Albanien eine Träne hinterherweinen und den Balkan hinter sich lassen.

Nachdem Europa in Albanien kurz mal Pause hatte ist Griechenland wieder „Ländergruppe 1“ – nicht nur in Bezug auf den Luxus einer Telefonflatrate in die heimatlichen Gestade und grenzenlose mobile Daten.

 

Aber nach meinen anfänglichen akklimatisatorischen Reibungen In Albanien hatte ich in den letzten Tagen so viel schöne Erlebnisse und so nette Begegnungen, dass ich die wahnsinnige Landschaftsversauung jetzt gar nicht mehr als den bestimmenden Eindruck dieses Landes in Kopf habe – was zwar auch nur halb richtig ist, aber sich besser anfühlt: Und gefallen hat mir schon viel: Das Gemütliche in den Skhoder; Tirana und Sarande, die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen, die sagenhaften Berge um Girokaster, die Burgen über den alten Städten, das Anarchische auf der Straße. Hier findet man so viele Menschen, die irgendetwas aufbauen wollen: Junge Menschen, die ihrer Phantasie beim Ausbau Ihres Hostels keine Grenzen setzen, Auswanderer, die einen Agrotourismo-Betrieb aufbauen wollen, mit Pferden und Eseln und Weinbau und Oliven. Hier geht das alles noch, weil das Land billig ist und die Vorgaben des Staates weitgehend fehlen. Hier kann man unbeschwert vor sich hinplanen und machen; soviel scheint her möglich und die jungen Leute, mit denen ich zuletzt mehr Kontakt hatte, sind voller Zuversicht, dass das alles schon wird. Und abgesehen von der Umweltverschmutzung hat sich keines der Stereotypen, die sich für Albanien und seine Bürger so festgesetzt haben - mafiös, unsicher, kriminell und unterwandert von verbrecherischen Banden – bestätigt. Alban, junger Hostelier des Hasta la Vista Hostels in Sarande meinte auf meine Frage nach einem sicheren Abstellort für mein Rad: „Don´t worry! Albania is the safest place in entire Europe – all the criminal Albanians have left. Now they live in Germany! Look around – here is nothing to steal!“

 

Ich hab Albanien dann doch nicht über Korfu verlassen. Quasi Schiff und Zack: Hellas! Es gefällt mir besser mich langsam den Grenzen zu nähern, oft liegen die ja auf einem Bergrücken, der das letzte Tal abschließt – einem Pass, an einem Fluss Und dann strample ich die letzten Kilometer auf oft sehr einsamen Straßen, immer weniger Dörfer, immer kleiner die Geschäfte, immer mehr Niemandsland bis dann um eine letzte Kurve der Grenzposten auftaucht, mit Fahnen und Schlagbäumen. Mir gefällt das, ich mag den Stempel im Pass und das Abrupte mit dem plötzlich so vieles anders ist: Sprache, und hier: Schrift! 

 

So schwer, meint man anfangs, kann das jetzt auch nicht sein – aber zunächst ist man wieder Analphabet. Dumm, wenn auch das Navigationsgerät meint sich folkloristisch geben zu müssen und die Städtenamen nicht zumindest klein für uns nicht-Griechen in der gewohnten Schrift darunter zu schreiben? Wie heißt die Stadt? Hygumenify? Hichumezia? Igoumenitsa!

 

Hinter der Grenze führt die Straße in weiten Bogen um einen Berg und dann ist man wieder am Meer, Bötchen schaukeln im Hafenbecken, das Wasser ist klar, das Auge sucht – aber findet nicht: Autoreifen, Waschmaschinen, Polstergarnituren, Kadaver, Plastiktüten, -Flaschen, -Folien, Fernsehgeräte, Bauschutt, …. Ist das schön! Die Sonne scheint mir auf den Pelz und das Meer gluckert vor sich hin und nach Hygumenify? Hichumezia? Igoumenitsa! Sind es gerade mal 15 Kilometer. Die die gepriesene App „Komoot“ führt mich durch Orangenhaine, die Straßen sind  tadellos asphaltiert, eine Nebenstraße ist eine Nebenstraße und keine Geröllhalde. Der Wind bläst mir immer wieder den beissenden Rauch von frischen brennenden Orangenästen ins Gesicht. Die Bäume werden im Frühjahr großzügig ausgeschnitten und die Äste mit dem grünen Laub auf gewaltigen Scheiterhaufen entsorgt. Ich sehe einen Storch und viele Reiher, Möwen, Falken, eine letzte Abbiegung bringt mich auf die Strandpromenade. Wahnsinn: Igoumenitsa war für mich immer nur Hafen und Fähre … aber das ist eine richtig nette Stadt. Übernachten werde ich im Zelt – auf einem Campingplatz auf einer Landzunge, die in die Bucht hereinragt, ganz wunderschön gelegen. Natürlich bin ich der einzige Gast und wegen mir wird nicht die Bar geöffnet, das Restaurant hochgefahren und der Minimarkt mit Lebensmitteln bestückt. Alles bleibt eingemottet, wie die Wohnwägen der Dauercamper und so ein ausgestorbener Campingplatz verbreitet eine eigentümlich morbide Anmutung; irgendwas klappert im Wind, die Duschen sind stockdunkel, … im Finsteren dreht man an irgendwelchen Hähnen und dann kommt auch tatsächlich Wasser, sogar warm. Selbst die Rezeption ist nicht besetzt, nur irgendein Hausmeister irrt über die Anlage. Aber bei der Platzsuche habe ich freie Auswahl. Blick auf den Strand und Sonnenuntergang inklusive.

 

In Igoumenitsa dagegen ist es ausgesprochen unmorbide – es wird gefeiert, und zwar das Fest des Grillens: „Day Of Barbecue“! Überraschender Weise handelt es sich dabei um einen vorösterlichen orthodoxen Feiertag, der mit Faschingsverkleidung, brennenden Servietten, Life Musik in den Bars und natürlich Grill-Inferno auf den Straßen begangen wird. Also all das, was man intuitiv mit dem orthodoxen Glauben und dem österlichen Wunder in Verbindung bringt.

 

Meine erste Nacht im Zelt vergeht ereignisarm – so wie man sich das für Nächte, gerade auf verlassenen Campingplätzen, auch wünscht.

 

Der nächste Tag führt mich nach Vrachos – und ich könnte an dieser Stelle berichten, dass Vrachos in den internationalen Registern gernfrequentierte Gleitschirm-Arenen einen kleinen aber feinen Platz für sich beansprucht. Und zumal ich ja seit fast 2000 km eine 10kilo-Flugausrüstung sinnlosester Weise mit mir führe, dachte ich mir – wäre das ja (mal wieder) eine Möglichkeit mich für die Mühsal des Transports zu belohnen. Schon sehe ich mich im abendlichen Hangaufwind an der Küste entlang schweben um im letzten Licht des Tages leicht vor meiner Unterkunft in Lygia aufzusetzen. Der Starthang ist irgendwo oberhalb des Strandes – aber ohne jeden Zweifel treffe ich den einen oder anderen Piloten an der Bar am Landeplatz … den ich bestimmt unschwer ausfindig mache. Vrachos aber empfängt mich wie abends zuvor mein Campingplatz, nämlich ausgestorben. Aber sowas von. Bars, Hotels, Restaurants, …irgendwelche Clubs – im Sommer scheint hier allerhand geboten zu sein, hier und jetzt aber sind die Stühle gestapelt, die Sonnenschirme verstaut und die Stände mit Brettern vernagelt. Kein Auto, keine Menschenseele, kein Gemüsestand, keine Bude mit Getränken, keine alten Knacker im Cafe, keine alten Schachteln die am Weg ein Schwätzchen halten, kein Jogger am Strand, kein Boot im Wasser, kein Kind das plärrt - … nichts! Menschheit leider ausgestorben. Einzig Stefan H., solitärer Überlebender einer finalen Katastrophe und letzter Radfahrer der Menschheitsgeschichte, pedaliert als Chronist über den einst so besiedelten Planeten. Für Vrachos wird notiert: Traumhafter Strand, wunderbarer Sand, Wasser klar wie Quelle aber leider ebenso saukalt.

 

Damit sind dann auch wieder die hoffnungsvollen Flugpläne obsolet – irgendwo in der Macchia einen zugewachsenen Hang zu finden von dem aus ich an den Strand herunter abgleiten könnte, ist auf Basis der Angaben aussichtslos. Ich könnte inzwischen eine Themensammlung öffnen: 1000 Gründe wegen denen das fliegen heute mal wieder nicht möglich ist: Sturm, Kälte, zu spät am Tag um noch was zu reißen, zu fertig vom Radeln um noch was zu reißen, keine Möglichkeit an den Startplatz zu gelangen, unsichere Windverhältnisse, keine Zeit den Landeplatz zu inspizieren, kein Landeplatz zu finden, zu viele Hochspannungsleitungen, berechtigte Ängste wegen undurchschaubarer Luftbewegung, Dornengestrüpp bzw. Felsverhau am Startplatz, oder es gibt gar keinen Startplatz….

 

Die Idee so im vorbeiradeln schnell mal so Idealbedingungen vorzufinden, Infrastruktur und erfahrenen Piloten vor Ort, die mich erst in die Landeroutine einweisen und am besten aus lauter Freundlichkeit noch zum Startplatz rauffahren – ganz ehrlich: Ist jetzt in den letzten 7 Wochen so noch nicht eingetreten, oh Wunder. So bleibt es, ohne Fliegen, halt "nur" einer der vermutlich schönsten und gerade jetzt einsamsten Strände der Welt – Lygia Beach! Die Wellen brechen und machen maritimen Lärm, der Sand ist schon ganz warm, aber im Wasser (jawohl: angebadet) halte ich es gerade mal ein paar Sekunden aus. Fabelhafte Aussicht auf das Meer, ein unverbauter Küstenabschnitt und die dahinterliegenden Hügel mit Olivenhainen und dazwischen blühenden Kirschen, Mandeln, Schlehen. Das alles ist schon sehr verträumt und lauschig. Aber jetzt mehr als ne Stunde verträumt und lauschig ist mir dann auch zu fad, weil mehr als barfuß am Strand rumlaufen kann man ja auch nicht. Also radl ich doch noch mal in der Gegend rum und vielleicht find ich ja zufällig den Startplatz. In den Hängen oberhalb des Strandes verbergen sich kleine Dörfer aus wenigen Steinhäusern, Gärten und Olivenbäume, absolutes Idyll,  getrübt einzig durch die blutdurstigen Tölen, die ihr Leben an 2 Meter Kette fristen. Aus dem Nichts schießen sie heiser kläffend aus dem Hinterhalt der kleinen Höfe und werfen sich ungebremst in ihr Halsband – das zum Glück hält, oh Herr, mach das das Halsband hält und die Kette. So sehr es mir um die Viecher leid tut, an denen ist nichts niedlich. Und um nichts in der Welt will ich denen auf freier Prärie begegnen. Und weil es vergleichsweise unwitzig ist auf einer engen Gasse durch ein Dörfchen zu radeln, während links und rechts die Ketten klirren und die Ortsgruppe Höllenhunde den Verstand verliert vor lauter Appetit auf Radlerwadeln, dreh ich irgendwann um und roll die engen Serpentinen ins Tal. Das heisere Kläffen der Viecher im Rücken…

 

Ein weiterer Grund also warum das Fliegen nicht möglich ist: Von Hunden verbellt nicht zum Startplatz gekommen. Sagenhaft.

 

Von Lygia aus geht es am nächsten Tag nach Preveza. Die Stadt liegt am untersten Zipfel einer langgestreckten Halbinsel, die ich aus Igoumenita kommend nach Süden abgeradelt bin und an der nördlichen Seite der Meerenge zum ambrakischen Golf; das Meer ist an der engsten Stelle gerade mal 600 Meter breit. Früher konnte man die 600 Meter auf einer Fähre übersetzen, vielleicht hätte man auch eine Brücke bauen können – man entschied sich aber für einen Tunnel. Dieser Tunnel ist der Stolz der Gegend und wird gefeiert wie die Untertunnelung des Ärmelkanals.

 

Tatsächlich ist aber weniger der Tunnel so nennenswert, als die historische Dimension dieser Meerenge – hier nämlich prallten die Kriegsschiffe von Augustus nur wenige Jahre vor unserer Zeitrechnung auf die Flotte von Antonius und seiner Gespusin Kleopatra aufeinander. Die Seeschlacht verloren die beiden, der siegreiche Augustus baute sich zu Ehren schnell mal die Stadt Nikopolis, was soviel bedeutet wie Siegesstadt, und Antonius und Kleopatra flüchteten zurück nach Ägypten wo sie sich in Alexandria das Leben nehmen. Ägypten wurde zur römischen Provinz und Nikopolis kann man sich ansehen. Ihr auch. Bilder sind unten

 

Das Problem heute ist, dass man weder als Fußgänger noch mit einem Fahrrad den sagenhaften Tunnel durchqueren darf. Eine Videokameraanlage überwacht die Einhaltung der Verbote – eine Umrundung des ambrakischen Golfs aber ist ein Umweg von 100km, … was also tun? Es existieren anekdotische Hinweise auf die Existenz eine Shuttleservice, den man dadurch aktiviert, dass man vor besagter Videokamera herumhampelt und eine pantomimische Vorstellung abliefert: „Hier bin ich, dies ist mein Rad – bitte fahrt mich durch den Tunnel!“  So richtig weiß das aber keiner und so investiere ich den verbleibenden Tag in Preveza mit dem Versuch die Modalitäten dieser Unterquerung zu durchdringen. Dazu wandere ich an den Tunneleingang, finde die eindeutigen Verbotsschilder, sehe auch die Videokamera und mache mal zur Probe ein paar blöde pantomimische Grußbotschaften an das Tunnelpersonal auf der anderen Seite des Videokabels. Nebenbei interviewe ich Passanten und mache eine detaillierte Photo-Dokumentation des Tunnels aus jeder denkbaren Perspektive; all das natürlich vor dem aufmerksamen Auge der Videokamera. Bis zuletzt einem Wagen mit abgedunkelten Scheiben ein Polizist entsteigt, der mich streng nach meinen Papieren fragt (die ich nicht mit mir führe) worauf mein Rucksack nach Waffen, Sprengstoff und Drogen gefilzt wird (die ich auch nicht mit mir führe). Tatsächlich aber spricht der Polizist richtig gut Englisch und so schildere ich ihm das Problem und meine Bemühungen und befrage ihn nach den Modalitäten. Irgendwann muss er dann auch schmunzeln - Er ermutigt mich, morgen, dann aber MIT Fahrrad mein Tänzchen vor der Kamera  aufzuführen – irgendwann kommt dann schon jemand, … don´t worry.

 

Am nächsten Morgen also: Rad in Sichtweite der Videokamera aufbauen, Schamgefühle über Bord werfen und pantomimisch loslegen. Krasser Ausdruckstanz, Winken, Hüpfen, angedeutete Daumen-raus Gesten, … dann erwartungsvolles Warten. Und kein Scheiß, keine 10 Minuten später sehe ich einen blinkenden Van aus dem Tunnel fahren und noch ne Minute später parkt eine Mercedes Sprinter mit Warnlicht vor mir und meinem Rad. Es gibt den Service tatsächlich. Und zwar umsonst! Die Durchfahrt mit dem Auto kostet stolze 7€ fünfzig, … was lächerlich viel ist für den popeligen Tunnel. Ich aber: Umsonst chauffiert worden und nach 5 Minuten am Südufer der Meerenge entlassen. Von hier aus muss ich jetzt nur noch nach Amfilochia radeln.

 

Blicke zurück nach Albanien und wenig später schon schöner Strand vor Igoumenitsa, incl Zelten und Instagram Kitsch Sonnenuntergang Inferno. Der Weg nach Vrachos mit dem schönsten aller Strände und dann Nikopolis, das sich der Augustus hat hinstellen lassen zu Ehren seines Sieges über Antonius und Kleopatra. Stadt mit allem: Mauer, Toren, Tempeln, Amphitheater aus unterschiedlichen Epochen, Villen etc etc. Steht so rum, kaum ausgeschildert, ich bin da eher zufällig eigestolpert und kam dann aus dem Staunen gar nicht mehr raus. So riesig, alles.

100km Umweg gespart - gelbes Auto verfrachtet mich mit Rad auf die andere Seite. Im Gegenzug doof vor der Kamera rumgehampelt

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Kommentare: 2
  • #1

    Gigi (Montag, 04 März 2019 21:03)

    Nein, nein, nein - da fehlt doch was....schau bitte nochmal nach, da fehlt das Video...DAAAS Video!

    Jetzt habe ich mich sooooo sehr auf den Ausdruckstanz gefreut, den du so eindrucksvoll schildertest. Sprachst du gestern nicht von schmückenden Federn im Haupt und eindrucksvoller Choreographie? Ich habe speziell diesem Blogbeitrag entgegengefiebert, wie früher als 12-jährige donnerstags der neuen Ausgabe der Bravo...mit großer Spannung und einem kleinen Leuchten - im Herzen und in den Äuglein. Und - was ist? Kein Tanz, nichts, nada - nicht mal eine Feder im Haupthaar....
    Seufz!!
    G

  • #2

    Lydia (Mittwoch, 06 März 2019 15:37)

    Ich stimme Gigi voll zu: die Dokumentation weist an dieser Stelle eine entscheidende Lücke auf. Schade :-(
    Trotzem Gratulation: Nachdem du jetzt die größte aller Hürden - den Ausdruckstanz - gemeistert hast, kann eigentlich nichts mehr den weiteren Verlauf deiner Reise verhindern. Und wenn du wieder da bist darfst du uns als Entschädigung für das fehlende Video - in der von dir mittlerweile sehr geschätzten anthroposophischen Tradition - deinen Namen und die spannendsten Reise-Etappen vortanzen!