09.04. Göreme – Kozaklı ↔ 63km ↑ 840m ↓ 710m
10.04 Kozaklı – Tankstellen Camp ↔ 55km ↑ 780m ↓ 650m
11.04 Tankstellen Camp – Yozgat ↔ 35km ↑ 660m ↓ 500m
Die anatolische Unebene
Noch so ein Co-Autor Dings? Jawohl, so isses…und wir hoffen, ihr habe genauso viel Spaß beim Lesen, wie wir es beim Erleben hatten.
Prolog:
[Gülnaz] Der geneigte Leser hat sicher schon mitbekommen, dass Stefans Reise erhebliche Auswirkungen auf meine Freizeitgestaltung hat. Ursprünglich dachten wir, wir würden uns spätestens in der Türkei eh treffen. Getroffen haben wir uns schon vorher, aber der Plan „Treffen in der Türkei“ blieb. Wäre es nach mir gegangen, wäre ich am liebsten gleich in Izmir dazugestoßen, um dann die ganze Küste mitzufahren (wie habe ich geschmachtet, wenn ich die tollen Bilder sah, die Stefan von der ägäischen und lykischen Küste postete). Aber es ging (leider) nicht nach mir - eine wichtige Konferenz samt Vortrag, den ich zu halten hatte war unverhandelbar und der frühestmögliche Abflug damit der 5. April – da wäre die schöne Küste schon längst passe.
Dann schlug Stefan vor: „Treffen und 2-3 Tage in Göreme, dann ab auf die Räder und in den Norden, an die Schwarzmeerküste radeln.“ Fand ich gut (dachte aber auch: „Echt? Ins tiefe Anatolien? Ich? Die Tochter einer Istanbuler Fanatikerin????). Vorsichtig fragte ich: „wie ist denn da so die Strecke?“. Stefan meinte nur: „Alles easy – ist die anatolische Hochebene…nicht so schlimm.“.
Am Ende unserer Tour habe ich (geplante) 389 Kilometer und (ungeplante) 4120!!! Höhenmeter auf dem Tacho. Hochebene???? Von wegen!!! Wäre das ein Marketingversprechen, hätte der Verbraucherschutzverein schon längst geklagt, man hätte eine Abmahnung samt Unterlassungserklärung kassiert und müsste nachbessern. Die anatolische Hochebene würde plattgewalzt oder umbenannt in „Anatolische Hoch-un-ebene“.
Das musste einfach mal gesagt werden!
[Stef: Einlassungen einer „radfahrtechnischen“ Quereinsteigerin, die echte Anstiege nur aus dem Fernsehen kennt. Verschwiegen wird hier weiterhin, dass wo es raufgeht meistens auch die liebe Abfahrt als Geschenk hinter der nächsten Kurve wartet. Hierin unterscheidet sich die Steigung aufs Angenehmste vom Gegenwind – der nämlich kennt keine Gerechtigkeit und ist ein Schwein.]
Was auch gesagt werden muss: Es war so großartig, dass ich dankbar bin für diese Konferenz, die mich nicht früher reisen ließ. Wir haben in den 13 gemeinsamen Tagen so unglaublich viel erlebt, dass es schwer wird, eine blog-gerechte Zusammenfassung zu liefern. Zumal wir beide nicht an Wortarmut leiden...
Dass der Plan unter einem guten Stern steht, zeichnete sich schon im Vorfeld ab: Aus diversen Gründen, war es vorteilhafter, ein Fahrrad zu leihen. Nie
hätte ich gedacht, dass es so leicht werden würde, ein vernünftiges Leihfahrrad zu organisieren. Aber der erste Händler, den ich anrief war schon ein Volltreffer und 10 Min später hatte ich mein
Rad. Wir würden es bei ihm in Kayseri abholen, in Samsun per Bus zurückschicken und das war‘s.
Hier nochmal ein großer Dank an Ali Bey von Zirve Bisiklet in Kayseri. Vielen, vielen Dank für die Hilfe, die Freundlichkeit und das Vertrauen (ich musste nicht einmal eine Kaution
hinterlegen!).
Los geht’s…
Mit dem Rad über die anatolische Hoch-un-ebene Tag 1
[Stef:] Kappadokien verlasse ich immer schweren Herzens – und offensichtlich ging es nicht nur mir so: Eh haben wir schon einen Tag angehängt, dann haben wir das Wetter angesehen und die Gelegenheit genutzt uns mit mehr oder weniger Rückenwind in die Einsamkeit Zentralanatoliens pusten zu lassen. Da war weder ich jemals zuvor noch die Gülnaz. Die schon gleich gar nicht. Gülnaz ist quasi türkischer Istanbul-Adel und pflegt sorgsam eine erhabene Unkenntnis über die Gegend mit all ihren Bauern und Dörfler, „Köylüs“, die dieser platten Ödnis und steinigen Scholle ein Leben abringen. Mit Kühen und Traktoren.
[Gülnaz: Istanbul-Adel? Weit gefehlt, total weit – weil (lediglich) Tochter einer waschechten Istanbulerin (Kasımpașa, um genau zu sein), in Deutschland geboren aber tatsächlich von Mama mit einigen Vorbehalten ausgestattet, wenn es um Anatolien angeht – das kann ich nicht leugnen. Oft wurden diese Vorbehalte leider auch genährt, mit diesen Geschichten kann man Bücher füllen.]
Eine Woche später werden wir beide mehr wissen – aber noch fahren wir zögerlich aus dem bekannten Sandkasten heraus, teilen uns die letzten Blicke auf die typischen Gesteinsformationen mit Busladungen von Chinesen, die gackernd in einen Selfie-Rausch geraten. Auf dem Weg nach Zirve überholen wir einen Pferdewagen mit zwei greisen Reisenden, und dann bläst uns der Wind nach Avanos – das uns so wenig gefällt, dass wir gar nicht weiter darüber nachdenken, ob wir die erste Etappe nicht vielleicht schon hier enden lassen. Hinter Avanos geht’s dann rauf. Nicht dramatisch, aber ein bisschen mehr als 5% sind es schon. Und das ist der Moment, an dem wir uns beide vermutlich das erste mal sorgenvolle Gedanken machen und zwar unterschiedliche– ohne uns gegenseitig daran teilhaben zu lassen.
Wenn ich den Blick von Gülnaz richtig interpretiere, heißt der: Bough – so steil – geht das öfter so? Wie soll ich da bitte raufkommen? Das kann ja werden – was für ein Scheiß. Und als Ausrufezeichen steigt die Gülnaz ab und schiebt ihr Rad.
[Beeindruckend genau, aber auch: mir ist warm, nein heiß, ich hätte gerne was zu Trinken und warum um Himmels Willen heißt es Anatolische Hochebene?]
Zeitgleich denke ich: Oh Boy – wenn das jetzt schon anstrengend ist – dann kann das dauern. Und wie bitte kommen wir nach Kozaklı? Noch lächerliche 60km entfernt. 60km und bedeutsam mehr Steigungen. Hinter uns türmen sich Wolken und irgendwann wird es wohl regnen.
Anders als in den echten Bergen ist es mit den Steigungen aber dann doch relativ bald geschafft – bleibt natürlich anstrengend und die Gülnaz hat keinen so „Hilf-Mutter-Gottes-Gang“ der so untersetzt, dass man beliebig langsam beliebig steile Hänge ohne zu schieben raufkommt, ….hab ich – hat sie nicht. Armes Ding, die Gülnaz.
[Jawohl – ich armes Ding. Verglichen mit meinem Rad bin ich quasi in Gang 3 da hochgehechelt!]
Die Landschaft hat sich schon sehr geändert – in Avanos floriert die Ziegelindustrie, weil der Fluss die Sedimente ausschwemmt und ablagert, daraus lässt sich scheinbar gut Ziegel formen. Später wird es einsam, die Hügel werden weit, der Horizont rückt weiter und weiter weg, satte braune Äcker, erstes grün, auf den Hügeln alles noch trocken und unbeleckt vom Frühjahr – nur die vereinzelten Bäume blühen. Einerseits wird das Wetter ungemütlich, andererseits bläst der Sturm von hinten und als ich den höchsten Punkt des Tages erreicht habe schaue ich auf ein gewaltiges Wolkenschauspiel – um uns herum ziehen die Wolken im Kreis – als wären wir im absoluten Zentrum eines Tiefdruckgebietes. Und wie sich das für Tiefdruckgebiete gehört, beginnt es leider zu regnen und als wir gerade so richtig verfroren auf eine öde Ortschaft zuhaxeln und ich schon in Tee-Hoffnungen vorwärme, haben wir nach 40 km den ersten Platten. Super!
So rollen wir auf den nächstbesten Hof – da gibt es ein Vordach und eine Veranda, da kann ich zumindest im Trockenen den Reifen wechseln. Aus dem Haus lugt die Oma, aus dem Kuhstall nähert sich der Opa: Dorfanatolien trifft auf Weltstadt-Adel – der Opa brüllt – aber nicht aus Ärger, sondern aus Taubheit. Ich würde auch gern brüllen, weil ich nicht weiß wie ich die Luftpumpe auf Autoventil umbaue. Aber dann klappt alles – der Opa hat sich wieder zu seinen Kühen verfügt - den alten Reifen will die Oma gerne für uns verbrennen (!), und bietet uns auch noch Tee an – aber wir müssen echt weiter – der gnädige Wettergott hat dem nervigen Gegraupel eine Pause verschrieben, und wir können weiterradeln.
Am Horizont tauchen die ersten Hotelburgen auf: Kozaklı ist ein Zentrum für Heilquellen. Offensichtich ist das hier alle tektonisch aktiv – siehe das nicht so weit entfernte Kappadokien – und aus den Spalten in der Erdkruste sprudelt heißes Wasser an die Oberfläche. Entsprechend hat sich hier eine kleine Spa-Kultur etabliert. Mit den leider unvermeidlichen Hotelklötzen. Gülnaz ist da weniger verkrampft als ich, wenn es um Hotels mit mehr als 7 Zimmern geht, aber auch ich freue mich auf die Versprechungen von Sauna und dampfigen Bädern.
Und wider meinen Befürchtungen erreichen wir Kozaklı. Im Hellen! Und es geht runter, nach Kozaklı – endlich eine lange Abfahrt. Unten warte ich auf Gülnaz – die verspätet eintrifft und mir entnervt mitteilt, dass ich jetzt an jedem der Hotels verbeigeschossen bin – und sie fährt da nicht mehr rauf – bsstimmt nicht - wenn wir da rauf müssen, dann nimmt sie ein Taxi (jawoll!).
[Echt? Hab ich das gesagt? Kann mich nicht erinnern. Verspätet war ich nur, weil ich am ersten Hotelschild, das nach rechts zeigte anhielt und mir dann die Lunge aus dem Leib brüllte in der Hoffnung, dass mein Lieblingsbiologe mich erhört. Aber nein – er war im Geschwindigkeitsrauch, da war nix zu machen. Also musste ich hinterher, grummelnd, weil ich wusste, da müssen wir wieder hoch…grrrr…]
So schlimm wird es nicht und wir checken ein in die Wohlfühloase: Hotel Roza. Irgendwie plüschig, aber so ein bisschen „ex-plüschig“ - jetzt eher so original muffig. Das Zimmer ist spartanisch, das Bad groß, die Wanne rostig – aus der Wand neben der üblichen Mischbatterie auch noch der Heilwasserzustrom. Heiss und Rostbraun.
[Gülnaz: Spartanisch? Wir hatten eine Suite mit Schlafzimmer, Wohnzimmer und Bad! ]
Gülnaz resoniert über das tragische Los von touristischen Etablissements in der Türkei – da könne man natürlich egal was sagenhaft hinbauen – aber manche Türken sind wohl eher wenig sorgsam mit den Hotels und dem verbauten Interieur. Die kämen dann mit ihrer Großfamilie und ihrer Kuh, so erklärt sie mir das, … und so sähe das dann eben aus.
[Ganz so habe ich es glaube ich nicht beschrieben (ich entschuldige mich jetzt schon bei allen Familien, die mit Kühen reisen). Was ich meinte ist: Ich habe oft eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit „Dingen“ beobachtet. Kombiniert mit der Tatsache, dass Wasserhähne nicht immer100% akkurat befestigt und Steckdosen nicht immer fest in der Wand angebracht sind, führt das zu häufigen „Verlusten“. Vermutlich nimmt der Eifer zur Instandsetzung in Relation zur Anzahl des Instandzusetzenden ab und so kommt es zu einer Abwärtsspirale. Klar, oder?]
Aber stimmt schon. In dem Bad kann man schon auch ne Kuh brausen. Und ein bisschen riechts auch so. Gülnaz ist einigermaßen bedient – wir dürfen noch am Abendessen teilnehmen – Vollpension!!! - und weil das eine Heilanstalt ist gibt’s zwar kein Bier (schade) aber auch kein Fleisch (hähä!!!) und ich hau mir den Bauch voll, bis ich kaum mehr gehen kann – und nachdem die Gülnaz keine Lust hat auf dieses bisschen miefige, pilzige, rostwässrige Baden mit Volksgenossen, geh ich halt alleine in die Sauna mit der Herrenfraktion der Kurgäste. Am besten ist das Heilwasserbecken – heiß und schwefelmuffig, wie man sich das vorstellt – zwischen den Nebelschwaden schweben dickwanstige Türken und sinken (wohlig?) grunzend in die Rostplörre – einmal drinnen ist das herrlich.
[Als Stefan aus dem Spa zurückkommt, war er sicher entspannt, hatte aber Augen wie ein Zombie! Feuerrot! Ach nein, rostrot!]
So war das in Kozaklı. Bisschen ab vom Schuss, aber wer mal billig Spa buchen will – das wäre eine Option. Und wer es sich vormerken will, hier ist der Hort thermaler Freuden: https://goo.gl/maps/yBf8nyfh8BabkgYW6
[Bedient bin ich eher vom anstrengenden ersten Raltag, als vom Hotel. Im Gegenteil, ich war heilfroh über das Hotel und die lange, warme Dusche. Das Büffet
mit Kantinenanmutung fanden wir (vom Hunger getrieben) großartig und ausgesprochen lecker (war es auch), die freundliche Rezeption sorgte dafür, dass unsere Fahrräder die Nacht sicher in
der Tiefgarage aufbewahrt wurden (in der keine Autos standen, sondern nur Baumaterial,) und die Mitarbeiter waren wirklich nett und wahnsinnig zuvorkommend. Danke Spa Hotel Roza, ich war froh,
dass du da warst.]
Mit dem Rad über die anatolische Hoch-un-ebene Tag 2
[Gülnaz] Wir verlassen Kozaklı am nächsten Morgen nach einem ordentlichen Frühstück und einem Schwatz mit dem Sicherheitsmann Richtung Yozgat. Wir steuern Şefaatli an, eine kleine Stadt im Kreis Yozgat. Man sagte uns, dass es da sicher Hotels gäbe – da könnten wir übernachten.
Die Fahrt in den Ort ist einigermaßen bequem, es geht runter – die ganze
Zeit, in die Senke. Ich denke mir noch „das müssen wir morgen wieder hoch!“ und bin eher wenig freudig. Unten angekommen zeigt sich: das ist kein schöner Platz. Wir fallen auf, wie die bunten
Vögel. Stefan will gleich im ersten Kıraathane einen Tee trinken (so heißen die „Teesalons“, in denen eigentlich nur Männer sitzen), ich will da nicht rein. Ich habe eine Radleggings und darüber
meine gepolsterte Radlhose an – unter keinen Umstenden werde ich mich in so eine Testosteronhöhle setzen. Also lassen wir uns ein wenig weiterrollen und finden eine nette Bäckerei. Da
trinken wir unseren Tee und finden heraus: 1. Das ist ein sehr konservatives Nest und 2. Hier gibt es kein Hotel!
Wir kaufen noch schnell das Nötigste ein und entscheiden: dann campen wir halt, wollten wir doch eh!
[Stef] Eine Nacht in Seefatli war von Anfang an Plan B und mit einem Hotel habe ich gar nicht großartig gerechnet. Ist ja auch keine Stadt sondern eines von diesen ein bisschen gesichtlosen Dörfern, eine Haupt- und eine Querstraße, staubig und gesäumt von Läden, die Baumaterialen verkaufen. Es gibt einen Uhrturm – Uhrtürme erfreuen sich hier einer überrachenden Beliebtheit und so unscheinbar kann eine dieser Bauten gar nicht sein, dass nicht gesondert auf die Existenz hingewiesen wird. Bei uns ist die Uhr am Kirchturm und vielleicht liegt es an der spargelhaften Schlankheit der Minarette, dass man da eben keine Uhr angebracht bekommt. Der Uhrturm von Seefatli ist aber nicht die einzige Sehenswürdigkeit – es gäbe noch eine Burg, lesen wir irgendwo. Dann suchen wir die Burg, Und finden: Eine erbärmliche Replik aus Plastik und Spritzbeton, die man unmotiviert auf irgendeinen Huckel hingeschustert hat. Bestenfalls die Größe eines Einfamilienhauses – selbst der Fels auf dem die „Burg“ steht ist in Miniatur nachmodelliert. Wer kommt bitte auf so eine schwachsinns-Idee? Das ist wirklich grotesk. Also - weiterfahren und Zeltplatz suchen.
Der Ort hat eine seltsame Gravitation…könnte man sagen, wenn man nicht wüsste, dass es nur die endlose lange Rampe aus dem Ort heraus ist, die einen
aufhält. Als wir uns endlich hochgekämpft haben und Şefaatli
endlich hinter uns lassen, bin ich überglücklich. Müsste ich alle Orte dieser Reise nach Charm ordnen, wäre Şefaatli auf dem letzten Platz.
[Stef] der Platz hat eher eine Anti-Gravitation, so sehr will die Gülnaz weg – aber Steigung ist halt doch Steigung und aus Seefatli raus ist es echt anstrengend.
Und weil hinter uns die Wolken dunkler werden, die Regenfahnen näher rücken, der Wind schon so kalt und nass vom kommenden Regen ist, sollten wir uns schicken und nicht mehr allzulange warten mit dem Zeltplatz.
Im Rahmen der Türkei-weiten Infrastrukturmaßnahmen wird das Land Straßenbau-mäßig neu eingekleidet. Die alten Straßen werden rasant durch neue und breitere und mehrspurigere ersetzt. So fahren die paar wenigen Autos, Laster und Traktoren eben auf frischem Asphalt. Einer undurchschaubaren Logik folgend, verlaufen die neuen Trassen ein paar Meter parallel zur alten Straße – der alte Straßenbelag erodiert dann vor sich hin und mit ihm die angrenzende Infrastruktur. zB Tankstellen. Mit verrosteten Zapfsäulen, verlassenem Tankwärter-Häuschen, verwunschen eingewachsenen Toiletten, einem Unterstand, al das von der Vegetation ein Stückweit zurückerobert. Daneben: Ein Ҫeșme (Exkurs: Das istein Brunnen, mit fließendem Wasser, oft Quellwasser. In der Türkei galt es immer als gute Tat, einen solchen bauen zu lassen. In den heißen Sommern bieten diese Brunnen eine wunderbare Wasserversorgung für Tier und Mensch. Oft sieht man auf einer Tafel geschrieben, wer den Brunnen bauen ließ und zu wessen Gunsten man beten soll. Das haben wir nicht getan, uns aber immer schön artig bedankt, denn diese Brunnen sind tatsächlich großartig.).
Wir bauen das Zelt auf, schmeißen unsere Isomatten und Schlafsäcke rein, sammeln etwas Holz und begeben uns in den überdachten Teil der Tankstelle, als es anfängt zu regnen. Nicht stark, aber wir sind froh, dass wir unter einem rettenden Dach sind. Stefan packt den Kocher aus, wir haben eingekauft und kochen einen Tomaten-Käse-Bulgur, der uns später sogar sehr mundet.
Noch während wir kochen, hält ein Auto auf der etwas höher liegenden Straße. Ein junger Mann ruft etwas und kommt dann zu uns runter. Man hat im Dorf (2 km weiter) registriert, dass zwei Radler hier ihr Zelt aufgeschlagen haben und hat den jungen Mann losgeschickt, um zu sehen, ob es uns gut geht und ob wir was brauchen. Er sagt, wir könnten auch im Dorf schlafen. In einem Zimmer oder – wenn wir im Zelt schlafen wollen – in irgendeinem Garten. Als er merkt, dass wir nicht mehr umziehen wollen schreibt er mir eine Telefonnummer auf – die seines Onkels, der ist nämlich Muhtar des Dorfes (Dorfvorsteher). Wir sollen uns jederzeit melden, wenn wir was brauchen – Tag und Nacht. Als er sich fröhlich winkend verabschiedet und weiterfährt, sind wir etwas verdattert, von der Freundlichkeit überwältigt und ich etwas kleinlaut (ich war die, die Sorge hatte, wie die Leute wohl so sind). Tatsächlich sind sie wahnsinnig freundlich – das sind sie ja schon in den Städten, wo man Touristen kennt, aber je weiter man sich von den touristenerfahrenen Gegenden entfernt, desto freundlicher werden sie – zumindest auf dieser Reise.
Als Stef eine halbe Stunde später versucht, ein ordentliches Lagerfeuer hinzubekommen, hat er es schwer. Das Holz ist feucht und brennt nicht besonders willig. Wie soll es anders sein: 5 Minuten später bleibt ein weißer Kastenwagen stehen. Ein junger Mann steigt aus und sagt: „das Holz taugt nix. Ich gebe euch was.“, zerrt eine Holzpalette aus der Ladefläche und lässt sie zu uns runterrollen. Wir dürfen sie verfeuern. Er will uns unbedingt auch noch Tee geben, den wir aber dankend ablehne – haben wir nämlich schon selber.
Beseelt von so viel Freundlichkeit, gut gesättigt und gewärmt vom Feuer, ziehen wir uns ins Zelt zurück, als der Regen stärker wird. Anfangs bekomme ich noch die Lichtkegel vorbeifahrender Autos mit, aber es dauert nicht lange und ich schlafe tief und fest. Unsere erste Nacht in der anatolischen Wildnis ist am Ende eine überaus angenehme Erfahrung. Ich würde mich nicht wundern, wenn das Dorf alle zwei Stunden Jemanden geschickt hätte, der nach uns gesehen hat.
Mit dem Rad über die anatolische Hoch-un-ebene Tag 3
Als wir morgen aus dem Zelt sehen, ist der Himmel wolkendurchzogen, aber es regnet nicht mehr. Wir trinken einen Tee, essen von die Reste unseres Abendessens (=viel), packen zusammen und machen uns auf den Weg nach Yozgat. Wir haben nur 35 Kilometer vor uns, aber 700 Höhenmeter. Es ist kalt und windig und irgendwann sind wir auf 1500 Metern – brr…Es ist zu ungemütlich für lange Pausen. Irgendwo verziehen wir uns hinter ein kleines Häuschen am Straßenrand (in den Windschatten) und futtern zwei Schokoriegel. Dann will sogar ich schnell wieder weiter, es ist einfach zu kalt.
Unterwegs mache ich noch schnell das Hotel in Yozgat klar und suche zielsicher das Hotel am höchsten Punkt der Stadt aus - das weiß ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht ….später ist die Freude groß…
Da es nicht viel über die Fahrt dahin zu erzählen gibt, möchte ich gerne kurz auf die Interaktion mit der lokalen Bevölkerung eingehen. Ich bin mir sicher, dass Stefan auch ohne mich immer sehr gut durchgekommen wäre. Die Türken sind wirklich wahnsinnig bemüht und Stefan spricht schon einige - nein eigentlich viele - Brocken Türkisch (und darüber freuen sich wirklich alle Türken sehr). Egal wo wir sind, wir grüßen und werden immer freundlich gegrüßt. Ein „Merhaba“ beim Vorbeifahren lässt die Menschen aufsehen und ost lächeln – manche winken noch lieb hinterher. Man freut sich richtig über die Grüße dieser zwei eher ungewöhnliche Gestalten auf Fahrrädern, die offensichtlich nicht einheimisch sind. Das ist wirklich schön.
Wenn wir dann mal eine Minute stehen bleiben und ich anfange türkisch mit den Menschen zu sprechen, bekommt alles gleich noch eine ganz andere Qualität.
Ich habe kein einziges unfreundliches Wort gehört - im Gegenteil, man begegnet uns mit viel Freundlichkeit, unverstelltem Interesse und Offenheit. Die Oma, unter deren Vordach Stefan meinen
Platten reparierte, hat mir in wenigen Minuten ihre Lebensgeschichte erzählt - Elevator Pitch a la Turka.
Die Fragen, die wir gestellt bekommen, lassen sich schnell aufzählen, hier die Top 3:
1. „Memleket nere?“ (Wo
ist deine Heimat/ wo kommst du her?)
Das ist eine Standardfrage unter Türken. Die Verortung der regionalen Herkunft scheint essenziell. Ich weiß nicht wie oft ich selbst im Vorbeifahren krähen musste „Ben Almanya‘dan, Annem
Istanbul‘dan, Babam Ușak’dan“ (Ich komme aus Deutschland, Mama
aus Istanbul und Papa aus Ușak). Jedenfalls so oft, dass Stefan
jetzt die Herkunft meiner Familie im Schlaf runterbeten kann.
2. „Zor/ yorucu deǧil mi bisiklet ile?“ (Ist es nicht schwer/anstrengend mit dem Rad?)
Meistens gefolgt von einem „Ben yapamam“ (ich könnte das nicht)
3. „Niye?“
Warum?
Die Menschen sind wirklich interessiert, hören zu, staunen und finden es toll. Wenn ich dann erzähle, dass Stefan schon seit drei Monaten mit dem Fahrrad unterwegs ist und noch bis China will, dann kommt immer eine Mischung aus Staunen, ungläubigem Kopfschütteln und Bewunderung - oft mit dem Ausdruck „Helal olsun, lan.“ Was frei übersetzt so viel wie „Respekt, Alter“ bedeutet.
Das können wir nur zurückgeben: Helal olsun, Anadolu!
Abschied aus Kapadokien, dann Wolkenspektakel und die großartige Landschaft und Weite. Auf Bild Nummer 8 sieht man, wie groß diese Thermalbunker sind - das einzige große Gebäude in der Bildmitte
ist so ein Hotel.
Der vermutlich idealste Campingplatz auf der Strecke mit der vermutlich freundlichsten Unterstützung der ansässigen Bevölkerung. Am besten brennen halt doch Paletten.
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Lao He und Lao Ha (Samstag, 27 April 2019 20:41)
So viele Erinnerungen an die anatolische Weite, Kühe mit dem Eselchen des Hirten, die kleinen Täler mit den Pappelwäldchen.....
Die Strecke nach Norden zum Kara Deniz hinter Alaca Hüyük kennen wir nicht, erst ab dem nächsten Eintrag - Amasya - ein bisschen
Und gezeltet mit großartigem Paletten - Lagerfeuer haben wir auch nicht
Aber gebadet haben wir, in Dorf Pamukkale, mit eigenem Badebecken, aber leider ohne Kuh
Gute Fahrt, iyi yolcoluklar (keine Ahnung wie man auf georgisch sagen würde)
Sabrina (Donnerstag, 23 Mai 2019 11:07)
Komme endlich mal dazu eure Beiträge zu lesen. Wirklich sehr cool... die Wortschlacht ist sehr unterhaltsam :-D
Quirin (Dienstag, 28 Mai 2019 12:25)
Hab' jetzt mit geschafftem Abi endlich mal Zeit, deine/eure Blog-Einträge der letzten Zeit nachzuholen!
Das klingt wirklich toll; unglaublich, wie nett sich die Anatolier um euch gekümmert haben.
Du siehst auch schon ziemlich wuid aus, Stef!