Di. 02.04 Kekova – Finike ↔ 53 km, ↑↓ 560m
Mi. 03.04 Finike – Cirali ↔ 60 km, ↑↓ 800m
Do. 04.04 Cirali – Antalya ↔ 80 km, ↑↓ 750m
Es ist 12 Uhr als ich vom Katamaran auf die Straße gesetzt werde, es geht in Serpentinen in die Berge – Kiefern und Latschen, graues Kalkgestein und auch wenn das Frühjahr eben erst begonnen hat fühlt sich die wummernde Hitze und die Intensität der Sonne nach süddeutschem Hochsommer an. Innerhalb von 3 Minuten bin ich nassgeschwitzt, nach 5 Minuten sitze ich im Schatten einer kleinen Teebude und verdoppel meine Wasservorräte auf 4 Liter. In der Türkei sind so kleine Veranda-ähnliche Konstruktionen verbreitet, auf der niedrige Sofas mit haufenweise Kissen und Polstern um einen Teetisch gruppiert sind, die Konstruktion steht auf Stelzen und ist überdacht, so hat man Schatten und sitzt oder liegt bequem und verdämmert die Mittagshitze. Es gibt ja ein paar schlaue Einfälle hier, aber so ein „ṣark köṣesi“ würde ich am liebsten im Garten meiner Eltern zusammen-zimmern.
Von der Teebude geht es ins Hinterland, unweit der Küste, aber ohne Meerblick - und wo ein wenig Land sich für Gemüseanbau anbietet, sind inzwischen auch hier die Flächen mit Tunnelzelten aus Plastik als Gewächshäuser landschaftsbestimmend – nicht schön, aber die Bauern hier sind nicht reich, denen braucht man vermutlich nicht mit ökologischen Aspekten der Gemüseproduktion kommen – überall sieht man kleine Traktoren mit Plastikcontainern und Sprühdüsen, mit denen sie durch die Obstbaumplantagen fahren und mit Handspray-Geräten ziehen sie durch die Plastikzeltstädte.
Bei Demre liegt das historische Myra – der uns bekannte heilige Nikolaus war hier Bischof und hat entsprechend der lokalen Sagen einem armen Mädchen ein Sackerl Gold zugeschmissen, so dass sie eine Mitgift hatte um sich heiraten lassen zu können. Es hält sich hier hartnäckig ein wenig-fortschrittliches Frauenbild. Die Kirche des heiligen St. Klaus kann man besichtigen – Meine Eltern, Kinder, Lydia und ich waren da vor Jahren uns fanden damals schon das touristisch motivierte Gewese um die Herkunft des weltbekannten Santa-Claus nicht sonderlich berauschend. So belasse ich es bei einem schnellen Pide-Mittagessen mit Salat, Ayran und Tee und fahre weiter nach Finike. Der Weg führt zurück ans Meer – tatsächlich wieder eine der unvermeidlichen Autobahn-haften 4 spurigen Trassen – aber ich hab die Straße fast für mich alleine und genieße die Stimmung: Die Uferlinie ist so gewunden, hinter jeder Kurve eine neue Bucht, Felsformationen und ein paar wenige Kiefern, die sich in den steilen Felshängen halten konnten. In einer dieser Buchten hätte man auch super Campen können, aber ich hab ein billiges Hotel in Finike, und alleine Campen ist mehr Aufwand als Spaß und ich kann dem Luxus von abendlichem Duschen incl. Klamottenwaschen schon etwas abgewinnen, vor allem, wenn meine Klamotten schon mehrfach durchgeschwitzt und wieder trocken geradelt sind.
Finike ist krass hässlich – aber so richtig. Ein langer, besinnungslos zugemüllter Strand wird durch die 4 spurige Stadtautobahn von einer endlosen Reihe Betonwohnsilo-Bauten getrennt. Im Sommer wird hier Urlaub gemacht – jetzt sieht das aus wie in den beklagenswerten karibischen Inselstaaten nach dem Durchzug eines tropischen Tornados. Verwüstung und Verfall in Tateinheit mit konsequenter Vermüllkippung.
Die nächste Etappe am folgenden Tag führt nach Cirale bei Olympos – Auch hier war ich mit meinen Kindern und Eltern und Lydia. Vor 20 Jahren war der Strand weitgehend unbekannt und ich erinnere mich an meine Überraschung als ich damals einem kleinen Fluss vom Strand in den dichten Wald folgte und hinter Bäumen und dicht in Vegetation versteckt eine historische Hafenanlage entdeckte mit Säulen und Stufen und verfallenen Grundrissen antiker römischer Siedlungen. Ich fühlte mich wie Indiana Jones auf Entdeckungsreise im Dschungel. Von Cirali aus haben wir eine ausgedehnte Wanderung auf den sehr gewaltigen Tahtalidag unternommen, einen Tag lang sind wir damals aufgestiegen, vom Strand aus sieht man den schneebedeckten Gipfel zwischen den Wolken – in der Tat: sehr nach olymp-haftem Götterwohnsitz sieht es aus. Auf dem Weg zum Gipfel haben wir damals Libanon Zedern gesehen.
Ich freu mich also sehr, als ich vom Gewitter aus den Bergen eingeholt die 300 Höhenmeter zum Strand runter rollen kann – irgendein Hotel werde ich schon finden, Olympos war damals schon so ein bisschen freakig – mit Baumhäusern zum Mieten. Die Straße wird matschig, die ersten dem Tourismus geweihten Etablissements zieren die Straßenränder: Bars, Cafes, Hotels – alle verrammelt, versperrt, eingemottet oder aber im Zustand der Renovierung mit neuen Lichtinstallationen. Irgendwo müsste da auch mal eine Brücke gewesen sein – die ganzen 4W-Drive SUVs pflügen durch eine Furt in dem Bach, der dank Gewitter in den Bergen schon anständig Wasser führt – mit Rad ist da jedenfalls kein Durchkommen. Stattdessen geht es über eine windige Hängebrücke, ein paar Bretter, auf der einen Seite ein Handlauf auf Höhe meiner Knie – bepackelt ist es ein bisschen wie Schwebebalken – und runterfallen wäre ziemlich unkommod. Von da aus führt ein Fussweg weiter und Schilder verweisen auf einen Busparkplatz (Otogar) und dass dann eine Weiterfahrt nicht möglich ist. In der Tat: Der vom prasselnden Regen schaumig geschlagene Lehmboden weitet sich zu einer zerfurchten Großpfütze in der ein einsamer Reisebus sein Schlammbad nimmt. Dahinter hindert eine Zaunkonstruktion am Weiterkommen, aber es gibt ein Häuschen, das Eintrittskarten verkauft. 20 Lira für die historischen Stätten und den Strand. 20 Lira sind gerade mal 3 Euro – aber hier geht’s ums Prinzip: Ich(!!!!) war hier vor Euch da – ich habe hier vor Jahren schon die verwilderten und eingewachsenen Reste der Hafenanlage entdeckt, da braucht jetzt kein jugendliches Eintrittskartenscheisserchen bei mir zum Geldeinsammeln kommen. Und weil es so regnet, stell ich mein Rad unter das Vordach des Verkaufshäuschens, setze mich auf das Bänkchen und erkläre, dass ich einerseits nicht wieder durch den Schlamm zurückkrieche, andererseits gar nicht diese wundervolle historische Stätte ansehen will und 3. es regnet und ich hier bitte Unterschlupf bekomme. Besonders begeistert sind sie nicht, erklären mir, dass die 20 Lira obligat sind und wenn ich mir nix ansehen will ist das mein Problem. So sitzen wir da, schauen in den Regen, die Zeit verrinnt, der Parkplatz versinkt, ich hab kein Hotel, aber Hunger. Irgendwie Scheiße – nix darf in seinem Dornröschenschlaf auf immer und ewig weiterpennen – immer kommt jemand und macht Dreck und Geschäft und Parkplatz und Eintrittshäuschen. Nach 10 Minuten kommt einer der beiden Eintrittsbuben mit einem Becher dampfenden Tee, bietet mir ein paar Erdnüsse zum Tee an und sagt, dass ich in Gottesnamen auch so durchfahren dürfte. Aber bitte: Tee trinken, Nüsse essen, weiterfahren, …. ich bedanke mich sehr herzlich und die Jungs sind auch ganz fidel (weil ich endlich weiter fahre), der Regen wird weniger und ich roll mit dem Rad an dem nun sehr freigehauenen Bachlauf entlang, der vor 20 Jahren undurchdringlicher Dschungel war und die Anlage war zu Römerzeiten wohl einigermaßen ausgedehnt. Leider nieselt es und mit dem Licht und dem grau in grau sind keine tollen Bilder zu machen. Ich komme an dem Strand an, erinnere mich natürlich an ein paar Details – aber vieles ist nicht wieder zu erkennen – das Rad schiebe ich den Strand entlang durch den Sand, die Hotels sind alle sauteuer aber stehen weitgehend leer – und ich will keine Vollpension mit Grillplatte. Ich geh an den Strand, denk an meine Kinder, schau wie der Regen ins Meer rauscht, mach ein paar Fotos für den Blog und dann fahre ich weiter, wieder raus aus Cirali, auch hier ist der Schneewittchenschlaf vorüber, die Ruhe jetzt ist eher Winterschlaf, bevor ab Ostern die Massen hereinbrechen. Aber weiter oben an der Straße gibt es noch ein Hotel, google maps navigiert mich irgendwelche sausteilen Serpentinen in den Hang. Ich bin schon so lange geradelt und langsam reicht es auch für heute. In einer der endlosen Kehren sehe ich einen Herrn mit zwei Handwerkern auf der Terasse stehen und ich frag ihn – auf Englisch – ob er zufällig wüßte wo eben diese Pension sei? Ob ich denn Deutsch könnte, fragt er zurück. (Tu´ ich) „Das ist schon mal gut! Sagt er – akzentfrei. Und als erstes soll ich jetzt mal raufkommen, erstmal Tee trinken. Und nein – von der Pension hat er noch nie etwas gehört – und er kennt das Eck hier. Wie so viele hat er auch in Deutschland gearbeitet und seine Familie lebt auch noch oben, im Westen, Pott - Duisburg – irgendwo da! Sein Deutsch ist phänomenal, die beide Arbeiter sind gutgelaunte Kurden. Der Baklava Verkäufer in einem alten Combi tuckert vorbei – meine Chance mich für den Tee erkenntlich zu zeigen. Ich frage, wieviel ich kaufen soll. 2 Kilo, meint er (2 KILO Baklava !!!???) Aber mir solls recht sein und die Kurden putzen das Zeug weg wie Popkorn. Er hätte keine Putzfrau, meint er, drum kann er mir kein Bett anbieten, es tut ihm sichtlich leid, dass er mich nicht beherbergen kann, denn wer wäscht dann mein Bettzeug??? – aber ich habe ja alles: Matraze, Schlafsack – und dann zeigt er mir sein frisch ausgebautes Dachgeschoß, die neue Dusche, das unbenutzte Klo, sogar warmes Wasser gibt es. Und ich bin so froh, dass ich bleiben darf.
Es wird ein denkwürdiger Abend – leider werde ich hier nichts schreiben können von all den Sorgen und Schwierigkeiten die mein Gastgeber hat, mit der Politik, der Religion, dem System. Wer weiß, wer hier was ließt und wer weiß, wie feinmaschig hier gescannt und gesucht wird. Ich will den Mann nicht in Schwierigkeiten bringen, aber es ist schade, denn das sind haarsträubende Geschichten. Von Bestechung und Einschüchterung, der Macht der Klerikalen und der Käuflichkeit lokaler Politiker, der Polizei und der Gerichte, Zersiedelung und Verschmutzung, krummen Geschäften und mafiösen Methoden.
Ich werde sogar noch bekocht, Auberginen und Gemüse, Reis, und Käse, aus dem Kühlschrank zieht er noch einen selbstgebrauten Granatapfelwein. Das Zeug hats in sich. Weniger der Alkohol, mehr die Säure.
Nach einem Monat in der Türkei, spüre ich erstmalig, wie repressiv das System ist, und es ärgert mich unwahrscheinlich, dass ich so zurückhaltend und vorsichtig schreiben muss, um sicher zu stellen, dass mein Gastgeber keinen Ärger bekommt. Vielleicht erzähl ich seine Geschichte zu einem anderen Zeitpunkt, mit anderem Namen in einem anderen Land.
Der folgende Tag führt über die antike Hafenstadt Phaselis erst nach Kemer und dann nach Antalya. Phaselis liegt am Weg, es ist vor Antalya die letzte historische Steinesammlung und ich will einen adäquaten Ort um mich vom Mittelmeer zu verabschieden. Auch Antalya hat ein Hafenbecken, aber mir geht’s um die Felsküste, die vorgelagerten Inseln, das blaue Wasser, die Kiefern, die Farben. Von der Hauptstraße sind es 2 km durch Pinienwälder, dann öffnet sich eine Bucht an deren Westseite noch die Steinstufen des Anlegers zu sehen sind, in der benachbarten Bucht ist ein zweiter Hafen angelegt worden, verbunden durch eine alte Straße, die nach 2000 Jahren noch besser in Schuss ist als viele Nebenstraßen, die ich bis hierher beradeln durfte. Angrenzend: Agora, Dampfbad, Villen, Säulengänge, Tor und Tempel, es riecht nach Kiefern, die Insekten summen, die Sonne spiegelt sich im Meer. Auf einem Felsen, gegenüber der Steinstufen finde ich eine Bank malerisch unter einer Kiefer platziert, sehr angetan um hier besinnlich Oliven mit Brot und einer angequatschen Tomate zu essen, verträumt auf Meer zu schauen und die Stationen am Meer zu rekapitulieren.
Und dann wars das – Goodbye Mittelmeer. Auch wenn ich jetzt noch einen halben Tag am Meer entlang auf einer wüsten Autobahn nach Antalya heize, Rückenwind und Regen-Sorgen getrieben, und auch am nächsten Morgen nochmal am Hafenbecken Antalyas vorbeikomme, ist das jetzt vorbei mit dem türkisen Wasser und den karstigen Hängen. Venedig bis Antalya. Ende erstes Kapitel – so fühlt sich das an, aber ich freu mich auch sehr und bin neugierig auf die kommenden Abschnitte: Zentralanatolien, Schwarzmeerküste, Georgien und Armenien.
Von Kekova nach Finike, kein Bild von Finike, weil hässlich. Der Weg dahin aber war super, immer schön am Meer entlang, kaum Steigungen, kaum Verkehr. Weg nach Olympos mit dem imposanten Tahtalidag, historische Hafenanlagen, der Strand von Cirali und der Weg zurück. Keine Bilder vom Haus meines "Retters und Gastgebers" stattdessen Phaselis und seinen Ruinen. Ein Blick zurück auf den nun in der Ferne wieder verschwindenden Tahtalidag und ein Blick herunter auf den Hafen von Antalya.
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