verdichtet wie ein Wollknäuel, beginnt ihn erst zu interessieren, als ich sein Rad schon zermalmt zwischen Stoßstangen wähne – einer dieser Haken und in einer kleinen Lücke war dann doch noch genug Platz zum Durchschießen. Der Verkehr ist komplett desinteressiert an der Geradlinigkeit von Fahrbahnbegrenzungen und so etwas wie Linien werden erst gar nicht auf den Teer gepinselt. Die Fahrspur entspricht einer individuellen Interpretation von Ideallinie und zieht von links nach rechts, so wie es einem gerade passt, oder die Automobiledichte vorgibt oder halt passiert, weil man telefoniert, sich eine Kippe anzündet oder sein Mittagessen auf dem Beifahrersitz zubereitet. Dazwischen oszilliert Freund Aryan, und während er freihändig mal wieder eine Ewigkeits-sekunden dauernde Videosequenz des rauschhaften Abfahrens durch die Nacht im 360° Modus aufnimmt, hebt es ihn in dem Moment aus dem Sattel, als sich von links und rechts zwei Laster an ihn heranschieben – die ihn möglicherweise nicht sehen – Lichter hat Aryan logischerweise nicht montiert. Und das aus dem „Sattel-Heben“ ist einer Bodenwelle geschuldet, die unvermittelt den Beginn einer Brücke markiert, die wiederum sehr unvermittelt aus der Nacht auftaucht.

 

„Kaum gefundener Freund“, denk ich mir, „schon bist du auf die Straße geschmiert wie Nutelle auf die Stulle und dein Tod kam früh aber nicht unerwartet, …“, stattdessen hat er bei dem Hupfer nichtmal sein Handy verloren, der obligatorische kleine Haken, das Rad schlingert bedenklich, aber dann hat er sich wieder gefangen und ich sehe ihn weiter unten nach Süden pfeilen. Mich aber kühlt unbehaglicher Angstschweiß, begleitet von Herzrasen und einem Quäntchen Dankbarkeit, dass der Abend nicht mit Bestattungstätigkeiten einen unschönen Ausklang findet.

 

 

 

Zwei Tage später starten wir abends Richtung Damavand, dem großen imposanten Vulkankegel, mitten im Albrozgebirge, die heilige Kuh unter den Bergen Irans und das schon nicht zu Unrecht. Ein Taxi karrt uns und unsere Räder aus dem Irrsinn der Stadt und als die Sonne untergegangen ist machen wir uns auf eine einsame Straße, die langsam den Berg heraufführt, nach 20km soll ein Bergsee mit den herrlichsten Blumenwiesen liegen, ein Naturschutzgebiet im innersten Zirkel eines Nationalparks. Der Mond scheint uns ein bisschen den Weg, immer wieder taucht der Bergkegel auf und die Schneekappe leuchtet im Mondlicht. Leider ist aber schon nach 15km Schluss, an einer Militärstation, wo die Soldaten mit baumelnden MGs den Zugang zum Innersten schützen. Vor Wilderern? Es gäbe Schneeziegen! Anglern? Quadfahrern? Müllentsorgern? Nein! Für Ausländer ist das Gebiet gesperrt; Zugang nur für iranische Staatsbürger. Lustigerweise werden die Seen mit Forellen besetzt und einer der Grenzer erzählt, dass die Jungfische aus Deutschland importiert werden: Fisch ja, Stefan nein! Kann man aber nichts machen – und so rollen wir ein paar km den Hang zurück, finden einen Campspot von dem aus der Sonnenaufgang mit Licht auf den Gipfel zu bewundern ist. Wenige Stunden später schauen wir durch verschlafene Augen auf das Verblassen der Sterne und das erste Sonnenlicht, dass den Damavand herunterklettert. Wir liegen inmitten einer dürren Wiese und überall blüht der Mohn, der Blick ins Tal ist malerisch, und ich brauch jetzt auch keinen See mit deutschem Fischbesatz – das hier ist so schön. Alles gut.

 

 

 

Von da aus beginnt unsere Radtour nach Osten und in Richtung des Golestan Nationalparks, über den dann die Straße in einer Woche erst nach Maschad und zuletzt Sarakhs führt. Dort soll ich am 21. nach Turkmenistan einreisen.  Der erste Rad-Tag führt auf einer kleinen Straße durch die Berge auf den bislang höchsten Punkt meiner Reise. Bei 2960 Metern haben wir einen kleinen unspektakulären Pass erreicht, auf dem Weg dahin haben sich immer wieder neue Landschaften von grün bis gelb, fruchtbar bis Mondlandschafts-felsig abgewechselt, im Süden eine gewaltige Bergkette, die erst am Ende nach 70km in niedrigeren Hügeln auslief, im Tal ein Bach und Felder und Pappeln und kleine Dörfer. Nur ein paar grüne Flecken, Wiesen, Weiden und Gemüsegärten reichen, um das nötigste für die Dorfbewohner anzubauen, Pappeln säumen den Fluss, ein grünes Band, dass links und rechts am Bach entlangläuft, sonst ist es steinig und karg, aber gerade deshalb eben auch so schön.

 

Die schöne Bergstraße mündet dann auf etwas Bundestraßen-Ähnliches, mehr Verkehr und mehr Laster, anstelle kein Verkehr und gar keine Laster und so richtig was zum pennen finden wir auch nicht, weil links und rechts ein Distelwald blüht, der zwischen scharfkantigen Felsen gedeiht, … zuletzt sind wir auf der Autobahn, über die wir am nächsten Tag über das Gebirge runter ans kaspische Meer fahren werden. An so einer wildwest-haften Raststätte decken wir uns mit den üblichen Furchtbarkeiten ein, alkoholfreie Biermixgetränke, Wasser, eine Dose baked beans und Tomaten Auberginen Mix, …. Zusammen mit Fladenbrot. Kulinarisch wird das nichts mehr mit mir und dem Iran – aber das ist tatsächlich egal. Wir bleiben hier über Nacht, nachdem uns der Ladenbesitzer seine Veranda mit Blick auf die Autobahn anbietet.

 

Ein Hund in seinen letzten Zügen ächzt und spuckelt und zuckt vor sich hin, die ganze Nacht brechen Schwertransporter über die Straße, aber ich bin so müde, dass ich trotzdem irgendwie schlafe. Und es hat ja auch was: Laster, die durch die Nacht zuckeln, hier im Outback, ein paar heruntergekommene Läden und ein Gasthaus, dass genau ein Gericht anbietet. Eintopf mit Hammel.

 

Am nächsten Tag fahren wir in Gluthitze und Gegenwind auf dem Seitenstreifen der Autobahn einen Pass hoch, es ist eine einzige Quälerei aber die Aussicht auf der anderen Seite von der Passhöhe, 2240 Meter, auf Seeniveau runterrollen zu dürfen motiviert auch. Über 70km führt die Bergstraße bis in die Ebenen vor dem kaspischen Meer, andere Landschaft und anderes Klima. Feucht und schwül, es gibt Wälder, Gewitter, Reis wird angebaut: Ein kompletter Tapetenwechsel nach 3 Wochen Hitze und Wüste. Und dann geht’s runter – die Straße ist gut, der Verkehr passabel und es ist ein wirklich irrer Ritt, … Tunnels mit stroboskop Beleuchtung (super Tip: Sonnenbrille abnehmen!), steile Schluchten, weit oben irgendwelche Brücken, die die Deutschen vor 100 Jahren gebaut haben sollen, die Wolken hängen tief, Nebel steigt aus den grünen Schluchten auf, die Wärme wird spürbar und dann treffen uns die ersten Tropfen: Regen. Erst find ich das ja super – aber dann verwandelt sich die Autobahn in diesem Gewitter in eine Wasserrinne, die Laster duschen mich wieder und wieder, die Autos schneiden, unter mir schäumt das Wasser, von den Hängen fließen Dreckbäche auf die Fahrbahn und ich sehr nichts mehr durch die Brille und ohne Brille geht’s auch nicht, … nur Kollege Aryan ist offenbar unbeeindruckt von den veränderten Straßenbedingungen und jagt in seinem hakenschlagenden Fahrstil zwischen den anderen Fahrzeugen hin und her, das kann doch nicht gut gehen, oder? Denk ich mir – die Straße fühlt sich spiegelglatt an, niemals würde ich hier scharf bremsen wollen, geschweige denn, so am Lenker reißen, …. Und irgendwann passierts dann: Es ist glatt, auf 2 von 3 „Spuren“ ist der Schlamm von den Hängen auf die Straße geschwemmt worden und Aryan denkt, er kann noch schnell vor (vor!!!)  den anderen Autos, die jetzt alle nach links ziehen, auf die unverschmutzte Fahrbahn überholen, irgendwie, und dann zieht es ihm das Vorderrad weg, hinten bricht das Rad aus, er schleudert und das Rad bockt und dann brettert es ihn so brutal auf den Asphalt: So schnell geht das und mir ist übel vor Panik, Scheißescheißescheiße – sehr viel mehr bringt mein Hirn nicht zustande: Überall Autos und das Spritzwasser der Reifen, um ihn herum steigen die Autos in die Eisen aber ich sehe ihn nicht mehr - ich muss ausweichen und im nächsten Moment steht auch mein Rad quer und schlittert auf den Straßenrand zu: Aber: Die Autos haben es offensichtlich geschafft noch rechtzeitig auszuweichen, jetzt umfährt der Verkehr den Inhalt der Gepäcktaschen, Aryan hat das Rad schon auf den Seitenstreifen geschoben und ich hupf zwischen den Autos rum, um die Sachen aufzuklauben. Und an sich ist nichts passiert, ein Achter im Hinterrad, Aryans Klamotten sind einigermaßen verwüstet, aber er blutet nicht einmal, nur ein paar keine Schrammen: Und so stehen wir im Straßengraben, verdreckt, nass und frieren und versuchen den 8-er aus der Felge zu ziehen, die Tasche zusammenzupacken und langsam bekommt der Aryan auch wieder Farbe im Gesicht - und in meinem Kopf läuft die Bilderfolge des Sturzes zwischen den Autos in all dem Chaos in Endlosschleife, … ich hab echt gedacht, Das wars jetzt!

 

Stattdessen kriegt der Aryan sein Rad wieder fahrtauglich – und während sich bei mir der Schreck in den Knochen festsetzt ist mein Begleiter schon wieder einen Schritt weiter. Eine Stunde radeln wir jetzt wieder, da ist die Straße komplett gesperrt aber wir können uns durch den verkeilten Stau zur Unfallstelle vorarbeiten. Ein Laster hatte eine vorsintflutliche Straßenbaumaschine geladen – ein Mega-Monster und bestimmt nicht kleiner als das ächzende Gefährt, das ihn transportierte. Irgendwie muss sich die Höllenmaschine gelöst, von der Ladefläche auf die Straße gestürzt und wegen Massenträgheit über eine Strecke von 50 Meter in den Asphalt gebohrt haben. Da liegt jetzt das zertrümmerte Ungetüm – schwer wie ein Panzer und nur wir können uns vorbeischummeln, die Autos im Stau lassen wir hinter uns. … ab jetzt haben wir für die nächste Stunde die Autobahn für uns ganz alleine und kommen so nach Qaemshahr. Wir wollen noch weiter – weg vom schwülen zersiedelten kaspischen Meer und zuletzt binden wir unsere Räder auf ein Taxi und fahren aus dem schlimmsten Küstenstreifen, heiß und voller Mosquitos in Richtung Golestan. Und schlafen in einem Park in Alibad e Katul.

 

Von dort aus starten wir am nächsten Tag und wollen den Empfehlungen der Einheimischen folgen und den berühmtesten Wasserfall der Welt besichtigen. Natürlich: Immer Superlativ hier in Persien. So schön, der Wasserfall, das hat die Welt noch nicht gesehen, ...alles klar, dann schaun wir uns das an. Und! Nur 10 km Umweg, keine Steigungen, alles leicht zu erradeln, geht ganz leicht, viel Spass... so sprechen sie, die stets bestens informierten Einheimischen. Muss ich weiter reden?

 

Anstelle des komplett unerreichbaren Wasserfalls sehen wir einem Bach und ich baue in Gedenken an Kindertage einen Damm, staue Wasser, grabe Steine aus  und am Ende habe ich eine veritable Badewanne unter den irritierten Blicken der grillenden iranischen Ausflügler gebaut, in die ich mich mitsamt Radl-Klamotten lege – welch Wohltat in der Hitze, so kühl und klar das Wasser. Und mit der Zeit tauchen erst schüchtern wenige, dann aber die ganzen Großfamilien auf. Und so kommen wir ins Gespräch mit einem paschtunischen Klan. Grenzgebiet Afganistan und Pakistan, die Mädchen mit super hübschen Klamotten, verschleiert aber bunt und bestickt. Aryan erzählt natürlich was wir machen und wohin ich fahre und woher ich komme. Aber das beeindruckt sie wenig, sie verstehen einfach nicht was der Scheiß soll. Das ist, als möchte ich ein Hochhaus mit der Zahnbürste streichen. Kompletter Schwachsinn und vor allem WARUM??? Aber ich bin offensichtlich Ausländer und so etwas haben sie noch nicht gesehen und das finden sie viel spannender als die Radlfahrgeschichte, …

 

Das Clan-Oberhaupt hat tatsächlich 4 Frauen und einen Hut aus Kamelfohlenleder – den darf ich zum abschließenden Selfy-Termin aufsetzen und das ist vermutlich eine Ehre, oder auch nicht, was weiß ich. Mich gruselt es bei diesen 4  Frauen Geschichten. Und ich denke an die jungen hübschen Mädchen, die als einzige ein bisschen Englisch können. Natürlich die, weil die Jungs müssen gar nix können. Und dann sind sie irgendwann die Dreingabe für einen alten Dorfhäuptling, weil die Eltern ein besseres Feld für ihre Scheiß Ziegenherde wollen. Ich hab ein paar Fotos von ihnen gemacht – unter den missbilligenden Blicken der Väter und Onkels und wer noch so über die Moral der Mädchen zu wachen berufen ist.

 

Später, als die Sonne weniger garstig aus dem Himmel brennt machen wir uns auf den Weg und kommen bis nach Dasht – auch hier schlafen wir in einem Park, was hier das Normalste der Welt ist. Tatsächlich sind die Parks als freie Campinglätze ausgelegt, inklusive Infrastruktur mit Waschraum und Toiletten. Bis morgens um 2 Uhr hupfen Kinder durch die Gegend, Kebab-schwaden ziehen durch die Anlage und die Großfamilie sitzt im Kreis auf den ausgelegten Teppichen. Am Morgen werden die Teppiche zusammengerollt und zusammen mit den Kühltaschen, den Kindern und Enkel in Kleinwagen gepfercht und überlastig nach Hause kutschiert. Der Platz wird blitzsauber hinterlassen, später kommt das Parkpersonal und spritzt mit Wasser alles sauber, sprengt den Rasen zwischen den Betoninseln und die Bäume, die Schatten machen, … das ist so super. In Deutschland kommt die Polizei, wenn man im Park schläft.

 

Von hier aus geht es in den Golestan Nationalpark und hier gibt es tatsächlich Leoparden. So gerne ich rückblickend einen gesehen hätte, so froh war ich, dass mir keiner begegnet ist, wenn ich mich ein paar Meter in den Wald bewegt habe um ein bisschen was von den 16 Litern Wasser, die man über den Tag in sich hineingießt…, und im Iran ist man da ein bisschen zurückhaltender und stellt sich nicht einfach an den nächsten Baum. Sondern in den Wald – der ist richtig dicht und urwaldig und überall laufen Wildschweine rum. Die sind zutraulich, klar, denen passiert hier nix, vor Menschen brauchen die keine Angst haben. Eher Angst vor dem Leopard. Ich und das Wildschwein.

 

Wir kriechen zurück in die Berge und während man anfangs noch von tropischen Dschungelwäldern umgeben ist, wird mit jede Hügel, hinter jedem kleinen Pass die Landschaft ein Stück trockener, der Wald lichter, die Büsche dorniger, die Bäume seltener, aber dafür tritt die scharfkantige Struktur der Berge wieder in den Vordergrund. Die Luft ist wieder trocken und über der Steppe flimmert die Hitze. Abends haben wir einen Schlafplatz hinter einer Moschee, die zu einem Rastplatz für Trucks und Laster gehört, und das ganze ist wie Kirmes: Auf zig Grills werden Spieße gebraten und der Geruch von verbrannten bruzelndem Fett umweht die Minarette. Aryan hat ein paar Jugendliche getroffen, die am nächsten Tag eingezogen werden – irgendwo runter zu den Pashtunen, nach Afganistan und Bock haben sie nicht, drum nochmal so richtig auf die Kacke hauen auf dem Weg zum Baras: Kiffen Saufen und ein bisschen Opium haben sie auch dabei. Später werden sie im Auto in den Süden runterbrechen um Abends in der Kaserne einzuchecken. Ein Kerl, der vorne an der Straße einen Laden mit Lebensmitteln betreibt, läuft mit einer Ikea-Tüte Gras herum und verscherbelt das Zeug im großen Stil, gut für Aryan: Der hat an sich nur für 2 Tage geplant und muss seine Drogenvorräte schmerzlich rationalisieren. Das alles also um 2 Uhr morgens hinter der Moschee.

 

Um halb 5 Uhr geht der Wecker, aber Aryan ist ernsthaft betankt und als er sich dann doch aus seinem spartanischen Lager erhebt, wankt er bedenklich. Hacke-Blau hinter der Moschee. Der kommende Tag wird der härteste meiner gesamten Tour – und ich möchte gar nicht wissen, wie sich das mit einem Fetzenkater anfühlt – aber der Aryan ist ein harter Hund: 140km und 2000 Höhenmeter, von Dasht nach Bojnurd, bis zuletzt quält uns die Hitze und erst im allerletzten Anstieg geht die Sonne im gelben Wüstendunst unter… und wie so oft bekommt man seine Belohnung: Auf der Passhöhe, in einer weiten Rechtskurve wartet der Vollmond auf uns, gerade über den Horizont gekrochen liegt er auf den Hügeln, so nah und so groß. Unter uns Bojnurds Straßenlichter in der schwarzen Wüste, noch ein letztes Mal jetzt auf großer Straße ins Tal herunter rollen, 11km und endlich wird es kühl und ich hab meinem lieben Freund Aryan das Versprechen abnehmen können, bitte bitte bitte nicht die komplette Sau zu geben, die letzte Abfahrt bevor sich noch am selben Abend unsere Wege trennen … Und es ist schon rauschhaft, jetzt wo der Wind kühlt und die Straße gut und mein Licht einen kleinen Kegel auf den Asphalt leuchtet, es ist steil aber die Straße breit und wir lassen es laufen, … dafür sind Räder erfunden worden.

 

 

 

In Bojnard angekommen ist es schon halb 11, seit halb 6 Uhr morgens waren wir unterwegs und mit bleiigen Beinen suchen wir den Busbahnhof, lassen uns quer durch die Stadt hin- und herschicken, an einer Straßenkreuzung bleibt dann zum Glück noch Zeit für ein bisschen Revue passieren und Möglichkeit für mich endlich mal zu sagen wie dankbar ich bin für die Zeit, die Aryan auf unseren Ausflug verwendet hat, und auch wenn sich auch für ihn ein Wunsch erfüllt hat – nämlich endlich mal für ein paar Tage am Stück mit dem Rad unterwegs zu sein,… das kannte er so auch noch nicht – die gemeinsame Zeit hat mir so viel Erschlossen, das ich sonst niemals kennengelernt hätte. Für mich wird der Iran immer mit seinem strubelbärtige Gesicht verbunden sein, und wenn ich am Ende mit dem Land so viel Schönes und Einprägsames und Wildes und Unerwartetes in Verbindung bringen kann, dann weil ich Aryan kennengelernt habe und wir zu zweit diese super Rad-Etappe gefahren sind.

 

 

 

Um 12 sammelt mich mein Bus auf und um halb 4 Uhr morgens bin ich endlich in Mashhad, der Heiligsten unter allen heiligen Städten des Iran – Hamidreza wird sich um mich kümmern – ich werde hier weiter gereicht wie ein fragiles Paket. An sich will er mich um halb 4 abholen, aber ich kann ihn überzeugen, dass ich erfahren bin im Park-Camping und er nicht um halb 4 Uhr früh ein Hotel für mich suchen muss. Da sind wir glaub ich beide froh, und als ich um 7 Uhr auf meiner Parkbank aufwache schaue ich in das lachende Gesicht von Hamid …

 

Der Damavand, Vukankegel ist fast 6000 Meter hoch und zu jedem Zeitpunkt ist sein Gipfel in eine Wolkenfahne gehüllt, Hijab auf höchstem Niveau. Den Damavand im Rücken nach Osten Richtung Firuzkuh. Auf fast 3000 Metern ist die Sonne immer noch heiß, aber im Schatten geht es - alleine: es gibt nicht viel Schatten.

Rauher Schlafplatz an der Tanke vor Firezkuh und aus offensichtlichen Gründen keine Bilder von der krassen Abfahrt... aber in Folge Reparatur von Felgenschäden nach Autobahn Crash zumGlück ohne weitere Folgeschäden. Kühlung und Mädchen aus der südöstlichen Provint des Iran - Paschtunen. public park sleep over mit Mosquitonetz. Und hier an der Nordseite des Gebirges wird fleißig Reis angebaut

Golestan National Park: Raus aus der Schwüle, rein in den Wald. Gewarnt wird vor Bär, Leopard, Hirsch und Steinbock, gesehen: Wildsau!

Und es wird wieder trockener

Eindrucksvolle Totalschäden warnen Raser vor den Folgen. Sieht man im Iran häufig, ... die Idee gefällt mir gut.

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Kommentare: 2
  • #1

    Lips (Mittwoch, 26 Juni 2019 23:17)

    Lieber Stefan,
    ich kann dir gar nicht sagen,wie ich mich jetzt schon freue deine "Ode an die Verkehrssicherheit" zitieren zu dürfen, wenn ich wieder mal mit Dir halsbrecherisch entgegen Einbahnstraßen pacen darf, jede Ampel als Vorschlag interpretierend und Radwege grundsätzlich gegen die Fahrtrichtung benutzend....
    Unbedingt musst Du dann sagen: Das ist doch ganz was anderes...
    Also komm gesund wieder und gönne mir dieses Erlebnis!

  • #2

    Thomas (Mittwoch, 03 Juli 2019 09:17)

    Lieber Stef,

    Verkehr im Iran: ich hab‘ dich gewarnt! :)))
    Aber schon in der Schule hast du mir ja nicht geglaubt, nicht mal in Mathe! Hahaha.
    Da bin ich ja fast stolz, dass ich vor zwei Jahren im Iran mit einem Mietauto zwei Wochen
    unfallfrei unterwegs war. Nicht ein Kratzer. Radfahrer hab‘ ich auch keinen überfahren
    (OK, ich sah auch keinen einzigen). ;)

    More power
    Thomas