Die Liste der Verbote ist lang: In Venedig darf man nicht auf den Steinstufen sitzen (€ 250.-), man darf keinen Dreck hinterlassen (€ -400.-) und nicht in die Kanäle hüpfen (€ 500.-), man darf die Scheiß Tauben nicht füttern (Versenkung mit Zementschuhen) und keine gefälschten Gucci Taschen kaufen (€ 7000.- !!!!!). Und schon gar nicht darf man RAD fahren. Nicht mal das Rad schieben, …. Rad kompletto nicht erwünscht und so bewohnten Gülnaz und ich ein kleines Apartment, ganz in der Nähe des Bahnhofs und innerhalb der erhofften Toleranzgrenze der venezianischen Behörden. Trotzdem war ich froh, als am Montagmorgen das Rad auf der Piazza di Roma wieder verkehrsbehördlich „halal“ unterwegs war, ohne Diskussion mit den Carabinieri. Weniger froh, dass die gemeinsame Zeit und auch die Zeit in Venedig nun schon wieder vorbei war. Venedig über diese lange Brücke zu verlassen ist trotzdem ein Erlebnis und man fährt über das Meer und der Verkehr rauscht und hinter einem versinkt Venedig im Dunst. So kann man schon abreisen.
Das Gepäck ist unwesentlich aber vielleicht doch spürbar leichter: Nach Hause durften ein paar Klamotten, ein Feuerstein (kein Witz: hatte ich eingepackt!), eine Softshell Jacke von Rab, die mich so brav über die Alpen gebracht hat – aber für die kommenden nassen und weniger kalten Etappen habe ich noch Rab-Alternativen. Ein Notizblock, ein Skizzenblock, einer von 3 Ersatzschläuchen, eine Massage-Hantel von Black-Roll, und noch mehr… es war jedenfalls so viel, dass die Gigi das Mehrgewicht im Koffer gemerkt hat – leider mehr als ich die Erleichterung. Das nur an die Adresse derjenigen die darauf wetten abgeschlossen haben, wann ich die Flugausrüstung heimwärts schicke, … noch also wohnt mein Schirm als phoretischer Parasit auf meinem Gepäckträger und lacht, weil er auch noch nicht sieht, wann er mich – und nicht ich ihn trage!
Die Route nach Caorle, wo ich mich in die Ferienwohnung der Familie Stadler einnisten darf, plant nun anstelle von Googlemaps das Programm „Komoot“, weil ich die Liebe zur Haupt- und Bundestraße als charakteristische Fehlleistung von Googleprodukten ausgemacht habe. Und der Weg führt mich zunächst an der Lagune vorbei Richtung Osten, ich bleibe am Ufer, es gibt über Kilometer einen gut ausgebauten Radweg, Marschland und Weiden – durchzogen von Kanälen auf der einen Seite, flaches Wasser, Stege, Schüttungen und Dämme auf der anderen Seite. Ein Schwarm von bestimmt 1000 Flamingos, rosa im grauen Wasser vor grauem Himmel steigt auf als ich ein Photo machen will und lässt sich außerhalb der Sichtweite meiner Kamera wieder nieder. Ab und zu donnert ein Flugzeug auf den Flughafen von Venedig, dann ist es wieder still, ich sehe so viele verschiedene Vögel, zB. einen Eisvogel? Hier? Kann das sein? Klein, blau und schillernd?
Dann ist das Radlvergnügen erstmal beendet und der Weg nach Caorle führt die nächsten 20km auf einer der obligatorischen Bundesstraßen ohne Radweg oder Seitenstreifen. Im Abstand von 10 Meter liegen Bisamratten in verschiedenen Auswalzungsgraden am Seitenstreifen. Von frisch erlegt und dampfend bis zu gut gegerbt und in den Straßenbelag eingearbeitet findet man alle Größen. Eine Lebensform, die es sich leisten kann, einen Großteil seiner Population an den individuellen Straßenverkehr zu opfern muss viel Spass bei der Reproduktion haben. Denk ich mir und versuche einerseits nicht über den nächsten Bisamleichnam zu rollen aber beim Ausweichen nicht selbst von einem der Vierzigtonner gebisamt zu werden. Einzige Abwechslung bietet ab und an ein Fuchs.
Kurz vor Caorle fehlt eine Brücke. Kein Witz: In der Karte: Brücke, Vor meinen Augen: Wasser, namens Piave, Brücke Fehlanzeige. Die nächste Möglichkeit diesen Drecksfluss zu überquere ist in Eraklea (oder ähnlich), diese Ortschaft ist beim Fahren mal am oberen Bildrand des Kartenausschnitts der Navigation vorbeigeschwommen, weit oben und weit weg. Da muss ich jetzt rauf – über den beschissenen Fluss – und auf der anderen Seite wieder runter: 15km! Kleine Pest. (Später sehe ich, dass Googlemaps sehr wohl eben diese Änderung in der Straßenführung gewusst hat!) Ich hatte mich massiv angestrengt schnell zu sein und entsprechend früh in Caorle. Es ist nämlich gar nicht sicher, ob ich in das caorlinische Feriendomizil hereinkomme – dazu muss ein Schlüssel in einem Keller gefunden werden, dazu aber muss der Keller offen sein. Und wenn nicht muss die Hausverwaltung da sein, und - im Idealfall - so freundlich die Kellertüre für mich zu öffnen um aus dem guten Versteck den Schlüssel zu holen mit dem ich dann die nächste Türe öffnen… mit der dann zuletzt das Appartement geöffnet werde soll, … sprich: Mal schauen ob das alles hinhaut. Aber wenn nicht, dann habe ich mir noch ein AirBNB als Fall-Back gesichert. Irgendwo im Landesinneren, lächerliche 30km weiter – aber da fahr ich mit dem Zug hin, im Fall der Fälle (wenn der Keller nicht… oder die Hausverwaltung nicht, oder….)
Drum also hurtig pedaliert und die 15 km noch schnell weggepackt und in der Tat bin ich noch im Hellen, also vor 16:00 in Caorle und finde dank fotorealistischer Beschreibung schnell den Pool im Garten des Anwesens und das dazugehörige Haus und die Kellertür – die aber leider ist zu und sehr ordentlich versperrt und Stahltür und Fort Knox! Aber die Hausverwaltung ist da! Welch Glück und hilfsbereit telefoniert die Dame nach dem Hausmeister und keine 10 Minuten später ist er da, der Hausmeister, einen imposanten Bund an Schlüsseln führend … und gemeinsam machen wir uns auf und Schlüssel um Schlüssel um Schlüssel zerrinnt die Hoffnung. Nein – diesen speziellen Schlüssel hat er nicht.
Plan B: AirBnB, in Fossalta di Portogruaro, schnell gebucht… Segen des Digitalen, auf zum Zug: Wo ist der nochmal? Ich frag die Frau in der Hausverwaltung: Den Bahnhof? Da lacht sie nur. Der ist in Portogruaro. Da ist ja auch mein AirBnB! Na Bravo! Nochmal 30km. Zum Glück wird es langsam dunkel. Mit dem Gepäck und Gegenwind sind 30km schnell mal knapp 2h und ich kotz ein bisschen. Schwacher Trost: Ich fahr Nebenstraßen und aus den Gräben und Kanälen kriechen nun die Bisamratten hervor, weiden friedvoll wie die Murmeltiere, der Lichtkegel meiner Lampe irritiert sie wenig, ab und zu hoppelt so ein Möpschen von Wasserratz vom Weg, die anderen bleiben desinteressiert sitzen und kauen vor sich hin. Auf einer Schnellstraße ist das natürlich keine besonders tragfähige Überlebensstrategie, ich aber weiche brav aus. Dann gehen die Ratten nach Hause weil es dunkel wird und dann fängt es an zu schneien.
Aber auch solche Tage gehen zu Ende und ich nächtige im Haus einer Familie, die mich auf Pizza aus eigener Produktion einladen, … radicchio/gorgonzola ist für diesen Abend mein unangefochtener Favorit. Was für nette Leute, was für ein goldiges Tochti, Giulia. Ich bin so ausgefroren, dass ich später im Schlafsack unter die Bettdecke krieche.
Der nächste Tag ist der erste mit „schlechten Beinen“ – ich steh auf und hab schon keinen Bock auf das Geradel bevor ich auch nur auf den Sattel klettere. Und dann tut mir der Hintern weh, keine 10 Minuten nachdem ich losgefahren bin und die Beine wollen nicht und der Gegenwind nervt und es gibt wieder keine Radwege, aber lauter Verkehrstote unter der liebenswerte Bisampopulationen, wie Crepes mit Fell liegen sie da, was für ein Scheiss. Nach Süden verliert sich der Blick im Dunst über der Lagune und dem Meer – irgendwo da unten ist Bibione und Grado. Im Norden rücken die Berge wieder näher und im Sonnenlicht des frühen Tages leuchtet der frisch gefallene Schnee bis runter ins Tal. Es ist halt immer noch Januar und was bin ich froh jetzt nicht durch Schneematsch zu schlingern. Alles richtig gemacht – senkrecht nach Norden ist Sillian und Greifenburg, da wollte ich jetzt an sich sein. Gut, dass ich es nicht bin. Und auch im Osten kommen die Berge näher, ich fahre 60km bis Montefalcone und kauf mir ein Ticket für mich und mein Rad für den nächsten Regionalzug nach Triest. Diese 30km gönn ich mir. Ich hab das Ticket kaum in der Hand, da rollte der Zug ein, aber den Bahnsteig erreiche ich nur über die Treppen – das geht aber nicht ohne das Gepäck abzuschnallen und den Krempel in Einzelteilen auf den Bahnsteig zu verfrachten – oder ich schieb das über die Gleise… halt leider verboten. Ein freundliches Gesicht lehnt sich aus dem Führerstand meines Zuges und verweist auf die Polizei, gleich hinter mir – solange wartet der Zug auf mich. Der Polizist hat an sich keinen Bock mich über die Gleise zu lassen, aber das freundliche Gesicht beharrt und der Polizist erweicht und wir müssen noch kurz das Einrollen des Zuges auf der Gegenspur abwarten – auch solange wartet der Zug auf mich. Dann endlich stehen alle Züge und ich schieb mit Hilfe des Polizisten mein Rad auf den Bahnsteig und das freundliche Gesicht hilft mir das Rad in den Wagon zu wuchten. Und bleibt für die restliche Fahrt und fragt nach Ziel und Route und erzählt von seinen Reiseplänen und Sehnsüchten, draußen zieht Miramare vorbei, da waren wir, die Kinder, Lydia und ich vor ewigen Zeiten. Und dann machen wir noch ein paar Photos, das freundliche Gesicht und ich und tauschen ganz modern unsere Instagram accounts aus und dann bin ich in Triest.
Die Etappe von Venedig nach Triest kann man sich vermutlich schenken, landschaftlich eh, aber ich freu mich über die Bekanntschaften, die wenigen aber dennoch eindrucksvollen Bilder und Blicke, die Pizza und das Gefühl vollständiger Erschöpfung. Triest gibt’s als Bilderserie und morgen geht’s nach Slowenien.
Lagune mit Flamingos - Miami Vice-mäßig, Richtung Norden wieder Berge - in der Sonne leuchtet der frisch gefallenen Schnee, au dem Photo nicht so wirklich sichtbar, die Black Pearl von Caorle, prachtvolle Häuserfassaden und ansehnliches Hafenbecken, aber wo es hafig wird, lauert auch der Verfall, toiletöses Farbspektakel ud versöhnlich: Südliches Palmenmotiv mit Gotteshaus
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Hhannus (Donnerstag, 31 Januar 2019 10:07)
Tolle Fotos, gerader Horizont bei den Lagunenbildern (immer ein Problem bei mir!) und auf einem richtigen PC - Bildschirm kommen die Farben der Flamingos richtig gut raus!
Danke!
Bernhard (Donnerstag, 31 Januar 2019 10:35)
Mann bist Du krass. My deep respect, und gute Weiterfahrt!
Gigi (Donnerstag, 31 Januar 2019)
Mehr als das Gewicht, war das Volumen spürbar. Ich bilde mir ein, dass mein Koffer erleichtert seufzte, als ich ihn zuhause öffnete. So ein wenig, wie die schicken Strandbeaus, die ihre Bäuche einziehen, wenn eine Bikinischönheit sich nähert und erst wieder weiteratmen, wenn sie vorbei (oder der Sauerstoffmangel überzeugend groß) ist.
Ich hätte gerne eine Bisamratte gesehen - vielleicht läuft dir ja eine mal wieder über den Weg...
Gute Fahrt
G
Lips (Freitag, 01 Februar 2019 18:26)
Ich find's super Stefan, dass Du dich nicht an ein paar Kilometern mehr oder weniger aufhängst..
Die freundlichen Gesichter sind so viel wichtiger und spannender, als monotones Geradle an der Seite von LKWs...